Das kriegst du aus dem Herzen nicht mehr raus
Stefan Zweig: Wenn keine Form der Emigration mehr Hoffnung birgt. Perspektiven des Menschseins in aussichtslosen Zeiten.
„Früher hatte der Mensch nur einen Körper und eine Seele. Heute braucht er
noch einen Pass dazu, sonst wird er nicht wie ein Mensch behandelt.“
Es hat sich wahrscheinlich selten ein Mensch so abgeschnitten von seiner Zeit gefühlt wie Stefan Zweig. Auf Bombenterror, Denunziation und Hausdurchsuchung in seiner Heimatstadt Wien folgte das Exil: London, New York, Argentinien, Paraguay, zuletzt Brasilien. Die Angst der Nationalsozialisten, seine Idee eines “geistig geeinten Europas” könne trotz allem um sich greifen, hielt dies jedoch nicht davon ab, Zweig weiterhin zu zensieren, zu verbieten, seine Bücher zu verbrennen und ihm seinen Doktortitel abzuerkennen. Es galt, ihn und seine Gedanken auszuradieren.
Zutiefst verstört durch die Erfahrungen darüber, wozu der Mensch fähig ist, wenn man ihn nur lässt, findet Stefan Zweig auch trotz Dauervisum keine Ruhe; geschweige denn inneren Frieden. Er hatte erfahren, wie ausdehnbar die Ungerechtigkeit dieser Welt sein kann – wenn man sie nur lässt. Er und die Protagonisten seiner Bücher waren ihr zur Genüge ausgesetzt. Das Schreiben war seine Therapie, sein Versuch, loszulassen. Seine Hoffnung, ob sich nicht durch das immer neue Aneinanderreihen von Worten, eine Kombination fände, die aufbegehren – oder zumindest vergessen – lässt. Abseits der Weltöffentlichkeit leider ohne Erfolg: Stefan Zweig konnte nicht vergessen. Er hat sich das Leben genommen. Er hat sich vernichtet, wie auch seine “geistige Heimat Europa sich selber vernichtet” hat. Die Welt seiner eigenen Sprache war für ihn untergegangen. Er hatte keine Kraft mehr, eine völlig neue aufzubauen.
„Dass man gerade die wichtigsten Empfindungen erst versteht,
sobald man sie selbst durchlitten hat.“„Es ist vielleicht das einzige Stück Freiheit, das man sein ganzes Leben
ununterbrochen besitzt: Die Freiheit, das Leben wegzuwerfen.“— Stefan Zweig
Stefan Zweig war kein Eskapist. Vielmehr war er “ein hellwacher Beobachter des europäischen und später internationalen Kulturbetriebes” sowie Pazifist und Antifaschist. In seinen Essays und Geschichten hat er versucht, den Geist seiner Zeit einzufangen; die, in seiner Scheinheiligkeit schlummernde, Brutalität aufzudecken, um somit den Nährboden für Aufklärung und eine gerechtere Zukunft aufzubereiten.
Die Entscheidung, das Land zu verlassen, das einem die Luft zum Atmen nahm, war hierbei für Stefan Zweig reiner Überlebensinstinkt: Wenn du ins Leere rufst, dabei dein eigenes Echo bildest und als Dank Hass und Verfolgung erntest, fragst du dich ab einem gewissen Punkt, wofür du all dies noch machst. Und wenn deine Antwort dann nicht mehr lautet “für meine Mitmenschen”, sondern “für Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit”, stellt sich die Frage, ob sich für diese nicht besser an einem Ort werben lässt, der einen nicht von Grund auf zu ersticken versucht.
In Brasilien, dem vermeintlichen Paradies, angekommen, droht einen die geistige Heimat, Europa, nicht mehr loszulassen. Zweigs Selbstauffassung als “Weltbürger” kollidiert mit dem geistigen Gefängnis, in das die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ihn verfrachtet hat. Was machst du, wenn du deinen Körper in Sicherheit gebracht hast, aber dann feststellst, dass dein Kopf niemals Ruhe finden wird? Wenn du weder vergessen kannst, noch willst.
