Nieren, Herzen, Lebern, Dünndärme, Lungen oder Blut – mittlerweile lassen sich beinahe alle lebenserhaltenden Bauteile unseres Körpers transplantieren. Doch um welchen Preis? Von ihrer menschenunwürdigen Beschaffung bis hin zu lebenslangen Medikamenteneinnahmen, um besagte Organe nicht wieder abzustoßen: Der Arzt und Unfallmediziner Paul Brandenburg klärt auf über die Schattenseiten der Organ«spende».
ã…¤
ã…¤
«DIE FREIEN»: Lieber Paul, was ist die sogenannte «Widerspruchslösung»? Und wieso kann das Recht auf körperliche Selbstbestimmung in ihrem Fall aufgelöst werden?
Paul Brandenburg: Im Falle der «Widerspruchslösung» gilt ein Patient – oder dann ein Sterbender – für den Fall des sogenannten Hirntodes grundsätzlich als Organspender, es sei denn, er widerspricht. Das ist, wie der Name schon sagt, die Umdrehung der «Zustimmungsannahme», die derzeit in Deutschland herrscht. Hier braucht es zur Organentnahme eine aktive Zustimmung – entweder vorher des Betreffenden oder die mutmaßliche Zustimmung, die ermittelt wird, indem Angehörige befragt werden.
Warum diese Umkehrung?
PB: Es gibt aus Sicht der Transporteure viel zu wenig Organspender. Es fehlen Lebern, Nieren und andere Organe, weil Menschen sich entweder nicht über diese Frage geäußert haben, ob sie denn spenden möchten, oder es eben abschlägig beschieden wurde. Oder was der häufigste Fall ist: Nach dem oder im Fall des Hirntodes werden die Angehörigen nicht gefragt – aus zeitlichen Gründen, oder weil es den Ärzten unangenehm ist. Und weil sie diesen Zustand, den Versorgungszustand, ändern möchten, denkt die Politik schon sehr lange darüber nach, ob man nichts sagen soll: Jeder, der nicht aktiv widerspricht, hat zugestimmt. In Österreich ist das der Normalfall. Man muss sich in das Widerspruchsregister eintragen lassen, ansonsten hat man zugestimmt.
Wenn auch schon eine Woche her, aber: Ich war zu Gast bei Paul und Milenas Podcast «Nacktes Niveau» und hab’ gemeinsam mit ihnen ein wenig die offene Psychiatrie kommentiert, als die ich mittlerweile fast die gesamte Welt bezeichnen würde. (PS: Mikrofon wurde im Anschluss ersetzt, sodass ihr bald auch wieder mehr eingesprochene Texte wie eventuell auch das ein oder andere Interview von und mit mir erwarten könnt.)
Ist die Festlegung des Hirntods als Kriterium für die Organentnahme denn medizinisch und ethisch eindeutig? Oder gibt es berechtigte Zweifel an dieser Praxis?
PB: Beides, könnte man sagen. Das Problem, das ich sehe, ist die fehlende ethische Tauglichkeit. Der Zustand des Hirntodes ist eine von Menschen gemachte Definition, die aus meiner Sicht mit dem Suffix «Tod» eine nur scheinbare Eindeutigkeit bekommt, die man anzweifeln muss. Denn der Tod ist ein Zustand, den wir ja nun eindeutig nicht umkehren können und der für jeden erkennbar ist mit den klassischen Zeichen des Todes: Leichenstarre, Fäulnisgeruch, Totenflecken. Eines dieser drei Zeichen muss ein Arzt oder Pathologe bei der Leichenschau notieren, damit er eindeutig den Tod bezeugen kann. Der Hirntod erfüllt diese Kriterien nicht, sondern wird per Definition als «vorgeschaltete Phase des Ausfalls von Hirnfunktionen» dem eigentlichen Tod gleichgesetzt. Diese Konstruktion dient dazu, die Entnahme lebenswichtiger Organe wie Leber, Nieren, Lunge oder Dünndarm zu rechtfertigen, obwohl der Körper in diesem Zustand weiterhin Stoffwechselprozesse aufrechterhält.
Der eigentliche Tod erfolgt also erst durch die Organspende?
