Im Strom des Erwachens
Die Kundalini-Energie als Weg der Individuation: eine Reise ins Unterbewusste der indischen Philosophie und ihre Lehre von der kosmischen Ganzheit.
Das »große Erwachen« ist in aller Munde. Doch was meinen wir eigentlich damit, wenn wir vom »Aufwachen« sprechen? Impliziert »aufzuwachen«, dass wir vorher geschlafen haben, eben nicht »wach« waren und erst jetzt im vollen Umfang empfänglich sind für das, was wahrhaft »wirklich« ist? Oder ist mit Erwachen vielmehr der Wechsel auf eine spirituell höhere Schwingung gemeint? Walter Schwerys 1988 erschienenes Buch »Im Strom des Erwachens. Der Kundaliniweg des Siddha-Yoga und der Individuationsprozess nach C. G. Jung« macht deutlich: Wahrhaft zu erwachen ist mehr als ein rationaler Prozess. Es ist die Selbstwerdung im Sinne unseres vollen Schöpfungspotenzials.
»Das Zeitalter will die Seele selber erfahren. Es will Urerfahrung, daher es alle Voraussetzung ablehnt und sich zugleich aller Voraussetzungen als Mittel zum Zweck bedient, so der bekannten Religionen und der eigentlichen Wissenschaft.« — Carl Gustav Jung
Wir scheitern, wenn wir glauben, wir könnten Probleme wie den Gegensatz von Geist und Materie durch den Einsatz unseres Bewusstseins auf die Weise lösen, indem wir Yogamethoden oder andere Praktiken nachahmen. Wir scheitern, weil uns etwas fehlt: die Verbindung zwischen den höheren und tieferen Schichten unserer Psyche. Anders als der Mensch im Osten, dem diese Verbindung von Geburt an innewohne, hätten wir, so postulierte bereits Carl Gustav Jung, den Zugang zu unserer Seele, zu unseren Wurzeln und zu unserem Selbst verloren — mehr als zweitausend Jahre christliche Prägung hätten uns von unserer Erde und unserem Seelenhintergrund abgeschnitten; uns erblinden lassen für alles Großartige; hätten uns reduziert auf das »Draußen«, auf die von uns erbaute monumentale Welt, in deren Kargheit uns nichts anderes bliebe, als seelisch zu verarmen.
Diesen Gründen entsprang auch Jungs Warnung vor einer unbesonnenen Übernahme östlich spiritueller Einstellungen. Er warnte, weil er wusste, dass die gegenwärtige seelische Verfassung des abendländischen Menschen »eine schlechte Voraussetzung für eine fruchtbare Begegnung mit dem Osten« sei. Für Jung war klar: Wer wirklich verstehen will, worauf die östlichen Methoden abzielen, muss zuerst die Verbindung mit seinem Unterbewusstsein herstellen. Um zu seinem wahren Antlitz zu gelangen, müsse sich der abendländische Mensch von seiner förmlichen Dunstwolke der Selbstberäucherung verabschieden und aufhören, seine Illusionen von unserer inneren Schönheit der unbarmherzigen Wahrheit vorzuziehen.
Diese »unbarmherzige Wahrheit« bestand für Jung darin, dass »dem abendländischen Menschen nichts Religiöses mehr geblieben sei als die historische Gestalt Christi, ein umstrittener Gottesbegriff und dogmatische Glaubenssätze, die zunehmend mehr Menschen zunehmend weniger annehmen können.« Aus diesem Grund sei der abendländische Mensch in eine Schutzlosigkeit hinausgestoßen, von der sein vernünftiges Bewusstsein nicht nur nichts weiß, sondern auch nichts wissen will. Unfähig, das heutige Leben in seiner vielseitigen Fülle zu umfassen und zu deuten, sei die einzige Bewegung, die ihm ab und zu noch entgleite, ein stilles Suchen; ein heimliches Greifen nach den wirkenden Bildern, welche die Beunruhigung von Herz und Sinn zu befriedigen vermögen. Insgeheim wisse er: Ohne Seele geht es nicht.
Aus Angst, noch die letzte Verbindung zu ihr zu verlieren, greifen immer mehr Menschen nach allem, was ihrem Dürsten entgegenkommen könnte: Sie entfalten, so Jung, einen hemmungslosen religiösen Eklektizismus, verfolgen extravertiert-materialistische Einstellungen oder begeben sich nun mal auf die Spur indianischer und afrikanischer Heilswege. Dabei geraten sie nicht selten in eine psychische Abhängigkeit von diesen Heilswegen und ihren Verkündigern — eben weil sie zu schnell und zu bedenkenlos »die letzten Brücken zu ihrem christlich-abendländischen Seelengrund« abbrächen. Auf diese Weise leide der abendländische Mensch nicht nur an einer »seelischen Ichschwäche«; er laufe Gefahr, »statt einer befruchtenden Begegnung mit dem Osten einer Inflation zu erliegen« und sich selbst zu verlieren.
