Und daß ein Pudel mir entsprang?
Selbsterkenntnis als Tor zu unserer Seele: Wir treten hinein, und der Teufel kehrt um.
«Der Teufel hat sie's zwar gelehrt;
Allein der Teufel kann's nicht machen.»
Mephistopheles, Faust I. V. 2376-2377
Dies ist der dritte Teil meiner Reihe zu Ahriman, Luzifer, Sorat und den Asuras. Nachdem ich im ersten Teil einen Überblick über ihre Absichten und ihr Wirken in der Welt und im Menschen gegeben habe; im zweiten Teil auf die aktuell durch Ahriman und die Asuras verursachte «Weltentrennung» sowie ihre Inkorporationen kurz nach der Geburt eingegangen bin, soll es in diesem Text um die Einfallstore des Teufels im Erwachsenenalter gehen.
«Allein bei meinem langen Bart
Fehlt mir die leichte Lebensart.
Es wird mir der Versuch nicht glücken;
Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken.
Vor andern fühl ich mich so klein;
Ich werde stets verlegen sein.»
Faust; Tragödie I. V. 2055-2060
Mephistos Lektionen
Das wohl beste Beispiel dafür, wie subtil und in den reinsten Absichten getarnt der Teufel auf sich aufmerksam zu machen weiß, ist Johann Wolfgang Goethes Tragödie vom Faust. Ihr Auftakt besteht schließlich in der Lebenskrise des alten Faust, durch die er dem Bösen, in diesem Fall «getarnt» als Mephistopheles, erstmals Zugang zu sich verschafft: Heinrich Faust, der in seinen jungen Jahren einseitig nur seine kognitiven Fähigkeiten entwickelt; die Entwicklung seines Seelenlebens jedoch vernachlässigt hat, verfügt über keinerlei sozialen Kontakte. Er mag eine höhere kognitive Reife erreicht haben, doch dies auch nur, weil er große Teile seiner Persönlichkeit verdrängt oder unterdrückt hat. Seither kompensiert er seinen Mangel an Fühlen und Wollen durch seinen scheinbar unstillbaren Erkenntnisdrang, der ihn, wie er konstaniert feststellen muss, auch zu keinen tieferen Einsichten führe sowie obendrein auch daran hindere, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Diesen Moment der Unzufriedenheit, darauf verwies schon Steiner, weiß Luzifer zu packen, indem er den erschöpften Wissensdurst und die Lebensmüdigkeit Faustens dazu nutzt, dessen inneres Getriebensein in sexuelle Begierde zu wandeln.1 Getrieben von der alt-alchemistischen Sehnsucht, inneres Wachstum gegen ewige Jugend einzutauschen, geht Faust auf Mephistos Angebot ein, ihn von seiner Ödnis zu befreien und für stetige Abwechslung zu sorgen, und schließt so den Pakt der Teufelswette.
Wie der Titel bereits verrät, zerlegt Friedrich Glasl in seinem Buch «Mephistos Lektionen» die in Fausts zweier Tragödien aufgeführten Machenschaften Mephistos in ihre Einzelteile; führt sie zurück auf ihre ursprünglichen Kräfte: Luzifer, Ahriman sowie zuletzt auch die der Asuras. Luzifer, wie bereits angesprochen, «stachelt das Triebleben des Menschen an und bläht sein Selbstbewusstsein durch Eitelkeit auf, verführt zu affektgetriebenen Taten». Sein Wirken am Faust findet vorrangig in Teil eins der Tragödie statt. Erst im zweiten Teil setzt Ahrimans Verdinglichung ein: Er rät Faust dazu, in die Staatsführung einzugreifen und schafft somit «Scheinlösungen für die Probleme, die später wirtschaftliche und politische Zerrüttung und einen Krieg heraufbeschwören». Die Schlüsselszene für das Sich-Einlassen mit den Asuras besteht schlussendlich in der «Übernahme der Heeresleitung in dem Krieg aller gegen alle, der eine Folge des Papiergeldes [Ahriman] ist»2. Es ist die perfekte diabolische Triade: Auf Verlangen, Lust und Rausch folgen Gier, Hybris und Missbrauch; bis Egoismus, Apathie und Amoral des Menschen Seele endgültig verdammen.
