Das menschliche Gedächtnis beruht auf Vertrauen, nicht auf Zweifel. Ob und wie lange wir uns an etwas erinnern, hängt von der Übereinstimmung mit unserem bisherigen Weltbild ab. Was aber bedeutet es, wenn wir immer nur dem vertrauen, woran wir schon glauben?
Ein Phänomen, das aufgrund eben jenes Zerwürfnisses von Realität und Wirklichkeit beinahe gänzlich aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist, heißt Bruno Gröning. Am 3. Mai 1906 als viertes von sieben Geschwistern in Danzig geboren, erregte der gelernte Zimmermann in den 1950er-Jahren weltweites Aufsehen als «Wunderheiler». Dabei traf sein «von Gott gesandter Heilstrom» nicht nur die Wurzel vieler Krankheiten, sondern auch den Nerv der Zeit: Die gleichzeitige Not und Hoffnung vieler Menschen, nach einer Zeit der Verwirrung, in der die materiellen und seelischen Schäden des Krieges noch lange nachwirkten, wieder Hilfe und Heilung zu erlangen. Doch während die einen schlichtweg dankbar waren, von ihren Leiden befreit worden zu sein, galt die Unerklärlichkeit von Grönings Heilerfolgen für die anderen als Grund, eben diesen ein Ende zu bereiten. Auf wenige Monate des Aufatmens folgten Jahre der Unterdrückung und des Rufmordes.
«Wunderdoktor» mit Heilverbot
«Es gibt vieles, das nicht erklärt werden, aber nichts, das nicht geschehen kann.»
Die Massenversammlungen begannen im März 1949 mit einem Pressebericht über einen angeblichen Heilerfolg Grönings, woraufhin tausende Heilungssuchende zu ihm nach Herford in Westfalen strömten. Die Verzweiflung einiger von Ärzten für unheilbar Erklärten war teilweise so groß, dass sie drei Tage und drei Nächte auf ihn warteten. Dann, in den Momenten, wo Gröning erschien, reichte meist ein Ausbreiten seiner Arme zusammen mit den Worten «Steht auf ihr Gelähmten, ihr könnt gehen» – und die Menschen erhoben sich aus ihren Rollstühlen; Blinde konnten wieder sehen; chronisch Kranke waren das erste Mal in ihrem Leben schmerzfrei und manch einer, der gestern noch als todkrank galt, grub am nächsten Tag bereits seinen Garten um.
Asthma, Rheuma, Herzerkrankungen: Die Berichte über Grönings Heilerfolge sind ebenso endlos wie die damals an ihn verfassten Bitt- und Dankesbriefe. Sie alle vertraten – selbst fünfzig Jahre wie etliche Gegendarstellungen und Verleumdungsversuche später – die tiefe Überzeugung, dass keiner, der dieses Wunder einmal erleben durfte, diesen Menschen noch einmal als Scharlatan bezeichnen konnte. Und dennoch geschah genau das: Obwohl Gröning sich weder als «Heiler» noch als «Heilpraktiker» verstand, geschweige denn jemanden davon abhielt, einen «wahren» Arzt aufzusuchen, sollte es nicht lange dauern, bis er erstmals mit dem deutschen Heilpraktikergesetz in Konflikt geriet und der Bürgermeister von Herford am 3. Mai 1949 ein Heilverbot für Gröning aussprechen sollte. Selber zutiefst davon überzeugt, seine «Gabe Gottes» weder gegen das Gesetz noch für Geld einzusetzen, flieht Gröning auf den Traberhof in der Nähe von Rosenheim, wohin später erneut 30'000 Menschen pilgern sollten.
«Messias» oder Scharlatan?
Ganz gleich, ob es an der wirtschaftlichen Angst der Ärzte lag, durch eine Ansiedelung Grönings ihre Praxen zu verlieren oder doch an dem grundsätzlichen Widerwillen, alternative Heilmethoden in ihrer Wirksamkeit anzuerkennen: Jemanden, den man jahrelang in seiner Praxis als Patienten betreut hat, an einen «Heilstrom» zu verlieren, war für viele undenkbar. Hypnose, Suggestion? Gröning passte in keine Schublade. Ebenso scheiterten die Versuche seitens mancher Klinikbetreiber, mit Gröning «zusammenzuarbeiten», indem man ihm zwar Patienten zur Verfügung gestellt, als Gegenleistung jedoch 30 Prozent der Heilerfolge sich selber zugeschrieben hätte. So folgte auf die anfänglich eher wohlwollende Berichterstattung eine regelrechte Rufmordkampagne.