Was Jung ablehnte, war also nicht »die lebendige Begegnung mit dem Osten«, es war die blinde Übernahme und Nachahmung seiner religiösen Ausprägung. Sich die von einer fremden Kultur genährten Symbole unhinterfragt überzustülpen, bezeichnete er als »geistige Bettelei« und »Mummenschanz«. Der Weg zur Selbsterfahrung führe allein durch die höheren Schichten der eigenen Seele und nicht durch das Anempfinden anderer Kulturen. Ihre Imitation verkörperte für Jung »nicht den Weg zur Erneuerung, sondern zu Neurose und Krankheit«. Den Weg zur eigenen Seele wieder herzustellen — darin läge unsere Aufgabe, die uns nur der Osten aufzeigen könne. Vorab jedoch müssten wir erst lernen, uns so anzunehmen, wie wir sind. Dies bedeute »freiwillige Bankrotterklärung, das Gelübde der Armut und Enthaltung im neueren Sinne, sogar den schmerzlichen Verzicht auf die Gloriole von Heiligkeit«. Es hieße »Verzicht auf die christliche Überheblichkeit gegenüber andern Religionen«.
Im Strom des Erwachens
Die Energie, die Jung meinte, wenn er davon sprach, etwas ließe den Menschen ruhelos werden und ihn nach etwas Höherem suchen, heißt Kundalini. Die Kundalini, so lässt sich allgemein sagen, entspringt demselben Archetyp wie die von Jung geprägte Anima. Beide seien Urbild »der Verlorenheit und des Drangs nach Heimkehr der menschlichen Seele«. Ihre Erfüllung sei das, was das Leben lebenswert macht. In wem die Kundalini beginne »aufzusteigen«, der könne nicht anders, als anzufangen, sich Fragen zu stellen: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist der Zweck des Lebens? Oder mit Jungs Worten: Der Anfang des Kundalini-Erwachens ist der Anfang der eigenen Individuation. Und je weiter die Kundalini erwacht, desto stärker treibe sie den Suchenden dazu, mittels Spiritualität und spiritueller Praktik das bloße Fragen zu überschreiten und stattdessen selbst tätig zu werden.
Doch fangen wir von vorne an: Die Kundalini, auch Kundalini Shakti genannt, bedeutet so viel wie »die Aufgerollte; die schlafende Schlangenkraft; die durch Ringe (Kundala) Charakterisierte; die (im Ausgangsstadium) in 3½ Windungen am unteren Ende der Wirbelsäule aufgerollte Energie; die schöpferische Kraft im Menschen, die durch Kundalini Yoga erweckt werden kann«. Ihr zufolge ist der Mensch absolutes, reines Bewusstsein, auch Shiva oder Parama Shiva genannt, das über die gesamte kosmische Urenergie, Shakti, verfügt. Alles, was im äußeren Universum, im großen Kosmos, existiere, existiere auch in uns, in unserem kleinen Kosmos, dem sogenannten Kshudra Brahmanda. Die kosmische Shakti manifestiere sich hierbei im menschlichen Körper in zweierlei Weise: als Kundalini und Prana.
Prana, so heißt es, ist unsere äußere Energiequelle. Wir nehmen sie über Nahrung, Getränke, das Sonnenlicht, über das Zusammensein mit anderen, über die Erde und ihre Schwingung auf. Die Kundalini wiederum ist unsere innere Energiequelle, die ständig Pranaströme in unser System leitet. Im Kundalini Yoga lernt man, das eigene Prana – das in diesem Fall auch als unser feinstofflicher Körper zu verstehen ist – zu erhöhen, bzw. zu stärken; beispielsweise durch eine verbesserte Atmung oder das Einstimmen auf eine kosmisch höhere Schwingung. Damit bedeutet Prana weder Geist, noch Psyche, noch Physis – sie ist das Medium, »das alle Körperebenen verbindet, eine kosmische Intelligenz, die alles und jeden durchdringt«.
Und insofern in den Upanishaden den von pranah geschaffenen Lebensströmen obendrein nachgesagt wird, sie seien satyam, also eine »Wirklichkeit, die von etwas noch Tieferem getragen wird«, bestünde ein anderer Weg, sich der Realität aller Realitäten zu öffnen, darin, die eigenen Nadis, die Energiebahnen, durch welche Prana, die Lebensenergie fließt, zu reinigen, um das Prana besser fließen zu lassen. Erst wenn wir gelernt haben, unsere Chakren zur Aufbewahrung von Prana zu öffnen und wie wir Zugang finden zu deinen tieferen Energien; erst dann seien wir bereit, unsere Kundalini zu aktivieren, sodass mehr Prana durch uns hineinströmt. Diese Erkenntnis, dass weder unser Körper noch unsere Seele ein abgeschlossener Energieball ist, sondern vielmehr einem unendlichen Strom an Energie unterliegt, der sich einzig in uns manifestiert; den wir folglich nicht verkörpern oder haben, sondern der wir sind; das ist Kundalini. (Der Sinnhaftigkeit einer persönlicheren und erfahreneren Einordnung wegen, finden Sie im Folgenden zwei Videos meiner guten Freundin Anna Nagel).
