Die Welt dazwischen
Mit meiner Art, dir zu gereichen, kannst du nichts weiter, als mir entweichen. Gedanken des Findens in Zeiten der Trennung.
Mein ganzes Leben lang habe ich mich gefragt; bin das ich oder ist das die Welt? Gehöre ich hier nicht her, oder ist diese Welt sich selbst zu klein geworden? Wer ist hier wem entwachsen?
Stille, Zweifel, Einsamkeit. Wann immer diese Welt vor mir zu verstummen schien, versuchte ich ihr zu entziehn: Verlange ich zu viel, oder bin ich zu wenig? An wessen Einlassung mangelt es? Verfehle ich dich? Oder schlussendlich doch mich selbst? Wo hat diese Entfremdung ihren Anfang genommen? Bei dir, oder vielleicht doch in mir? Wer hat sich hier von wem verabschiedet? Und ist Abschied überhaupt das richtige Wort? Oder hält unsere gegenseitige Abspaltung nicht vielmehr noch an?
Woher kommt diese Härte? Dieses Gefühl, zwischen uns auf nichts als Widerstand zu stoßen. Tragen wir die Steine fort und sind sie bloß zu schwer und zu viele, oder legen wir uns selbst permanent neue in den Weg? Warum ist es so schwer, leicht zu sein? Sind unsere Herzen zu klein, oder unser Wille bloß zu schwach, sie zu beleben? Und wenn Abspaltung schlussendlich nicht mehr ist als eine Haltung; was hindert uns daran, uns anders zu verhalten? Wer determiniert hier wen? Du mich, oder wir uns?
Sehnsucht, Lüge, Müdigkeit. Mir kam es immer schon so vor, als wäre diese Welt nicht dafür gemacht, so zu sein, wie man lacht. Als versperre etwas in ihr uns den Zugang zum Wahrhaftigen. Zum wahren Sein. Was uns trennt, ist der Schatten unsrer Selbst. Was uns bleibt, ein Abbild dessen, wer wir sein könnten; verblasst im Rätsel unserer eigenen Uneinigkeit. Denn anstatt zurück zu seinem – unserem – Ursprung, zu der Ewigkeit in uns, zu finden, suchen wir fortwährend neue Wege des Vergänglichen auf. Der Weg in die Nichtigkeit wird zum Trampelpfad einer späteren Einbahnstraße. Auf ihr blickt nicht nur niemand mehr zurück, auch liegt die Bedeutung ihres Ziels in einem ewigen Nicht-Ankommen. Im Werden ohne Zukunft. Im Sein ohne Sinn.
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Diesen Zustand einer fast schon existenziell begründeten Wurzellosigkeit kenne ich mehr als gut. Wann immer meine Gefühle und Gedanken in dieser Welt auf verschlossene Türen stießen, bestand mein erster Impuls darin, mich auf mich selbst zurückzuwerfen. Ich fühlte mich falsch, unverstanden und allem voran: fremd in der Welt. Dieses Gefühl, ihr niemals wirklich zugehören zu werden, hält bis heute an.
Und doch bin ich heute im Reinen damit, in dieser Welt als solcher keinen Platz zu haben, und ihn vermutlich auch niemals zu finden. Und das nicht im Sinne eines Aufgebens. Ganz im Gegenteil: Seitdem ich meine Weltfremdheit als etwas betrachten kann, das mich vom Leben nicht entfernt, sondern mich ihm näherbringt; was mich das Falsche entlarven und das Wesentliche und Wahre erkennen lässt, gleicht sie für mich mehr einer inneren Revolte, als dass sie mich weiterhin mit Resignation überrollte. Für mich ist sie ein Akt der Stärke, nicht der Schwäche.
Durch sie habe ich erkannt und verstanden, dass ich dieser Welt, so wie sie jetzt ist, ja gar nicht zugehören möchte. Ich möchte kein Teil ihrer schuldhaften Gefühlsenge und mentalen Befangenheit sein. Ich möchte mich nicht auf ihre niederschwingende Frequenz begeben, nicht eingehen in ihrer geistigen Ödnis. Ich will die sein, die ich bin. Und als diese kann ich in dieser Welt nicht sein.
Fehler, Freiheit, Forderung. Heute denke ich, sich in einer in sich unvollständigen Welt als vollständig anzuerkennen, ist der erste Schritt dahingehend, Frieden zu finden. Mit sich und ihr. Wenn auch die Reise damit erst begonnen hat.
«Was ich will, ist die Welt, und doch ist sie es nicht.» Dieser Gedanke hat mich viele Jahre lang belastet, in seiner Hin- und Fortbewegung innerlich zerrissen. Solange, bis ich verstanden habe, warum meine Rechnung nicht aufging: Mein Streben hat meine Sehnsucht verfehlt. Der Klangkörper, dem ich mich zugehörig fühlen will, mit dem ich versuche, in Resonanz zu treten, ist nicht die Welt. Es ist die Erde.
So absurd dies auch klingen mag, aber die Unterscheidung zwischen Erde und Welt hat meine Welt auf den Kopf gestellt. Sie hat mich verstehen lassen, dass ich mit meiner Art, auf die Welt zuzugehen, nicht nur niemals bei ihr ankommen werde, sondern dies im Kern ja auch gar nicht will. Sie tauschte mein Leid, dieser Welt niemals gerecht werden zu können, in die Leichtigkeit, dies auch nicht zu müssen, es nicht einmal mehr zu wollen. Eben aufgrund der Erkenntnis, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Nicht wir werden dieser Welt nicht gerecht — diese Welt wird dieser Erde nicht gerecht. Und wollen wir uns gerecht werden, ist es nicht diese Welt, der wir uns unterordnen sollten, sondern die Erde, der wir uns hinzugeben haben.
Ich bin richtig, so wie ich bin. Mein einziger «Fehler» bestand darin, das Objekt, von dem ich glaubte, es mit meiner Art adressieren zu müssen, verfehlt zu haben. Frequenz und Sender stimmten, beim Empfänger habe ich mich verwählt.
Derzeit bricht viel weg, und der Frühling an. Unsere Erde ordnet sich, und was von unserer Welt danach noch übrig bleibt, hängt davon ab, inwieweit wir dazu bereit sind, uns von ihr zu verabschieden. Der Schlüssel heißt Vertrauen.
Ich für meinen Teil fühle mich in diesem getragen und sendungsgenauer denn je. In der Hoffnung, dies zukünftig auch ausstrahlen zu können, wünsche ich Ihnen eine ebenfalls klare Ausrichtung und ein verwurzeltes Wochenende.
In Liebe und Dankbarkeit,
Lilly
Johann Wolfgang von Goethe: An den Mond
Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,...
Nicht das ganze Gedicht, doch diese Zeilen, schrieb ich bereits vor Jahren auf, eine liebevolle, manchmal mahnende Erinnerung. Lilly, ein stiller, ganz wunderbarer Text.
"Mein Streben hat meine Sehnsucht verfehlt. Der Klangkörper, dem ich mich zugehörig fühlen will, mit dem ich versuche, in Resonanz zu treten, ist nicht die Welt. Es ist die Erde."
Liebe Lilly, was für eine Text! Er trifft mich mitten ins Herz ❤️. Ich fühle mich vollkommen in Resonanz mit dem, was du hier schreibst und bin berührt, erfüllt und bereichert. Ein Zustand, der mich lächeln lässt. Es ist, als ob eine Last von mir abfällt.... Danke du liebe Seele 🙏✨