Was wäre das für eine Welt, in der der Klavierspieler im Nobelrestaurant tosenden Applaus erntet, obwohl er über nichts als »einäugige Hosenschlangen« gesungen hat? In der es als Affront gewertet wird, eine im offenen Schützengraben stattfindende Dankeshymne inklusive nie enden wollender Geschenkübergabe sowie anschliessender Kuchenverkostung höflich wegzukomplimentieren? In welcher der Zenit einer Dekadenzgesellschaft nur noch dadurch versinnbildlicht werden kann, einen sattgefressenen »Monsieur« an einer Minzoblate platzen zu lassen? Was wäre das für eine Welt, in der sich Ehepaare selbst dann nichts (mehr) zu sagen hätten, trüge ihnen ein Kellner die »Gesprächsthemenkarte« vor?
Monty Pythons »Der Sinn des Lebens« ist die Persiflage auf jene Fortschrittsgesellschaft, die sich vor lauter Entwicklung in sich selbst zu verwickeln droht. Mittels mehrerer Episoden zeichnen die Pythons eine Welt, die auf ewig in ihren Kinderschuhen eingeschnürt zu sein scheint: Jeder hat ein »ICH«, aber niemand ein »Selbst«. Vor lauter Infantilität verstünden sie die Bedeutung des Titelsongs nicht einmal dann, trüge der Kellner sie ihnen vor: »Warum sind wir hier? Worum geht es im Leben? Existiert Gott wirklich? Oder gibt es Zweifel daran? … Was ist Leben? Was ist unser Schicksal? Gibt es Himmel und Hölle? Werden wir wiedergeboren? Entwickelt sich die Menschheit? Oder ist es zu spät?«
Kurzum: Die Menschen haben nicht nur kein Interesse mehr am Sinn des Lebens – sie können die ihm zugehörigen Fragen nicht einmal mehr formulieren. So antwortet das Ehepaar im Restaurant, das sich letztendlich als Gesprächsthema – unwissend, was dieses bedeute geschweige denn beinhalte – die »Philosophie» aussucht, auf die vom Kellner als »Starthilfe« bereitgestellten Fragen »Haben Sie sich schon einmal gefragt, weswegen sie hier sind? Auf diesem Planeten? Warum all dies so funktioniert, wie es funktioniert?« mit demselben »Nein«, das es vermutlich auch auf den Titelsong des Films entgegnen würde.
Es ist dieselbe Verneinung, die jener hochschwangeren Frau der ersten Episode widerfährt, sobald sie den Kreißsaal betritt: Nachdem in diesen – »für den Fall, dass einer von der Verwaltung kommt« – auf Kommando des Arztes alle Geräte hineingeschoben, aber nicht eingeschaltet wurden, entgegnet dieser auf ihre Frage, ob sie denn noch etwas zur Geburt beitragen könne mit «gar nichts, überlassen sie das nur uns«. Nicht, dass diese Absprache von Verantwortung und das fehlende Vertrauen in einen natürlichen Geburtsprozess schon genug gewesen wären: Nach schnellem und erfolgreichem »Herausschälen«, »Säubern«, »Präsentieren« sowie anschließendem »Isolieren« des Kindes im Brutkasten, fragt dessen Mutter, ob es denn ein Mädchen oder ein Junge sei. Darauf der Arzt: »Na, wir wollen doch nicht schon so früh anfangen, ihm irgendeine Rolle aufzuzwingen« … die Gendertheoretikerin Judith Butler fände sich in ihrer Sprechakttheorie bestimmt mehr als bestätigt.
Die verschiedenen Themen »Das Wunder der Geburt« über »Wachsen und Lernen«, »Gegeneinander kämpfen«, »Das Mittelalter«, »Lebende Organverpflanzungen«, »Die Herbstjahre« bis hin zu »Der Tod« – die Botschaft jener sieben Stationen, die die Pythons den Zuschauer durchlaufen lassen, verknappt letztlich ein Kellner innerhalb weniger Minuten: Er lockt das Publikum vom Nobelrestaurant – jenem Schauplatz, wo kurz zuvor »Monsieur« noch an der Minzoblate geplatzt ist – zu dem Ort, wo er geboren wurde. Dort angekommen, erklärt er, den Beruf des Kellners nur deswegen ergriffen zu haben, um den Auftrag seiner Mutter, »jeden Menschen glücklich machen«, zu erfüllen. Ein Satz, der – sobald einmal ausgesprochen – selbst ihm den Magen umdreht.
Was also ist der Sinn des Lebens? Wenn Sie glauben, er stünde in irgendeiner Kurzrezension eines fast vierzigjährigen Films, dann sind Sie sicher auf dem Holzweg!
Diese Kurzrezension erschien zuerst im Schweizer Magazin »Die Freien«.
Das Jahr neigt sich dem Ende. Gerne möchte ich diesen letzten Text dazu nutzen, mich bei Ihnen zu bedanken. Danke, dass Sie meine meinen Gedanken so aufmerksam folgen und mich damit in unterschiedlichster Form unterstützen. Das bedeutet mir wirklich viel. Und weil ich glaube, dieses Jahr genug geschrieben und gesagt zu haben, möchte ich 2023 mit einem Gedicht von Dietrich Bonhoeffer enden lassen:
DIETRICH BONHOEFFER - VON GUTEN MÄCHTEN
Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen
das Heil, für das du uns bereitet hast.
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.
Lass warm und still die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Ich wünsche Ihnen einen Guten Rutsch und ein Frohes Neues Jahr! Auf neue Anfänge.
Der Point of no Return ist schon in den 90-er Jahren erreicht und überschritten worden. Was alles - in Details - auf uns zukommt, kann man konkret seit 2006 wissen, wenn man sich für die Welt, für das Sein und all für die Fragen interessiert , die Sie in Ihrem sehr schönen Rezension jetzt ansprechen.
Aber, nicht einmal die Menschen, die sich jetzt von "Mainstream" - mit Recht - distanzieren, hatten ein Bewusstsein oder ein offenes Ohr dafür. Auch die Menschen nicht - mehrheitlich - die jetzt alternative Sachen betreiben. Es schmälert natürlich deswegen nicht ihr mutiges Engagement. Aber es zeigt ein Massenpsychogramm auf, über das in letzte Zeit sehr viel gerätselt und gesprochen wurde, über das aber viele kluge Leute schon immer Bescheid wussten und dies auch fleissig nutzten.
Auf jeden Fall herzlichen Dank für die vielen schönen Sachen, die Sie uns in diesem Jahr geschenkt haben, liebe Frau Gebert.
"Der Satz Jesu: "Ihr seid das Licht der Welt" bedeutet mehr als das Weitergeben einer Lehre, wie erhellend die Botschaft auch sein mag. Für mich heisst er: "Hört zu, dies ist eine dunkle Welt. Wenn ihr leuchtet, erhellt ihr sie ein wenig. Ihr könnt diese Welt ein wenig heller machen. Leuchtet! "
David Steindl-Rast
Danke, Lilly, für den Abdruck des Gedichts, von dem mir bisher nur einige Zeilen bekannt waren. Eine wunderbare Gabe für diesen Silvester! Alles Gute dir!