Während es für Jung beinahe gleichbedeutend war, das Unbewusste zu aktivieren, oder die Kundalini zu erwecken, heißt es zumindest für das Kundalini-Erwachen, es sei auf drei Wegen zu erreichen: aus heiterem Himmel, durch regelmäßige Praktiken, gleichgültig welcher spirituellen Art, oder durch systematisches Praktizieren von Kundalini Yoga. Wem nicht das Glück eines spontanen Durchbruchs gegeben war, dem standen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte harte Praxis bevor. Viele Suchende fragten sich also, ob es nicht noch einen anderen Pfad gäbe, einen einfacheren, einen schnelleren. In seinem Buch »Im Strom des Erwachens« verweist Schwery auf diesen vierten Weg: die Energie-Übertragung durch »den Meister«. Diese möchte ich im Folgenden vertiefen, da ich ihr Verständnis für essenziell halte, um rückwirkend den anfänglichen Gedanken Jungs zu verstehen: Weder im Hinduismus, noch beim Yoga oder der Kundalini geht es darum, blind Praktiken zu übernehmen. Es geht darum, sich zu öffnen für die Wirklichkeit und empfänglich zu werden für das, was diese Welt in ihrem Innersten zusammenhält.
Und zugleich es dabei die Frage danach ist, ob der Weg zur Erleuchtung und damit auch zu sich selbst durch einen Meister geschehen muss, oder überhaupt nur sollte, bin ich der Auffassung, es wäre schade, denselben Fehler fortzusetzen, indem wir den Missbrauch des Westens an seinem Begriff gleichsetzen mit dem, was innerhalb uralter Traditionen eigentlich mit ihm gemeint war: Ein Guru oder Meister, der seine Macht nicht missbraucht, ist Mittel, nie Selbstzweck. Er dient als Türöffner für all diejenigen, die wie Jung richtig sagt, abgeschnitten sind und auch über keinerlei »Anleitung« verfügen, wie sie den Zugang zum Alleinheitsbewusstsein (wieder) herstellen können. Der Weg nach Innen kann von Innen oder Außen geschehen. Darauf kommen wir noch am Ende dieses Textes, wenn ich auf den Unterschied von Jungs Analytischer Psychologie und dem im Folgenden erklärten Weg des Siddha-Yoga eingehe. Bis dahin glaube ich, können wir nur dann wirklich verstehen, wenn wir offen bleiben, uns freihalten von begrifflichen Anhaftungen und Vorurteilen. Nur so kommen wir zu unserer eigentlichen Frage: Was bedeutet es, wahrhaft zu »erwachen«?
Siddha-Yoga als Erfahrungsweg
»Der Mensch sammelt so viele Dinge, um glücklich zu werden, aber er weiß nicht, was wahres Glück ist. Er will eines andern Seele heilen, weiß aber nicht, wie die eigene in Ordnung bringen. Er erfindet wunderbare neue Dinge, aber er weiß nicht, wie die Schätze in seinem Inneren entdecken. Er fliegt auf den Mond, aber den Weg in seine innere Welt kennt er nicht. Er kennt alles außer sich selbst.« — Swami Muktananda
Der wohl bekannteste Lehrer für Shaktipat, eine Form der sogenannten Kundalini-Erweckung durch Energieübertragung durch »den Meister«, war Swami Muktananda. Ende der 70er und Anfang der 80er war er einer der einflussreichsten Yoga Meister Indiens, wo er eine Form des Kashmir Shaivismus lehrte und das Siddha-Yoga begründete. Hierbei bilde, so betont auch Walter Schwery, der Weg des Siddhas als »spontaner innerer Prozess, der mit der Erweckung der Kundalini beginnt«, jedoch keine Sekte, keinen Kult und auch keine Religion, sondern eine Technik. Als »jene alte Weisheit, die von vollkommenen Wesen zu allen Zeiten und in allen Völkern vermittelt wurde«, gehöre Siddha-Yoga nicht nur allen, sondern sei auch jenseits aller religiösen Formen. Seine Essenz bestünde allein in der individuellen »Erfahrung des göttlichen Bewußtseins, des Selbst, das im Innern eines jeden Menschen verborgen ist«.