ㅤWie das eigene Seelenheil nun aber bewahren? Diese Frage stellt sich auch Glasl, indem er darauf verweist, wie sich am Beispiel der Faust-Tragödie erkennen lässt, dass nicht allein Mephistos charismatisch-humorvolle Angebote dazu führen, dass «sich Menschen individuell Schritt für Schritt in böse Taten verstricken lassen und wie sie zuletzt gewissenlos – d. h. Ich-los – zu Funktionären in mechanistischen sozialen Systemen werden»3. Für ihn ist klar: Nicht nur ist es der Mensch, «der das Denken des Mephistopheles zu seinem eigenen Denken macht und die Eingebung des Bösen in Taten umsetzt» — auch nur er könne, «moralisch und rechtlich schuldig werden, wenn er dem Bösen folgt»4. Diesem Gedanken folgend, führt Glasl als Treiber dieser «Teufelskreis-Mechanismen» vier Stufen an, auf deren Weg der Entselbstung der Mensch dazu übergeht, seinen Willen abzutreten: 1) geschwächte oder außer Kraft gesetzte Selbststeuerung der Akteure als Einladung zur affektgetriebenen Fremdsteuerung; 2) reziprokes Abwerten des jeweiligen Gegenspielers; 3) die Eigendynamik dieses Reiz-Reaktions-Musters führt zu Kurzschlusshandlungen, in denen die Akteure den Bezug zu den Folgen ihres eigenen Tuns verlieren; 4) die als unbefriedigend erlebte Diskrepanz zwischen ihren Absichten und erzielten Wirkungen führt die Akteure innerhalb ihres Konflikts in die «Dämonisierte Zone».5
«Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
Bist mit dem Teufel du und du»
Mephistopheles, I. V. 2584-2585
«Der Teufel hat hier weiter nichts zu sagen.»
Wenn Glasl von «Geistiger Präsenz», beziehungsweise von «Selbststeuerung» spricht, so meint er damit, «dass jemand das eigene lichtvolle Höhere Selbst und die Tiefen der eigenen Schattenpersönlichkeit bzw. des Doppelgängers umfassen kann». Das Unterlassen dieser Integrationshandlung, das wir bereits von Faust kennen, beschreibt er hingegen wie folgt: «Wenn einem Menschen das nicht gelingt, spaltet er Teile seiner Schattenpersönlichkeit ab. Er projiziert diese auf andere und bekämpft sie dort – weil es ihm leichter fällt, andere Menschen dafür zu rügen oder zu bestrafen, als an sich selbst und den eigenen Schwächen etwas verändern zu müssen.» So gängig und normalisiert dieses Muster einerseits für viele von uns ist, für die anderen wiederum das «Abdriften» ins «Höhere Selbst» und seine Vorstellung einer heilen, liebesdurchtränkten Welt seine Reize darstellt, beinhaltet für Glasl jedes Extrem seine Gefahren: «Zum einen kann jemand in der Beziehung zum Höheren Selbst einem luziferisch verzerrten Selbstbild aufsitzen, das illusorisch ist und die eigenen Schwächen und Schattenseiten nicht zur Kenntnis nehmen will; zum anderen kann jemand – ahrimanisch geblendet! – negative Rückmeldungen auf sein Verhalten, die er von anderen Menschen erhält, nicht zur Kenntnis nehmen.»6 Die «wesentlichen Elemente dieser Verstrickung» gliedert er wie folgt:
«Menschen erleben individuell und/oder kollektiv existenzielle Krisen, die für sie zur Überforderung werden, wenn sie die Spannung zwischen ihrem Höheren Selbst und ihrem Schatten bzw. Doppelgänger nicht mehr bewältigen können und sie ihre bisherigen Orientierungen verlieren.
Die Überforderung führt zu Einschränkungen der Selbststeuerung; durch den Verlust der Ich-Präsenz entsteht ein seelisches Vakuum, in dem anstelle des Ich regressive Mechanismen das Seelenleben und Handeln der Menschen bestimmen.
Luziferische Kräfte wecken in den Menschen Triebe und Begehrlichkeiten, die zur Befriedigung drängen; dabei wird anfangs die Stimme des Gewissens überhört, so dass sich die Menschen allmählich auf gravierendere böse Taten einlassen, bis sie sich so weit korrumpiert haben und die Stimme des Gewissens in sich abtöten.
Ahrimanische Kräfte inspirieren Individuen und Gemeinschaften zu einem geistfeindlichen, materialistischen Denken, und durch Resonanzwirkungen zwischen Menschen in einer ähnlichen Stimmungslage verstärken sich gegenseitig regressive Haltungen, die zu einer kollektiven Denkart werden.