PB: Genau. Erst mit dieser Durchführung der Spende, der Organentnahme, tritt der tatsächliche Tod ein. Man muss also richtigerweise sagen: Die Organentnahme tötet den Menschen. Das ist die aktive Tötung eines Patienten zum Zwecke der Weiterverwendung seiner Organe. Und um diesen Akt zu rechtfertigen, gibt es den Hirntod. Dieser ist eine Festlegung, bei der vor allem auf die vorhandenen Messtechniken, abgestellt wird, die wir besitzen: das Elektroenzephalogramm, das EEG und die Nicht-Auslösbarkeit gewisser Reflexe am Menschen – Schutzreflexe, die quasi immer vorhanden sind, solange das Hirn funktioniert, und deren Wegfall als der Beweis des Gegenteils verstanden wird. Aus diesem Satz von Definitionen schlussfolgern wir dann: Dieser Organismus ist nicht mehr so empfindungsfähig. Und das, obwohl wir mit allen Messtechniken, die wir besitzen, nicht beweisen können, dass dieser Organismus keine Angst und keinen Schmerz mehr empfindet. Das ist mein persönliches, sehr großes Problem damit, sodass ich sage: Für mich akzeptiere ich den Hirntod nicht als Voraussetzung, mich in dieser Form töten zu lassen.
Inwieweit kann bei diesem Tathergang dann noch von einer «Spende» sprechen? Oder ist das schon Mord?
PB: Ich persönlich bin für das Recht eines jeden Menschen, Suizid durchzuführen, sich selbst zu töten. Ich halte das für ein Menschenrecht, was aus dem Lebensrecht folgt. Ich halte es für eine unzulässige Übergriffigkeit, einem Menschen, dem seine Erkenntnisfähigkeit für die Konsequenzen seines Handelns nicht abgesprochen werden kann, zu verbieten, sich selbst das Leben zu nehmen. Ich würde in solch einem Fall auch nicht von Selbstmord sprechen. Der Mord ist ja gerade im Deutschen gekoppelt an die von den Nationalsozialisten erfundene Rechtsdefinition des Mordes. Die erfordert ein sogenanntes Mordmerkmal wie Habgier, Heimtücke, oder ein anderes niederes Motiv, vor allem: Heimtücke. Und nichts davon ist ja bei einem Suizid vorliegend. Deswegen ist es für mich auch wichtig, da im Falle dieser sogenannten Organspende zu unterscheiden. Ich finde diesen Begriff falsch, weil er natürlich darauf abzielt, einen Spender zu rekrutieren. Es soll eine moralische Hochwertigkeit dieses Aktes implizieren und denjenigen, der darüber nachdenkt, ob er bereit ist, seine Organe in dieser Weise zu geben, irgendwie anregen, sich selber zu gefallen, wenn er das tut. Das halte ich für falsch und irreführend. Aber wenn jemand für sich entscheidet: «Der Zustand des Hirntodes ist einer, in dem ich ohnehin nicht mehr leben möchte. Es wäre für mich ein Fall, den Suizid zu wählen» – dann glaube ich, haben wir einen Grenzfall, bei dem auch ich mir jetzt zum Beispiel wieder vorstellen könnte: «Warum soll ich nicht im Zustand des Hirntodes, wenn der tatsächlich vorliegt und ich für mich dann den Freitod wähle, nicht diesen Freitod verbinden mit der Spende, mit der Weitergabe meiner inneren Organe?» Ich halte diesen Fall nicht für hochpolitisch, sondern für ethisch absolut vertretbar, wenn er denn von dem Betreffenden in absolut freier und noch klarer Entscheidung über die Voraussetzung seiner Entscheidung stattfindet.
Inwiefern sind die langfristigen Überlebensraten von Organempfängern denn tatsächlich ein Erfolg? Wird die Notwendigkeit lebenslanger Immunsuppressiva und deren Nebenwirkungen grundsätzlich eher unterschätzt?
PB: Man kann es so pauschal nicht seriös zusammenfassen, aber am guten Ende des Spektrums stehen sicherlich Leber- und Nierentransplantationen. Nierenspenden können die Dialysepflichtigkeit beenden und die Lebensqualität zurückbringen, wobei sogar Lebendspenden von Angehörigen möglich sind. Bei der Leber ist es eingeschränkt ähnlich. Dünndarm- und Lungentransplantationen haben höhere Risiken, und die Betroffenen bedürfen viel mehr Immunsuppresiva, da bei ihnen keine Lebenspenden möglich und die Komplikationsraten höher sind. Ihre Spender sind immer hirntote Spender. Da muss ein Patient wirklich kritisch für sich selber entscheiden. Die Realität ist die: Wer da transplantationspflichtig wird, wie es im Ärztedeutsch heißt, steht kurz vor dem sicheren Tod im Fall des Dünndarms. Ein großer langstreckiger Ausfall des Blinddarms ist mit dem Leben nicht vereinbar: Man kann keine Nährstoffe mehr aufnehmen. Im Falle der Lunge ist es ähnlich. Häufige Lungenspende-Empfänger sind Patienten mit einer Fibrose oder Mukoviszidose. Das ist eine Erkrankung, bei der der Schleim, den der Körper bildet, oder Flüssigkeiten, die der Körper bildet, immer dickflüssiger werden, sodass die Lunge quasi verklebt und man an eigenem Sekret erstickt. Ein ganz langer, schleichender Prozess. Oft sind diese Patienten seit Jahren oder von Geburt an schwer krank. Die Transplantation löst nur das akut lebensbedrohliche Problem. Da muss man sich als derjenige, der das zu entscheiden hat, sehr genau anschauen: Welche Lebensqualität kommt dabei für mich raus? Ist das wirklich ein Zugewinn? Verbessert sich die Lebensqualität wirklich? Als Nicht-Betroffener gebe ich keine Schwarz-Weiß-Antworten. Diese individuelle Entscheidung erfordert eine differenzierte Aufklärung über Chancen und Risiken jeder Operation im Einzelnen.
