«Wer bin ich, wenn ich bin, was ich habe,
und dann verliere, was ich habe?»
— Erich Fromm
Liebe, Wissen, Autorität: Alles im Leben können wir entweder aus der Perspektive des Habens oder des Seins betrachten. Meinen wir, unseren Partner zu besitzen, oder erleben wir ihn oder sie in der täglich aufs Neue stattfindenden Begegnung als der oder die er oder sie ist? Müssen wir jeden unserer Gedanken verschriftlichen, oder sind wir dahingehend im Vertrauen, dass jeder Impuls, der für uns bestimmt ist, in uns auch seine Resonanz entfalten wird? Und apropos Vertrauen: Wem schenken wir eher Glauben? Dem, der meint, Autorität zu haben oder dem, der eine Autorität ist und aus seiner natürlichen Kompetenz von sich aus weiß, wo diese auch ihre Grenzen hat?
Mit der Anziehung natürlicher Autoritäten beschäftigte sich schon Erich Fromm. Er kam zu dem Schluss, dass es nicht die ihnen innewohnende «Macht» sei, die uns fasziniert, sondern ihr Sein als nahezu vollständig gereifte Individuen. Zeichnet sich der für ihn mit dem autoritären Charakter gleichzusetzende sadomasochistische Charakter dadurch aus, Macht und Kontrolle mit Liebe gleichzusetzen, hat der im Sein verwurzelte Mensch gelernt, etwas zu lieben, ohne es besitzen zu wollen. Er hat sich befreit von den niederen Trieben seines Egos, ist nicht mehr angewiesen auf die Anerkennung seiner Mitmenschen, auf den Status, den ihm die Gesellschaft verleiht – oder eben auch nicht. Er steht für sich. Und das gleich im doppelten Sinne: von allem Äußeren abgewandt, findet der dem Sein Zugewandte sich selbst.
Die Angst vor der Möglichkeit des Verschwindens alles Seienden
Auf dem Weg zum Sein liegt die Erkenntnis unseres wahren Selbst. Es meint, den Geist nach Innen zu wenden und unser eigenes Sein zu erleben. Solange das nicht der Fall ist, solange wir nicht uns in unserem eigenen Sein erkannt haben, können wir auch nicht das Sein einer Biene, einer Blume, eines Baumes oder eines Baches erleben. Die Fülle des Seins bleibt uns verschlossen und fremd. Denn solange wir uns selbst nur in Kategorien und Begriffen denken, anstatt uns einfach mal zu fühlen, verbleiben wir auch der Welt gegenüber im Verstehen. Sobald wir aus der Goetheschen «Anschauung» fallen, verfallen wir der begrifflichen Fixierung unseres Verstandes. Und in dieser Umklammerung ist nichts mehr frei: Indem wir die Dinge in dem zu greifen versuchen, als das wir sie für wahr nehmen, verfehlen wir sie bereits. Wir vergessen: Nichts in dieser Welt ist absolut. Wir können nichts und niemanden festhalten. Alles ist im Fluss. Und dieser Fluss heißt Leben.
Je mehr wir jedoch unser eigenes Sein erkennen, erkennen wir auch das Sein eines anderen Wesens. Das bedeutet nicht: uns in unserer Individualität getrennt von allem anderen betrachten. Ein vollends gereiftes Individuum zu sein, bedeutet nichts weiter als die Erfahrung, dass wir alles sind, in der alles vereinenden Einheit, die alles seiende Einheit. In dieser angekommen, brauchen wir keine Angst mehr davor zu haben, etwas zu verlieren oder etwas nicht bekommen zu können. Denn es «gehört» bereits alles uns. Nur eben nicht auf die Art und Weise, wie wir einst gelernt haben, was «Zugehörigkeit» bedeutet.
Das ganze Universum ist in unseren Herzen. Ist in uns. Und nicht umgekehrt. Alles ist das Eine, dieses ungeborene, unsterbliche, göttliche Selbst, das sein Sein aus sich selbst gebährt; sich gleichzeitig selbst hat und ist. Einmal in dieser Gewissheit angekommen, können wir unseren Verstand getrost sich selbst überlassen.
Dieser Text erschien zuerst in der neuesten Ausgabe des Schweizer Magazin «Die Freien».
Ich frage mich oft, ob ich doch Verantwortung habe, etwas anzumerken. Ob diese Reflexion selbst wieder Teil der Illusion ist, aber es bleibt ein Rest unbehagen, wie viel ich gerufen bin meine erfahrene Welt oder Resonanz dem Gegenüber oder Umfeld auszudrücken - oder reicht es zu sein. Oft entscheidet es sich, wenn ich innerlich meine Intentionen des Ausdrucks mir selber aufdecke, aber eben - diese Frage bleibt immer wieder.
Wieder mal ein wundervoller Text. Danke dafür! Deine Ausdrucksweise und die Welt, in die ich beim Lesen eintauche, sind wirklich beeindruckend. Du verstehst was von Worten :D
Wenn ich dieses Sein in mir erkannt habe, wie geht es nun weiter? In Alle Ewigkeit in Glückseligkeit verweilen? Jeff Brown spricht in seinem Buch "Grounded Spirituality davon, dass dieses "Sein" auch Selbst zur Falle werden kann. "New Cage Spirituality". Er macht das an einem Beispiel deutlich, dass in einem Meditations Ashram die ganzen "Erleuchteten" sind und davor die Leute nach Essen betteln. Seiner Meinung nach geht es nicht darum, sich vom Ego zu befreien, sondern vielmehr darum, die wirklichen Triebe und Bedürfnisse des Egos – oder lass sie mich "Eros" nennen – zu integrieren. Es geht darum von einem "Ego" zum einem "Wego" zu kommen. Wir brauchen eine neue Geschichte, eine neue Geschichte unseres Seins. Wir sind um zu werden. Hier ein Gedicht von mir:
Eros schreibt, von neu entsteht
in Liebe bleibt, was ewig lebt
in Hingabe steht: "Alles vergeht"
Das Nichts, es steht verdreht
Es spricht eine Silbe, ein Vers
Ich seh dich an, mein Wille
Du bist in meinem Scherz
Wir lachen uns frei in Selbsterkenntnis
Im Verständnis zu sein, um zu werden
tanzen im Dialog zum Selbstverständnis
zusammen sterben, alles in Scherben
Das Bild von neu einfärben
und das Ich im Wir Hier erden.
Grüße Daniel 🤙