Einige Menschen erleben, dass sie Macht über andere Menschen ausüben können, wenn sie deren animalische Triebe wecken und verstärken.
Menschen und Gruppen, die an die Macht gelangt sind, sichern ihre Position ab, indem sie auf der Grundlage materialistischen Denkens soziale Systeme als mechanistische Konstrukte schaffen, in denen gewissenlos gewordene Menschen zu bloßen ausführenden Werkzeugen des Willens der Mächtigen werden.
Die Mächtigen nutzen zur Rechtfertigung ihrer inhumanen Herrschaft und ihrer Rechtsbrüche höchste Ziele und Zwecke als Vorwand, damit der Zweck die Mittel heilige, wenn diese in Widerspruch zu den erklärten Zielen stehen.»7
Kurzum: Indem die Absicht der Asuras darin besteht, unsere reflektierende Beziehung und Selbst-Zeugenschaft zu zerstören, liegt die einzige Möglichkeit, wie wir uns unseres «Ethischen-Individualismus» – wie ihn Rudolf Steiner treffend bezeichnet hat – bewahren können, darin, uns der Zielrichtung für die Entwicklung unserer Bewusstseinsseele zu vergegenwärtigen. Und die Bewusstseinsseele, so Glasl, «bedeutet umfassende Geistesgegenwart: Das Ich eines Menschen ist als Bewusstheit gegenwärtig in seiner Wahrnehmung; es ist als Bewusstheit wirksam in seinem selbstgesteuerten besonnenen Denken; es lebt als ‹Selbst-Empathie› und Gelassenheit in seinem Fühlen; es waltet als Liebe zum Handeln in seinem Wollen»8. Indem Selbsterkenntnis meint, «dass wir in uns selbst möglichst unverfälscht unsere eigene Körperbefindlichkeit und unsere seelischen Regungen wahrnehmen», dass wir auch tiefere Einsichten in unsere Persönlichkeit haben, in unsere Stärken und Schwächen, unsere wunden und verwundbaren Stellen, unsere Ideale, Sehnsüchte, Motive und Ziele, bedeutet Selbsterkenntnis stets auch, sich darüber bewusst zu werden, «dass in unserem Inneren luziferische Kräfte am Werk sein können»9.
«Nun sind wir schon wieder an der Grenze unsres Witzes, da, wo euch Menschen der Sinn überschnappt. Warum machst du Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführen kannst? Willst fliegen und bist vorm Schwindel nicht sicher? Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?» Mephisto, I. Trüber Tag, Feld
Erst wenn uns diese Stufe an Selbstreflexion gelänge, seien wir auch dazu bereit, damit aufzuhören, unseren «Gegner» permanent abzuwerten. Nicht nur würden wir anfangen, darauf zu achten, «auch seine positiven Eigenschaften zu sehen und explizit zu würdigen», – wir würden obendrein erkennen, dass auch «wir zum Entstehen einer ‹Dämonisierten Zone› beigetragen haben könnten; deshalb nehmen wir Rückmeldungen des Gegners ernst, auch wenn diese Wirkungen betreffen, die wir nach bestem Wissen und Gewissen nicht so beabsichtigt haben; und wir geben zu verstehen, dass wir das eine oder andere nicht so gewollt haben und bedauern, aber dennoch bereit sind, für unseren Anteil am Entstehen des erlittenen Schadens Verantwortung zu übernehmen»10. Gleich wie für Faust sei es auch an uns, über unseren bisherigen Reifegrad hinauszuwachsen, neue, progressive Wege zu beschreiten, anstatt weiterhin den Weg der Regression einzuschlagen, weiterhin unter unserem bisher erreichten sowie allgemein möglichen Niveau zu handeln.11
«Die Unmöglichkeit, sittlich zu sein und zu leben- oder man läßt eben beides im Halben... Die Sittlichkeit, wie sie uns gelehrt wird, schließt immer schon die weltliche Niederlage in sich; wir retten die Welt nicht vor dem Teufel, sondern wir überlassen ihm die Welt, damit wir nicht selber des Teufels werden. Wir räumen einfach das Feld: um sittlich zu sein. Oder wir räumen es nicht; wir lassen uns nicht erschießen, nicht ohne weiteres, nicht ohne selber zu schießen, und das Gemetzel ist da, das Gegenteil dessen, was wir wollen...» — Max Frisch, Tagebuch 1948 Café Odeon Zürich
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«Das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden.»