ã…¤
ã…¤
Wie stehst du gegenüber der Forschung an Alternativen zur Organtransplantation?
PB: Ich bin nicht grundsätzlich gegen Immunsuppressiva oder Transplantationen. Es geht um die richtige Indikation. Alternative Forschungsverfahren sind keine Erlösung. Ich selbst führte früher Nierentransplantationen bei Ratten durch, überzeugt, mit geringem Tierleid Forschungsbeiträge zu leisten. Dies war rückblickend betrachtet einer meiner größten Fehler. Heute würde ich keine Tierversuche mehr machen, ungeachtet moralischer Ansprüche. Die Hypothese, dass Erkenntnisse von Ratten auf Menschen übertragbar sind, ist Unsinn – ebenso bei Mäusen, den häufigsten Opfern von Immuntherapieversuchen. Diese Tierversuchsrechtfertigungen sind Schutzbehauptungen, die eine profitable Industrie am Laufen halten. Ein «Running Gag» in der Forschung war: Ratten und Mäuse haben das beste Immunsystem der Welt, besser als Menschen. Das ist leider wahr. Nur nützt es diesen Tieren gar nicht. Und es ist völlig unfraglich, dass wir mit der gewerblichen Aufzucht und dem gewerblichen Verbrauchen von unzähligen Millionen von Tieren größtes Leid verursachen. Und diesem Tierleid steht kein sinnvoller Fortschritt beim Menschen gegenüber.
Als Alternative begrüße ich Forschung an Zellkulturen und Bioreaktoren, die vereinfachte Organmodelle schaffen können. Bei der Leber etwa wissen wir, wie ein Leberchirurg sagte, nur sicher, «dass sie ein großes braunes Organ ist, oben rechts im Körper». Die Funktionen sind so komplex, dass Bioreaktoren nur einen Bruchteil ersetzen können. Langfristig setze ich auf Stammzellforschung für Regeneration – ohne Tierversuche, aber mit aufgeklärten, freiwilligen Menschenversuchen trotz bestehender Risiken. Was wir stattdessen erleben, sind unethische verbrecherische Menschenversuche im Sinne der Corona-Impfung und eine Tierversuchsindustrie, die einzig und allein der Veröffentlichung von sogenannten Papern von wissenschaftlichen Studien dienen, deren Nutzen für die klinische Versorgung verschwindend gering ist.
ã…¤
Glaubst du, dass die Pharmaindustrie vielleicht auch ein finanzielles Interesse daran hat, Transplantationen mehr zu fördern, anstatt an Alternativen zu forschen?
PB: Die Pharmaindustrie hat zweifellos ein kommerzielles Interesse. Hersteller von Immunsuppressiva haben in den letzten Jahrzehnten mehrere Skandale verursacht. Der japanische Konzern Takeda ist durch Schmiergeldzahlungen aufgefallen, ebenso wie andere Unternehmen der Branche. Die Immunsuppressiva-Therapie ist für die Pharmaindustrie äußerst lukrativ, da transplantierte Patienten in der Regel lebenslang auf diese Medikamente angewiesen sind. Das Marktinteresse ist evident.
Apropos Industrie am Laufen halten: Inwieweit fördert diese Alternativlosigkeit den illegalen Organhandel? Und tragen Regierungen eine Mitverantwortung, ausreichende Maßnahmen gegen Armut und Korruption zu ergreifen, sodass Menschen gar nicht erst in die Verzweiflung getrieben werden, ihre Organe zu verkaufen? Werden manche Menschen nicht sogar zur Organentnahme gezwungen?