Die Welt, wie wir sie sehen, so Muktanandas Überzeugung, sei eine Täuschung. Sie entspringe dem dynamischen Spiel der Chiti, der bewusst göttlichen Energie, dem dynamischen Aspekt des Absoluten. Der Siddha-Schüler, der das erkenne, habe sein Sadhana erfolgreich zu Ende geführt: »Er habe das Bewußtsein der Gegenwart der Mutter Chiti in seinem Herzen erworben; das Bewußtsein um die Identität des Absoluten mit der Einzelseele sei ihm zur Selbstverständlichkeit geworden. Er sei nun ein wahrer Nachkomme der Siddhas, denn er habe seine Erfüllung erreicht. Zwar führe er sein normales Leben wie jeder andere, doch sei sein Tun geläutert, da er jetzt im Heil stehe. Man mag ihn manchmal für verrückt halten, doch genieße er unablässigen tiefen innern Frieden. Er sei befreit, obschon er noch im Körper lebe. Er habe erlangt, was er zu erringen ausgezogen war. Indem er erkannte, daß das einzig zu enthüllende Geheimnis sein eigenes Selbst war, habe er Shiva in sich selbst gefunden.«
Wohlwissend, dass ein wirklicher Guru nicht Macht, sondern Liebe bedeutet, bestand für Muktananda die erste Pflicht des Menschen darin, sich selbst kennenzulernen. Erst in der Selbsterkenntnis werde »er alles andere in seinem wahren Wert erkennen und wahres Glück erfahren«. Durch »gurukripa, die Gnade des vollkommenen Meisters«, wollte er dem Schüler einen einfachen Pfad, eine »Abkürzung abseits des unzugänglichen Wegs des Sadhana«, der eigentlichen Praktiken zur Erlangung der höchsten Wahrheit, der höchsten Weisheit, zeigen. Den Weg dazu wolle ihm die Botschaft der Siddhas weisen, deren Spuren bis in mythische Vergangenheit zurückführten. Ihre Tradition besagt, dass der Mensch, »obschon das Göttliche potentiell in ihm wohnt, ohne die Hilfe und die Gnade eines lebenden Gurus keine Befreiung erreichen« könne und es auch keinen Ersatz für seinen sogenannten »Gnadenstoß« gäbe. »Der Guru«, so schreibt Schwery, »ist dem Schüler auf seinem Weg das Vorbild, weil er im Höchsten Sein unmittelbar verankert ist. Er ist es, der den Prozeß im Schüler in Bewegung setzt, indem er auf ihn seine spirituelle Energie überträgt (Shaktipat), um ihn dann auf immer auf seinem Sadhana zu begleiten, bis er schließlich ihm gleich geworden ist.«
Ebenso wie ein Leben ohne Prana nicht möglich sei, sei es laut Swami Muktananda auch »ohne Guru praktisch kaum durchführbar, wirkliche Erkenntnis zu erlangen, die innere Kraft zu entwickeln, das Nichtwissen zu überwinden und das dritte, das geistige Auge zu öffnen.« Ihm zufolge bräuchten wir den Guru dringlicher als einen Freund, den Sohn, den Bruder und sogar mehr als den Ehepartner. Wir benötigten »ihn dringender als Wohlstand, Maschinen und Fabriken, Kunst und Musik, noch mehr als unsere Gesundheit und sogar mehr als das Leben selbst. Er überwacht die Wiedergeburt des Menschen, verleiht ihm Wissen, schickt ihn auf die geistige Reise und entfaltet die Liebe zu Gott in seinem Herzen. Er ist die Segenskraft, die unser inneres Shakti zur Entwicklung bringt.«
Im Reich der Ewigkeit
»Wer aus dieser Welt scheidet, ohne seine eigentliche Welt erkannt zu haben, dem nützt diese, weil sie nicht erkannt ist, so wenig wie der Veda, den man nicht studiert hat, oder eine Arbeit, die man nicht getan hat.« — Brihad-Aryanka-Upanishad
Hinsichtlich des allgemeinen Erwachens richtet sich Siddha-Yoga hauptsächlich auf zwei große Philosophien: den Vedanta und den Kashmirischen Shaivismus. Diese Systeme sollten dem sadhaka, dem Schüler, dabei helfen, »das Allgemeingültige in seinen persönlichen Erfahrungen sowie deren Ort oder Stufe auf seinem inneren Pfad zu erkennen«. Sie seien »die Mittel, welche ihm helfen sollen, Unwissenheit als Ursache seiner Verlorenheit zu beseitigen«. So vertreten beide Philosophien, was die Grundsätze ihrer Lehren beträfe, ähnliche bis identische Standpunkte: »Beide beruhen auf der Grundlage eines reinen Monismus und setzen als einzige Realität ein absolutes Selbst in seinem transzendenten Aspekt voraus. Beide betrachten die Befreiung der Seele aus ihren Zyklen von Tod und Wiedergeburt als letztes Ziel und als Sinn menschlichen Lebens. Und beide Schulen sind sich schließlich auch einig darüber, daß der Weg zur Befreiung in der wahren Erkenntnis des absoluten Selbst liegt.« Erst in der Frage nach der Realität dieser Welt weichen sie grundsätzlich voneinander ab: Nach dem Vedanta sei »die Welt eine Illusion, während sich der Kashmirische Shaivismus auf den Standpunkt stellt, die Welt sei eine verdichtete oder eingeschränkte Form des absoluten Bewußtseins. Sie sei deshalb real für die Zeit, in der sie existiert, ein Standpunkt, den auch Swami Muktananda einnimmt und der für den Menschen von erheblicher praktischer und psychologischer Bedeutung ist.«