«Solange man nicht hineinschauen kann in diese Mächte, so lange kann man nicht frei von ihnen werden. Man muss es dahin bringen, dass man dem Mephisto leibhaftig gegenübersteht. Dann erscheint er in der Gestalt, wie wer uns in allen religiösen Urkunden dargestellt wird, dann er erscheint er als der Versucher. Dann wissen wir, was in uns Gealt hat. So muss sich als Versucher der Mephisto dem Faust darstellen, muss aus der Unbewusstheit in die Bewusstheit herauftreten.» — Rudolf Steiner
Was nun aber ist das «Ziel» dieser ganzen Selbsterkennerei? Auf diese Frage gibt es für Friedrich Glasl nur eine Antwort: Freiheit. Schließlich setzt Freiheit nichts Geringeres voraus, «dass der Mensch nicht von geisten Mächten zwingend geführt oder verführt wird, sondern dass er die grundsätzliche Möglichkeit der Entscheidung für oder gegen sie hat. In der Begegnung mit den bösen Mächten und ihren Versuchungen kann Entwicklung stattfinden. Was sich ein Mensch durch die Auseinandersetzung mit dem Bösen in ihm und in seiner Umgebung abgerungen hat, das trägt zu seiner Entwicklung bei, zusammen mit all dem, was er von seiner Lichtpersönlichkeit, seinem Höheren Selbst, verwirklichen kann.»12
Wir alle stehen geistig-seelisch an einer Wegscheide. Es liegt an uns, ob wir dasjenige, was in dieser Welt wirkt, erkennen wollen; ob wir uns ihm blind und ohnmächtig unterwerfen, oder ob wir uns so verhalten wollen, dass wir seinen Kräften zwar entsprechen, uns ihnen gegenüber aber so positionieren, dass wir schlussendlich nicht ihnen, sondern um der Welt willen handeln. Uns sollte bewusst sein, dass uns niemand über diese Schwelle helfen wird, außer wir uns selbst (mehr dazu im nächsten Text). Jede Abnahme an innerem Wachstum wird uns nicht hinauf, sondern hinabführen in die Unterwelt. Wie wir uns jedoch entscheiden, hängt – und das ist, hoffe ich, aus diesem Text hervorgegangen – von unserer geistigen Präsenz, von unserer Ich-Stärke ab.
Die Tatsache der Inkarnation Ahrimans ist der Erdenentwickelung vorgeschrieben. Darauf deutete bereits Steiner hin. Unsere Aufgabe bestehe darin, den Vorgang seiner Inkarnation samt ihrer notwendigen Vorbereitungen bewusst mitzuerleben, hellwach und aufmerksam in allen Stadien zu verfolgen, zu verstehen lernen. Das, worauf es ankäme, sei, «dass die Menschheit nicht das Erscheinen des Ahriman verschläft».
Wir können die Zukunft nicht aufhalten. Aber wir können darüber entscheiden, wie wir uns ihr gegenüber positionieren. Wir können darüber entscheiden, wer wir sein wollen.
Glasl, Friedrich (2022): Mephistos Lektionen. Wie das Böse im Individuum und im Sozialen wirkt. Dornach (Verlag am Goetheanum), Seite 30f.
Ebenda, Seite 107.
Ebenda, Seite 98f.
Ebenda, Seite 35.
Ebenda, Seite 45f.
Ebenda, Seite 28.
Ebenda, Seite 98f.
Ebenda, Seite 105.
Ebenda, Seite 65.
Ebenda, Seite 67.
Ebenda, Seite 26.
Ebenda, Seite 18.
Kannst du deine Beiträge auch als Podcast raus bringen?
Liebe Grüße
Katrin
Super gute Erklärung! Danke für all diese Artikel, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Heute morgen in der Tram, eine junge Frau hinter mir, frägt unvermittelt den Mann neben mir im Gang der Tram, gut gekleidet und farbig, ob er Koks habe!!! Das Böse ist überall und wer DAS LICHT nicht kennt, kommt leicht vom Weg ab. Und es ist eine lebenslange Entwicklung und Entscheidung! Das hört nie auf, die Fallstricke sind unendlich. Ich war zuerst geschockt, dann entsetzt, dann unfassbar, dann traurig, dann habe ich gebetet für diese junge Frau, die irgendwann falsch abgebogen ist. Wir erkennen DAS LICHT manchmal nur, wenn wir das ABSOLUTE Dunkel erlebt haben. Und auch DAS LICHT kann maskiert begegnen und in die Irre führen. Wenn es kalt und scharf ist, dann ist Vorsicht geboten.