Und mögen die damaligen Bedenken andere gewesen sein, als sie es heute für mich sind, stellt sich auch jetzt noch die Frage: Warum tritt ein Mann, der behauptet, von der Kraft Gottes durchwandert zu sein, 1936 der NSDAP bei? Und warum verliert dieser Mann, der doch so viele Menschen geheilt haben soll, beide seine Söhne im Alter von neun Jahren aufgrund eines Herzklappenfehlers und einer Brustfellentzündung? Und wieso behauptete er, kein Geld für seine Tätigkeit annehmen zu können, obwohl bekanntermaßen Gelder von Kranken eingesammelt wurden, mit denen laut Otto Meckelburg, dem selbsternannten Manager Grönings, später «richtige Orgien gefeiert» wurden?
Lässt sich das Handeln der damaligen Ärzteschaft zwar zurecht als «unrecht» einstufen, war ihr panisches Verhalten nicht ganz unbegründet: Gröning hielt es für «arg, dass gerade die Menschen, die nichts erfassen, sich für wissend halten und daher nicht erfassen können, was Wissen ist. Dass der Weg der Wissenschaft nicht hunderprozentig richtig war», bewies für ihn «alleine die Zahl der Wissenschaftler, die das Gefühl verdrängten und dafür den Verstand sprechen ließen». «Mit dem Verstand», daran gab es für Gröning keinen Zweifel, konnte er «bestimmt nicht verstanden werden». Folglich rief er in seinen Vorträgen mehrmals zur «Großen Umkehr» auf – einer Abkehr von der modernen Wissenschaftlichkeit zurück zum Glauben. Einem Glauben, der zwar zurück zu Gott führe, dessen eigentliche Kraft jedoch jedem von uns innewohne.
Der Schlüssel, Heilung überhaupt erst empfangen zu können, läge darin, sich von dem zu befreien, was man selbst als Leid empfinde. Kranke Gedanken führten zu einem kranken Körper. Wer jedoch gesunde Gedanken aufnehme, das Leben als Liebe wahrnehme und Gott in allem Lebendigen erkenne, der würde selbst zu neuem Leben finden. Oder in eigenen Worten: Heilung erfährst du in dir, nicht im Außen. Ein Paradigmenwechsel, der – hätte er es bis in die Mitte der Gesellschaft und ins Bewusstsein jedes Einzelnen geschafft – die Medizin, so wie sie heute «funktioniert», in die Brotlosigkeit getrieben hätte.
Glaubenskrisen
«Ich weiß nicht viel, ich weiß weiter nichts als nur das,
was Menschen heute nicht mehr wissen.»
Nichtsdestotrotz: Warum ist «das Phänomen Gröning» nicht in unser kollektives Gedächtnis übergegangen? Lag es an dem Konkurrenzneid und der Übermacht der deutschen Ärzteschaft oder war es das – bis heute anhaltende – fehlende Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Menschen? Denn obgleich die – derweilen mehr zum Mythos verklärten – Erzählungen über Bruno Gröning stimmen oder nicht: Warum löst auch nur der Gedanke an die mögliche Existenz eines «Heilstroms» bei dem einen Aggression und Diffamierungslust aus und bei dem anderen das Gefühl von Halt und Hoffnung? Ich meine: Die weltweit am meisten vertretene Religion glaubt an die Himmelfahrt Christi – und wird trotzdem nicht als esoterische Sekte bezeichnet –, aber ein deutscher Zimmermann, der massenweise Wunderheilungen durchgeführt haben soll, wird verneint und vertrieben? Manchmal frage ich mich, wie viel Wein getrunken und gleichzeitig Wasser gepredigt werden kann. Nicht nur würden wir Jesus nicht erkennen, stünde er als Leibhaftiger vor uns – vermutlich würden wir ihn kreuzigen, wie wir es vor zweitausend Jahren schon einmal getan haben. Was haben wir gelernt? Gar nichts. Was aber könnten wir lernen? So unglaublich viel.
Dieser Artikel erschien zuerst im Schweizer Magazin «Die Freien»
Bilder: Copyright © Bruno Gröning-Freundeskreis 2023
Danke Lilly Gebert!
Bruno Gröning war ein Ausnahmephänomen, direkt vor unserer Haustüre.
Wer sich nicht von Verleumdungen und Spott ablenken lässt sieht, dass hier Wunder geschahen.
Schaut euch die Doku an oder lest einen weiteren Artikel hier: https://wersglaubtwirdselig.substack.com/p/bruno-groning
Es ist an der Zeit, solche Wunder zu akzeptieren, statt erfolglos zu versuchen, sie erklären zu können oder dann reflexartig abzulehnen!
Liebe Frau Gebert,
danke für Ihre Betrachtung zu Bruno Gröning.
Ein Atheist , der an NICHTS glaubt, glaubt auch nicht an sich selbst.
Unglaube hilft nicht, sondern macht Angst und wenn nicht offene Angst dann doch Ablehnung bis zur Verfolgung. Da hat sich seit Golgotha nichts geändert.
Viele Grüsse
Elmar Demmel