Dem Vorwurf, aufgrund seiner vielen Bezüge zu abendländischer Philosophie und Mystik ebenfalls eklektizistisch zu sein, durchaus bewusst, antwortete Muktananda auf die Frage, was der Vedanta (wörtlich »Ende des Wissens«, die Philosophie des Absoluten und der Einheit) eigentlich sei:
»Vedanta ist wir selbst, nichts anderes… Ohne Kenntnis des Vedanta kannst du dein eigenes Selbst nicht erkennen; du kannst keine Erfahrung innerer Liebe haben. So wie wir die Existenz verschiedener Objekte in einem Raum ohne die Hilfe des Lichts nicht erkennen können, so können wir ohne die Hilfe des Vedanta auch nicht begreifen, was uns geschieht. Das Studium des Vedanta soll dem Siddha-Yoga-Schüler jene Erkenntnis universaler Zusammenhänge vermitteln, die es ihm ermöglicht, sich auf seinem inneren Erfahrungsweg zu orientieren. Denn – wie es Christian Morgenstern sagte – wer vom Ziel nichts weiß, kann den Weg nicht wissen. Der Vedanta beseitigt die Unwissenheit über das Ziel unseres Lebens und weist den Weg dahin. Er zerstört die Verhaftungen in etwas, was nie war, und läßt das erreichen, was der Mensch schon immer hatte. Atma tu satatam - das Selbst ist immer schon erreicht.«
Damit sei Vedanta folglich keine bloße Theorie, sondern eine praktische Heilslehre. Sie legt dem Suchenden nicht nur nahe, sich in spirituellen Praktiken zu üben, sondern gibt auch Hilfestellung bei der Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen (viveka), der Entsagung (vairagya), einem spirituellen Leben (shatkasampatti) oder der Sehnsucht nach Befreiung (mumukshuttva), wobei letztere nicht als Rastlosigkeit verstanden werden darf. Rastloses Denken beweise »bloß mangelnde Beherrschung und mangelnden Glauben an das Vorhandensein der Wahrheit.« Ohne Bhakdi, die Hingabe sei keine Befreiung möglich. Ohne sie versande »der Suchende leicht in trockenem Intellektualismus und in rein spekulativer Philosophie, mit der er das Ziel, die Erkenntnis seines wahren Selbst, nicht erreichen kann«. Dem Vedanta zufolge ist der Kosmos ein Ergebnis des Nichtwissens: Erst wenn der Mensch akzeptiere, dass er, solange er Mensch ist, sich den Gesetzmäßigkeiten dieser Welt nicht entziehen kann, und die Seele ihre wahre Natur als Absoluten Brahman erst dann erkennen kann, wenn sie sich auflöst, sei er dazu bereit, das Universum als das zu erkennen, was es Vedanta zufolge ist: »eine Illusion, als Maya, als ein Produkt der Unwissenheit, avidya«.
Pati oder das Wesen der höchsten Realität
»Wer das ewige Leben sucht, der muß den Ort suchen, wo ursprünglich das Wesen und Leben entspringt.« — Richard Wilhelm
Wie zuvor bereits erwähnt, ist für den Kashmirischen Shaivismus, anders als für den Vedanta, die Welt keine Illusion, sondern eine verdichtete oder eingeschränkte Form des absoluten Bewußtseins. Seinen Kern bilden daher drei Begriffe: pati (Gott der Herr), pasu (die gefangene, an die Wiedergeburt gebundene Seele – pasu heißt alles, was angebunden ist) und pasa (die Fessel, der Strick, die Schlinge, die uns gefangen hält). Dabei hat die Realität des absoluten Bewusstseins viele Namen wie pati (der Herr), chaitanya (Bewußtsein), parasamvit (höchste Erfahrung), paramashiva (der höchste Gott), um nur einige zu nennen.
Doch obschon diese höchste Realität, hier paramashiva genannt, nur eine Wirklichkeit ist, hat sie zwei Aspekte: Shiva und Shakti, bzw. prakasha und vimarsha. Prakasha (Licht) verkörpere das Prinzip der Selbstoffenbarung der höchsten Realität als Shiva. Vimarsha (Erfahrung) oder shakti ist wiederum »jener Aspekt, der das Licht der Selbstoffenbarung benutzt, um sich unmittelbar als Ich wahrzunehmen. Shakti bedeutet einerseits die Erfahrung oder Selbsterfahrung jenseits der Manifestation des Universums, ist aber als die universelle Energie gleichzeitig auch dessen Schöpferin. Alles Existierende ist demzufolge nur eine Manifestation des immanenten und kinetischen Aspekts dieser pati oder paramashiva genannten höchsten Realität.«