»Unser Platz ist immer am Anfang jeder Revolution, wo es nur den reinen Willen und die reine Idee gibt, um ihr zu helfen; und am Ende jeder Revolution, wo sie in Übertreibungen, Brutalität, Diktatur und Unterdrückung degeneriert, um diese zu bekämpfen – die schwierigste Position, ich weiß es, das Schicksal der Girondins, das offenbar immer zu Hass und Zerstörung führt, niemals zu Triumph. In der Politik haben wir jedoch keinen Erfolg: Die Welt des Geistes ist immer im Jenseits. Das Prinzip, für das wir kämpfen, findet in der sichtbaren Welt keine Verwirklichung. Und doch ist es in seiner Ungreifbarkeit die einzige Stabilität, die allen Kriegen und allen Völkern unabhängig von den Eventualitäten folgte, denn es ist die Freiheit selbst, die in jedem Menschen als wesentliches inneres Lebensprinzip wiederaufersteht und folglich niemals vergeht, wie Lehren, Gesetze und sogar Religionen. Indem wir ihr dienen, dienen wir nicht nur einer Partei, sondern allen Mitgliedern aller Parteien – der gesamten Menschheit.«
– Stefan Zweig, 1922, Worte haben keine Macht mehr
»Es gibt zwei Arten, Politik zu machen. Es gibt die alltägliche Berufspolitik, die viel Geschick erfordert – zu viel Geschick; es ist die Politik der Diplomaten, der Staatsmänner und der Parlamentarier. Sie ist für den Künstler praktisch unmöglich, denn sie erfordert den ganzen Einsatz eines Menschen. Aber diese Unfähigkeit zur Parteipolitik schließt nicht die moralische Teilnahme des Intellektuellen an der echten Politik aus: Die Klarheit seiner Ideen, die Richtigkeit seiner Sichtweisen, die Rechtschaffenheit seiner Vision ermöglichen es ihm, von Nutzen zu sein. Als Mann der Tat könnte er unterlegen sein, als Mann des Denkens wird er immer und überall seine Position behalten.«
– Stefan Zweig, 1932, Worte haben keine Macht mehr
Menschen befördern Dinge in die Welt, ohne zu erahnen, in was sie münden könnten. Sie handeln verantwortungslos. Mit ihren Taten als auch Gedanken (Umwelt-verschmutzung kann auch verbaler Natur sein). Gefangen in ihren eigenen Maximen und Narrativen beziehen sie kollektives Handeln sowie die Tatsache, dass selbst gute Intentionen in ihr Gegenteil kippen können, nicht mit ein. So entsteht Leid, dass zwar aus Menschenhand stammt, aber - ähnlich der Büchse der Pandora -, einmal geöffnet, nicht mehr in diese zurückzusperren ist. Es erzeugt Bilder, die so schwer wiegen, dass sie im Stande sind, das Licht hinter noch so hell leuchtenden Augen abzudunkeln: Wie Schablonen zeichnen sie sich ab und hinterlassen dunkle Schatten. Unter den Augen wie im Herzen. Was bleibt sind Traumata, die sich so tief in Leib und Seele fressen, dass keine Sprache der Welt ihr Leid mehr würde lindern können.

Sinnfragen in Zeiten der Krise
Und nun sind sie wieder da. Jene Zeiten der Diffamierung, Ausgrenzung und Zwangsenteignung. Die Gesellschaft wird erneut in zwei vermeintliche Lager geteilt: Die, die Recht haben, und die, deren Rechte verhandelbar scheinen. Wir stehen mehr als je zuvor vor der Frage, worin unser Menschsein bestehen soll: Ist es unser Gleich- oder unser Ungleichsein? Ist es unsere Empathie oder die Empathielosigkeit im Zwecke der kalten Vernunft? Ist es unser Eigensinn oder das Unterdrücken der eigenen Bedürfnisse aus Rücksichtnahme auf andere? Wo wollen wir als Gesellschaft hin? Wollen wir, dass unser Menschsein an einen digitalen Pass gekoppelt wird?
„Nichts wäre verfehlter, als moralische Anschauungen um vier Jahrhunderte zurücktransformieren zu wollen, denn der Wert eines Menschenlebens ist innerhalb verschiedener Zeiten und Zonen durchaus kein absoluter, jede Zeit bemißt es anders, Moral bleibt immer nur relativ.“
— Stefan Zweig
Ich schreibe aus vielleicht ähnlichem Antrieb wie viele Geister vor mir: Es ist das Gefühl, in Zeiten der Krise nicht still sein zu können. Es ist das Gefühl, man stünde vor einem brennenden Haus. Fürs Löschen ist es längst zu spät. Das einzige, was einem noch zu bleiben scheint, ist die eigene Stimme. So schreit und brüllt man in die Flammen und hofft, dass man vielleicht noch irgendjemanden erreicht.
Literatur(-empfehlungen):
Zweig, Stefan (1944): Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Wien (Bermann-Fischer).
Zweig, Stefan (2019): "Worte haben keine Macht mehr". Essays zu Politik und Zeitgeschehen 1916–1941. Wien (Sonderzahl).
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Tee trinke ich auch FTGFOP second flush von der Teekampgne.
Aber die *Gute Laune* möchte sich einfach nicht mehr einstellen...