«Wenn Corona-Minister Lauterbach jetzt über Nacht vom Rauschgift-Saulus zum Hanf-Paulus wird, dockt er damit koalitionsintern beim linken/liberalen Flügel an – nicht aus Überzeugung, sondern weil es taktisch sinnvoll erscheint, nach der ins Totalitäre gedrifteten Gesundheitspolitik auch wieder mal eine freiheitlich-fortschrittliche Karte zu spielen.»
Lieber Mathias,
Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich für meinen Teil bin sehr hellhörig geworden, als Lauterbach und Konsorten letzten Herbst beinahe über Nacht ihre jahrelange Cannabisfeindlichkeit abzuwerfen schienen und wie selbstverständlich in Talkshows davon anfingen, ihre Pläne bezüglich einer freien Abgabe als auch einem begrenzten Eigenanbau zu «verteidigen». Versteh mich nicht falsch; dem Konsum von Gras und Haschisch stehe ich neutral bis wohlgesonnen gegenüber. Was mich skeptisch macht, sind die Umstände: In Zeiten der Wut, Verzweiflung und Ohnmacht eine Droge zu legalisieren, durch die das Leben zwar leichter scheint, deren Verteufelung sich aber schon länger als ein Jahrhundert hält, erscheint zumindest mir als ein etwas zu «stimmiges» Zusammentreffen. Insofern sich nun mal auch – trotz «pandemischer Notlage», heruntergewirtschafteten Immunsystemen und mentalen Sinnkrisen – keine Argumentation bezüglich der Wirksamkeit von Cannabinoiden gegen Krebs, Depressionen oder Alzheimer auftut, wirkt das Ganze auf mich wie eine Fortführung der vergangenen drei Jahre: Etwas, das vorrangig der Regierung, dem Staat oder einer bestimmten Agenda in die Hände spielt, wird als Wohlwollen gegenüber dem Bürger verpackt.
In diesem Fall wäre dies für mich das «Sedieren» derjenigen, die noch so etwas wie Empörung verspüren, um wiederum Kritik als auch Aufstände an und gegen den aktuellen politischen Kurs in Rauch aufzulösen. Aus der Geschichte wissen wir schließlich, dass immer dort, wo die jeweilige Machtkonzentration ihren Rückhalt in der Zivilbevölkerung verlor, dieser einzig zwei Möglichkeiten der Machterhaltung blieben: Brot und Spiele oder eine Militärdiktatur. In Bezug auf die Cannabis-Legalisierung haben wir es, denke ich, mit Ersterem zu tun. Sie reiht sich ein in das ohnehin schon ablenkende wie ziellose Alltagsprogramm der Mehrheit – bestehend aus Netflix, Social-Media und Metaverse.
In deinem Buch «Die Drogenlüge» erwähnst du schließlich auch die Schlussfolgerung einer Finanzanalyse des britischen Weltreichs im 18. und 19. Jahrhundert: «Ohne Opium kein Empire». Sollten wir uns da nicht fragen, ob Cannabis zukünftig ebenfalls in diese Schublade der Mittel zur Bevölkerungskontrolle fallen wird? Was aber ist dann aus jenen «gegen Vernunft und Logik weitgehend immunisierten» Verteidigern der Cannabis-Prohibition geworden? In deinem Buch gehst du so weit, sie mit «heiligen Kriegern» zu vergleichen: Wie für alle Fundamentalisten seien auch für sie «jeder Kompromiss und jede schadensmindernde Realpolitik gleichbedeutend mit einer Kapitulation vor dem Bösen». Warum also jetzt? Wo sind diese Stimmen hin? Hat «das Böse» aufgehört zu existieren oder sind andere Überzeugungen plötzlich wichtiger (geworden)? Was meinst du? Mich würde sehr interessieren, ob du meine Beobachtungen teilst (und vielleicht sogar Antworten auf meine Fragen hast) oder ob du als jahrzehntelanger Befürworter einer Legalisierung dem aktuellen Gesinnungswandel eher positiv entgegenblickst.
Herzlich, Lilly
Liebe Lilly,
In der Parteipolitik wird gefeilscht wie auf dem Basar und was dabei herauskommt, sind oft oberfaule Kompromisse. Ich erinnere mich noch, als ich mit dem im Vorjahr verstorbenen letzten Aufrechten der «Grünen», Christian Ströbele, Mitte der 80er-Jahre bei der taz zusammensaß, und wir einige drogenpolitische Grundsätze für das Wahlprogramm aufschrieben. Als er dann einige Wochen mit der gedruckten Fassung wiederkam, war die Forderung nach Legalisierung von Cannabis verschwunden: «Der Vorstand hatte Angst, dass wir…
Mathias Bröckers ist deutscher Journalist, Autor von rund 71 Publikationen sowie Mitbegründer der taz. Während sein, gemeinsam mit Paul Schreyer verfasstes, Werk Wir sind die Guten (2014) Spiegel-Bestseller wurde, erlangten Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf (mit Jack Herer, 1993) und Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9. (2002) internationalen Kultstatus.
"letzten Aufrechten der «Grünen», Christian Ströbele"
das war ja eine optimistische einschätzung ;) Der gute spät-hipster mit den frohen wahlplakaten in Berlin, der mit dem auto einige 100 meter vor der demo anhielt, und den rest mit dem fahrrad weiterfuhr, um dann von der jungen zielgruppe als braver umweltheld gesichtet zu werden.
Die lange feindlichkeit einer substanz ggü., die zumindest bei sehr reichlichem konsum die arbeits/steuern/wirtschaftskraft reduzieren* könnte, als anlass eines verbots zu nehmen, machte so lang (potentiell) sinn, wie man dinge am optimalen funktionieren, am blühen, halten wollte.
Evtl. ist einigen aufgefallen, dass das nicht mehr zur heutigen maxime der lenker passt.
Irgendwie stehen alle zeichen auf "controlled demolition", licht aus, "einschläfern" dieser region.
Bei dem, was da noch kommt, ist selbst-sedierung vmtl. tatsächlich besser für eine funktionierende duldungshaltung der massen.
Bisher waren argumente gegen befürchtungen bzgl. drastischerer, weiträumigerer auswirkungen einer legalisierung ja: "in holland sind sie jetzt auch nicht alle kiffer".
Aber innerhalb des größten teils des beobachtungszeitraums hatten sich ja nicht zeichen der "abwicklung" (von teilen) des westens so klar gezeigt wie jetzt. Da könnten schon noch einige an der "medizin" geschmack finden.
Etwa auch jene, die sich im freien mit einer talismaske vor unsichtbarem unheil "schützen". Wenn der staat etwas absegnet, kann's ja vielleicht doch nicht so schlecht sein.
--
* von beobachtbarer allgemeiner gleichgültigkeit und antriebsarmut bei dauerkiffern mal abgesehen, zeige neuere forschung, dass THC den REM-schlaf blockiert (lt. Matthew Walker in einem podcast mit Joe Rogan, zu seinem buch "Why we sleep" - im buch selbst seh ichs grad nicht). Was das, auf dauer, für kognitive folgen haben mag, kann man sich ausmalen. Der volksmund hatte wohl nicht ganz unrecht mit seiner wahrnehmung, dass manche sich "doof kiffen".
Fand ich sehr schade, nicht die ganze Antwort lesen zu können😫