Die Kraft, die den unendlichen Shiva als den endlichen Parusa erscheinen lässt, ist maya: »Sie ist weder die materielle Ursache des Universums noch das Prinzip der Illusion. Sie ist jenes Prinzip, welches das andere vom Ich trennt und die Dinge unterscheidet. Dadurch webt sie jenen Schleier über das Selbst, der es seinen wahren Ursprung vergessen läßt und den Sinn der Unterscheidung hervorbringt. Sie bedingt durch ihre Hüllen oder kancukas die Erfahrung der beschränkten Wesen. Kancukas sind die beschränkte Macht der Attribute Gottes, nämlich beschränkte Fähigkeit (kalaa-tattva), beschränktes Wissen (vidya-tattva), der Wunsch nach Dingen (ragatattva), Beschränkung durch Zeit (kaala-tattva) und Beschränkung durch Ursache, Raum und Form (niyari-tattva).«
Pasu oder die Verlorenheit der individuellen Seele
Pasu, das ist die individuelle Seele als zeitgebundener Aspekt Shivas und damit als mit Gott identisch. Die individualisierte, oder auch »aufgeteilte Seele hat aber dieses Einheitsbewußtsein verloren und ist darum wie eine Welle, die nichts mehr vom Meer weiß.« Verantwortlich für diesen Zustand der Losgelöstheit sei entweder avidya (vedisch) oder mala (Kashmirischer Shaivismus), oder übersetzt: Unwissenheit. Das Ziel des Kashmirischen Shaivismus besteht folglich darin, dem Individuum den Weg zur Erlösung aus diesem Zustand dadurch zu zeigen, dass diese erlebt und erfährt, dass Seele und höchste Wirklichkeit eins sind. Erst die Erkenntnis des Universums in seiner wahren Beschaffenheit führe zur Erlösung oder Wiedererkennung, da die Seele sich keine neuen Erkenntnisse erwerbe, sondern nur wiedererkenne, was sie immer schon war: »wesensgleich mit dem höchsten Bewußtsein«. Diese Einsicht führe folglich zu keiner Negation des Universums, sondern zur eigenen Selbst-Verwirklichung im Sinne eines Bewußtsein über die Identität von Paramashiva und Purusha, durch prathiba, d. h. durch blitzartige Intuition. Schwery schreibt:
»Dabei ist die persönliche Anstrengung weniger wesentlich als der göttliche Wille. Denn Gott, dessen eigentliches Wesen den Seelen verborgen ist, kann, sobald sie ihre Rolle im samsara vollendet haben, ihnen seine Gnade und dadurch moksha, Erlösung, erteilen. Solange wir nicht in dem ursprünglichen Zustand der Vollkommenheit und des reinen Bewußtseins aufgehen, sind wir ruhelos und leiden und bleiben Gefangene des Prozesses von Werden und Vergehen. Wir müssen zurück zur Quelle nach dem Mantra: so ham — das bin ich.«
Pasa als die Kraft, welche die Seele in Gefangenschaft hält
Als Pasa wird die bindende Kraft bezeichnet, die zugleich die Ursache dafür bildet, dass die Seele ihre Identität mit Gott nicht (mehr) erkennt. Diese Kraft wird auch als mala (Unreinheit, Flecken, Staub, Dreck) bezeichnet und ist von dreifacher Art:
»anava-mala ist die egoistische Sicherung unserer Individualität als Mann, Frau, Wissenschaftler, jung usw., als Folge der menschlichen Unwissenheit (ana bedeutet klein, Atom). Das Vergessen seines wahren Wesens ist die Erbsünde, mit der der Mensch belastet ist. Nach dem Kashmirischen Shaivismus ist dies die Sünde Gottes, aber wir sind es, die leiden.
mayiya-mala ist die durch maya bedingte Begrenzung und die Ursache aller Körper. Solange man in seinem Körper bleibt, ist man mit maya-Unreinheit behaftet.
karma-mala ist das kosmische Spiel selbst, Aktion und Reaktion als eine Kette endloser Bewegung und die Ursache, daß der jiva, die individuelle Seele, von einem Leben in ein nächstes hinübergeführt wird.«
Die Unreinheit (pasa oder mala) als Wurzel unserer Gefangenschaft ende erst, wenn die reine »Shivaschaft« der Seele wieder hergestellt ist. Dieses Phänomen heißt bhairava. Gelinge es einem, es andauern zu lassen, so sei man vom Endlichen befreit und erkenne Gott in sich selbst. Ein Befreiungsweg, upaya, den wir, so heißt es, ohne die göttliche Segenskraft und Gnade nicht beschreiten können und für den der Kashmirische Shaivismus vier Wege aufzeigt:
»In anupaya verwirklicht der Sucher sein Selbst durch bloßes Hören des Worts des Gurus, durch intensives Shaktipat. Die Vorsilbe an in anupaya meint in diesem Zusammenhang sehr wenig oder fast nichts. Auf diesem upaya hat der Sucher beinahe nichts zu tun. Der Weg ist die unmittelbare Erkenntnis seiner wahren Natur durch die Gnade des Guru.
shambava-upaya ist dadurch gekennzeichnet, daß durch Willenskraft das ständige Bewußtsein der eigenen Göttlichkeit aufrechterhalten wird, das schließlich zur Selbstverwirklichung, führt.
shakta-upaya ist Verwirklichung durch richtiges Verstehen oder Wissen, durch Meditation oder Kontemplation von Vorstellungen wie shivoham (Ich bin Shiva), so ham (Ich bin er), usw. Dadurch vereint er sein beschränktes Ich mit dem unbeschränkten Ich seines höheren Selbst, so daß Subjekt und Objekt zusammenfließen.