PB: Der schlimmste und eindeutigste Fall erzwungener Organentnahme ist die Praxis in China, bei der nach Hinrichtungen von Verurteilten deren Körper direkt zur Organentnahme verwendet werden. Ich kenne persönlich einen chinesischen Arzt, der dies als Forschungskollege im Labor der Charité mit der Begründung verteidigte, es sei das Mindeste, was ein Straftäter der Gesellschaft zurückgeben könne. Dieser ansonsten heitere Familienvater betrachtete diese tausendfache Praxis der chinesischen Behörden als Selbstverständlichkeit, was mich – wie so oft in meiner ärztlichen Laufbahn – zutiefst ernüchtert zurückgelassen hat über dieses technokratische und kollektivistische Denken. Aber es zeigt, dass Organe für Menschen eben auch nichts weiter sind als ein zulässiger Gegenstand der Selbstausbeutung, weswegen es auch zu einfach wäre, diesen Zustand pauschal dem Wirtschaftssystem oder der Politik zuzuschreiben. Ja, es existiert ein Schwarzmarkt für Organe – von Entführungen, bei denen Opfer mit fehlenden Organen aufwachen, bis zu Handelsplattformen. Doch oft liegt es in der schlechten Natur mancher Menschen, aus Gewinnstreben so zu handeln.
Unser System ist an dieser Stelle inkonsequent: Wir erlauben Lebendspenden unter Nahestehenden, ermöglichen aber Manipulation, wenn etwa ausländische Patienten angebliche Freunde als Spender präsentieren. Ethikkomitees sollen prüfen, ob keine finanzielle Gegenleistung erfolgt – ein leicht zu manipulierender Prozess. Ein radikaler Lösungsvorschlag aus den USA ist die vollständige Freigabe des Organhandels – bis hin zu Krankenversicherern, die Menschen zu Lebzeiten ihre Organe für den Todesfall abkaufen könnten, beispielsweise gegen 150'000 US-Dollar. Dies würde zwar den Schwarzmarkt bekämpfen, wirft aber neue ethische Fragen auf.
Zu guter Letzt: Was würdest du jedem raten, der unter all diesen Umständen – und folglich unter keinen Umständen – eines seiner Organe spenden wollen würde?
PB: Die schriftliche Festlegung der Entscheidung ist der wichtigste Schritt. Ein formloser Satz wie «Ich widerspreche» oder «Ich gestatte die Entnahme meiner Organe» genügt – unterschrieben und mit Datum versehen. Diese Erklärung muss auch nicht im Jahrestakt erneuert werden, sollte aber Verwandten oder Freunden bekannt sein, damit sie im Ernstfall vorliegt. Das ist sicherlich ein bisschen unangenehm, aber das ist das Beste, was man tun kann.
Es gibt verschiedene Dienste, die das auch mit anbieten. Einen davon habe ich selber mal gegründet. Mit bester Absicht, muss ich sagen, bin ich mittlerweile ein harter Gegner der elektronischen Patientenakte, wie Deutschland sie vorsieht. Ich glaube aber nach wie vor, dass die Onlineverfügbarkeit einer solchen Festlegung eine tolle Sache ist, weil sie dann immer und überall jederzeit abgerufen werden kann. Eine Patientenverfügung regelt weit mehr als die Organspende, weshalb ich jedem – auch jungen, gesunden Menschen – empfehle, eine solche frühzeitig zu verfassen. Denn wenn man erst mal in die Situation gerät, dass man durch Unfall oder Krankheit nicht mehr bei Bewusstsein ist und so etwas selber machen kann, dann ist es zu spät, und der Minimalfall ist eben die Festlegung für die Organspende. Es ist sinnvoll, entweder den eigenen Verwandten, Eltern, dem Partner, den Kindern, eine Kopie davon zu geben, oder ihnen zu sagen, wo sie liegt, damit diese im Fall der Fälle sie auch den Ärzten vorlegen können.
Dr. Paul Brandenburg ist Publizist, Unternehmer und Arzt sowie Ex-Tech-Lobbyist, Ex-Pharma-Lobbyist, Ex-NATO-Soldat und Ex-Freimaurer. paulbrandenburg.com
Dieser Text erschien zuerst in der 18. Ausgabe des Schweizer Magazins DIE FREIEN.
Unser Sommerfest ist übrigens am 28. und 29. Juni. Ich bin dabei. Ihr auch?
Nur zur Ergänzung: das dumme Schweizer Volk hat 2022 der Widerspruchslösung zugestimmt (also ich sicherlich nicht!). Das Register soll frühestens 2026 kommen, es ist so unglaublich und idiotisch - einmal mehr und ich zweifle mittlerweile daran, ob es noch gesunden Menschenverstand gibt, in der Mehrheit offenbar nicht! Deshalb lehne ich mittlerweile Demokratie als Staatsform ab! Gerade wenn es um derartige Eingriffe in die persönliche und körperliche Entscheidungsgewalt geht, müssen wir leider von einer Diktatur der Mehrheit sprechen.
https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/medizin-und-forschung/transplantationsmedizin/rechtsetzungsprojekte-in-der-transplantationsmedizin/revision-des-transplantationsgesetzes/indirekter-gegenvorschlag-organspende-initiative.html