anava-upaya ist der Weg jener, die noch vorwiegend im Bewußtsein der Dualität leben. Es ist der Weg der praktischen Übungen und der persönlichen Anstrengungen wie Pranayama, Riten, Wiederholen von Mantras, usw.«
Befreiung im Sinne des Kashmirischen Shaivismus bedeutet somit, um noch einmal Schwery zu zitieren: »Erkenntnis (pratyabhijna) seiner eigenen wahren Natur, d. h. des ursprünglichen, eingeborenen, reinen Ich-Bewußtseins. Sie führt über die Einsicht, daß unser normales psychologisches Ichbewußtsein relativ ist. Reines Ich-Bewußtsein ist unmittelbares Bewußtsein, Bewußtsein an sich. Hat jemand dieses Bewußtsein, so kennt er auch seine wahre Natur, und das ist es, was mit Befreiung gemeint ist. Höchste Erfüllung ist also das, was auch als Shivabewußtsein bezeichnet wird, in welchem das ganze Universum als Ich oder Shiva erscheint. Dies geschieht durch Shaktipat, die Erweckung der shakti (anugraha), die Ausgießung der göttlichen Gnade.« »Die Trikalehrer«, so schreibt Schwery weiter, betonen zum Beispiel, »daß ein so befreites Wesen seine Individualität keineswegs verliert, auch wenn es die Einsicht erreicht hat, Parama-shiva zu sein. Es nimmt alle individuellen Wesen als eins mit sich selbst wahr. Nichts wird verneint, im Gegenteil, alles, das negative Bewußtsein eingeschlossen, wird im inneren Selbst des Adepten vereint. Die ganze Welt wird dann zur Verkörperung Shivas.«
Jungs Analytische Psychologie als Schlusswort
Der Vedanta und der Kashmirische Shaivismus, um an dieser Stelle wieder den Bogen zum Anfang des Textes zu schlagen, verkörpern demnach zwei Versuche, die Begrenzungen unseres Bewusstseins »vom Standpunkt des Absoluten aus zu sprengen und das persönliche Bewußtsein von daher zu einem Überpersönlichen, Kosmischen und Transzendenten hin zu öffnen.« Anders als im Individuationsprozess nach Jung, in dem es um eine größtmögliche Bewusstseinserweiterung geht, geht es »im Siddha-Yoga dagegen um eine Bewußtseinsänderung, das Aufgehen des persönlichen Bewußtseins in einem transhumanen Bewußtsein, im Selbst.« Lassen sich Ausgangspunkt und Ziel beider Wandlungswege demnach insofern als identisch bezeichnen, dass beide vom Ich-Bewusstsein ausgehen und sich beide auf das Selbst zubewegen, bestehen in ihrer Praxis grundsätzliche Unterschiede: So mag Jung den Begriff des Selbst und seine Hinweisung auf die Weltseele Atman zwar aus dem Osten übernommen haben, doch das Wissen um das zu erreichende Ziel als Ausgangspunkt seines Wandlungsprozesses gilt allein für den Sidda-Schüler.
Eine derartige »Vorwegnahme des Endziels« jedoch liegt der Konzeption des von Jung angedachten Individuationsweges fern. Für ihn war »der Individuationsprozeß die Arbeit an der Psyche als eine Wegbereitung für eine geistig-sittlich-religiöse Ausrichtung auf das Endziel, nämlich die psychische Ganzheit oder das Selbst. Diese Ganzheit ist eine Folge und nicht – wie im Osten – der vorgegebene Inhalt der Wegbereitung.« Weil seiner Auffassung nach nicht jedem analytischen Prozess das Ziel der Ganzheit zugrunde liege, stehe es einem Analytiker – anders als dem Guru – auch nicht zu, bestimmtes »Wissen« in den Patienten »hineinzupflanzen«. Das Ziel der Psychoanalyse bestehe vielmehr darin, dass dieses auf natürliche Weise in dem Suchenden wachse. Sie selbst sei schließlich keine Weltanschauung, sondern eine Wissenschaft, die als solche nur Bausteine oder Werkzeuge liefern dürfe, mit der sich eben eine Weltanschauung aufbauen, oder gegebenenfalls auch niederreißen lässt.
Diese strengere Unterscheidung zwischen Ziel und Weg hinderte Jung allerdings nicht daran, zu erkennen, dass ein »echter Zugang« zu diesen Philosophien dem westlichen Menschen folglich nur dann möglich sei, wenn er dazu bereit ist, »die Relativität seiner Ich-Position einzusehen«. Diese, dem Tod des eigenen Egos nahekommende, Position setze jedoch jene spirituelle Reife voraus, die Jung dem Westen, wie zu Beginn bereits erwähnt, noch nicht zuzugestehen vermochte. Seine analytische Psychologie betrachtete er demnach mehr als dritten, als »mittleren Weg«. Mit ihr habe er den psychologischen Weg der Individuation geschaffen, der in unserer Zeit wohl als erste wirkliche Alternative zum östlichen Yoga bezeichnet werden dürfe. Ähnlich dem Yoga bilde sie die Brücke zwischen unserer »äußeren Realität und der inneren transzendenten Welt – dem Para-Aspekt dieser Welt«.
Jung zufolge müsse der westliche Mensch diese Realitäten unbedingt als Prämisse annehmen, wenn er überhaupt leben wolle. Ohne das persönliche Leben, ohne das Jetzt und Hier, könne er nicht zum Unpersönlichen gelangen. Das Persönliche müsse sich vollenden, damit der Prozess des Unpersönlichen eingeleitet werden kann. Erst indem wir zugelassen hätten, dass sich unser Ich so stark mit den heutzutage vorherrschenden sogenannten »Realitäten« identifiziert, hätten wir vergessen, dass hinter aller Kultur noch die Gottheit, das Unpersönliche steht. Und erst wenn wir anfangen, dies wieder zu erkennen, sind wir imstande zu sehen, dass »vom Ganzen der Psyche aus gesehen, unsere Wissenschaft in den Bedingtheiten des persönlichen Bewußtseins ihre Begrenzung findet« und erkennen uns stattdessen selbst als Träger des schöpferischen Bewusstseins.
Die Verbindung von Anima, Kundalini und unserem Unterbewusstsein mit dem, was wir als Wirklichkeit verstehen, bildet dementsprechend den entscheidenden Punkt: Der Kundalini wird oft nachgesagt, sie sei »latente Energie«. Das ist, insofern man hier von richtig und falsch sprechen darf, ein Irrglaube. Die Kundalini Energie kann nicht wirklich »schlafen«. Würde die Kundalini schlafen, wären wir tot. Was wir wahrnehmen, ist folglich eine Art »Animationsqualität« der Kundalini. Sie kann »schlummern«, allerdings nicht in dem Sinne, das wir sie »aktivieren« müssten. Faktisch ist die Kundalini immer »wach« und immer aktiv, auch wenn sie schlummert. Sie kann allein aus dem Grund nicht in uns wirken, weil wir uns ihr widersetzen, weil wir sie unterdrücken. Weil wir ihr, bewusst oder unbewusst, den Anschein vermitteln, dass sie nicht gewollt ist. Entweder weil wir unser Bewusstsein lieber um andere Dinge kreisen lassen, lieber in der Beobachtung verweilen als ins Durchleben zu verfallen, oder schlicht aus dem Grund, weil wir uns ihr nicht gewachsen fühlen.
Die einzige Frage, die wir uns dementsprechend zu stellen haben lautet: Wie und wieso widersetze ich mich dem Leben? Niemand von uns ist auf dieser Welt ohne einen Grund. Und indem die Kundalini unser kreatives Potenzial enthält, verhindern wir dadurch, dass wir sie unterdrücken, dass wir unseren eigentlichen Zweck hier auf Erden erfüllen können. Den Zugang zur Kundalini zu finden, bedeutet folglich nicht, sie zu aktivieren, es bedeutet, uns von unseren Widerständen zu befreien.
Genaue Seitenangaben kann ich auf Anfrage gerne nachreichen.
Schwery, Walter (1988): Im Strom des Erwachens. der Kundaliniweg des Siddha-Yoga und der Individuationsprozess nach C. G. Jung. (Ansata-Verlag, P. A. Zemp).
Herzlichen Dank auf dieses interessante Buch eingegangen zu sein, das mir nicht bekannt war. Ein spannender Ansatz den Bogen von C. G. Jung zur indischen Weisheit zu schlagen, über den man tiefer nachdenken kann.
In Ermangelung der Kenntnis von Schwery's Werk kann ich nicht beurteilen ob dieser Beitrag eine Vereinfachung oder ein Verkomplizierung der grundlegenden Gedanken und Annahmen bedeutet. Generell aber ist die Darstellung des grundlegenden Prozesses, den wir "Leben" nennen und dessen Einordnung in das Universum - egal ob dieses nun real oder fiktiv oder eine Mischung aus beidem ist - deutlich zu kompliziert, zu komplex und m.E. zu stark verwissenschaftlicht und verkopft.
Diese - oft gewollte - Verkomplizierung ist am Ende nur eines: Schranke oder Eintrittstor mit unterschiedlichen Torwächtern. Und damit sehr schnell ggf Rückbezug in die aktuelle 3D-Welt, denn die Torwächter verkörpern am Ende wieder Macht - und wenn es nur eine liebende Macht ist.
Leben ist viel einfacher und das weiss ich aus mir und meinem Weg seit vielen Jahren.
So fantastisch, so belesen, so sprachlich hervorragend, so weise und so vollumfassend diese Darstellung ist, sie ermangelt des Wichtigsten.
Was ist das Wichtigste?
Einfachheit.
Weniger ist mehr - gerade wenn man Leben lernen und lehren möchte.
anupaya, shambava-upaya, shakta-upaya und anava-upaya sind am Ende nur Ablenkungen vom einzig richtigen, aber für jeden Menschen unterschiedlichen Weg, denn zweifelsfrei richtig ist, dass Kundalini niemals schläft.
Wenn von den vier Definitionen eine gewählt werden müsste, würde ich am ehesten zur Beschreibung des richtigen Lebens diese wählen:
"shambava-upaya ist dadurch gekennzeichnet, daß durch Willenskraft das ständige Bewußtsein der eigenen Göttlichkeit aufrechterhalten wird, das schließlich zur Selbstverwirklichung, führt."
Denn diese stellt den beseelten Menschen in den Mittelpunkt und degradiert ihn nicht zum Werkzeug. Und dies ist der richtige und der einzige Weg. Wobei "einzige" bitte nicht falsch verstanden werden darf - keine zwei Wege sind gleich.
Und dies ist zugleich ein Weg, der Gurus, Coaches, Trainer und sonstige Dritte obsolet macht, weil es der Weg der Selbstermächtigung ist, ein Weg, auf dem ich Menschen seit vielen Jahren begleite.
Ich nenne diesen Weg GRENZENLOS LEBEN und ich weiss, dass dieser Weg ganz EINFACH die Einheit des Menschen herstellen kann, weil er den Worten ein-sam und all-ein Sinn gibt.
Ich kann dies hier nicht weiter darlegen, wen es interessiert, der findet bei mir viele Gedanken und Anregungen hierzu.
Abschliessend noch ein grosses Lob für die wieder einmal sehr stimmige Illustration mit grosser Kunst.
Danke.