Erich Kästner, Ein Volk versinkt in geistiger Umnachtung (Quelle: Tumblr)
Es wird einen Zeitpunkt geben, wo all’ das, was sich derzeit noch so krampfhaft versucht aufrechtzuerhalten, wegbrechen wird: All’ die (zu) lang getragenen Medienhäuser, ihre Journalisten und mitfinanzierten Internetgestalten, die immer noch glauben, Probleme ließen sich durch Neuwahlen sowie eine Neuauflage der Genderdebatte oder Impfung lösen. Betitelt als „namhafte Denker” schwadronieren sie wie blauäugige Opportunisten über ethische und soziale Fragestellungen und mäandern dabei konsequent am disruptiven Zeitgeist vorbei.
Sie scheinen in geistiger Umnachtung versunken, in einen Kessel der Unbelehrbarkeit gefallen. Unfähig, sich einzugestehen oder überhaupt zu erkennen, welche Lawinen der Missgunst und des Hasses sie in ihrer konformistischen “Solidarität” ins Rollen bringen: Sachlich fundierte Argumentationen werden diskreditiert, der Korridor des „Sagbaren“ verengt sowie Grundrechte an Kriterien der Biosicherheit1 geknüpft.
Aus Überzeugung, auf “der richtigen Seite” zu stehen, werden Ängste delegitimiert, Kinder traumatisiert und tiefgreifende Beziehungen zerrüttet. Menschen werden diffamiert, degradiert und diskriminiert. Sukzessive entledigt man sie ihrer „sozialen Daseinsberechtigung“. Man hat sich schlichtweg nichts mehr zu sagen, will und kann sich nicht mehr in die Augen schauen – zu tief greift die Kluft der institutionellen Vertrauensfrage, zu tief sitzt die jeweils eigene Angst (oder Verblendung), um noch klar sehen (oder denken) zu können… zu sehr trübt der Nebel der Umnachtung.
Ein Volk versinkt in geistiger Umnachtung. Die Dummheit wurde zur Epidemie. … während es im Gehirn der Klugen Ebbe wird, wird diese von den “guten Leuten” gefüttert. Wer vor ihr warnen will, den straft man mit Verachtung.
Meine Intention liegt schon lange nicht mehr darin, zu “warnen”. Über eineinhalb Jahre haben wir versucht, durch Information und Aufklärung wachzurütteln: Wer es jetzt noch nicht verstanden hat, der will es vielleicht auch einfach nicht.
“Auf richtiges Denken zu rechnen, statt auf menschliches Denken, und die Grade der Dummheit nicht zu berücksichtigen, ist selbst Dummheit.” - Günther Anders, Die molussische Katakombe, S. 112
Somit unwillig, zu greifen, wie Menschen diesen Zustand der gesellschaftlichen Spaltung hinnehmen können, ohne etwas zu begreifen, gilt es den Wasserköpfen, Alternativen zu der, ihnen scheinbar zu Kopf gestiegenen, wissenschaftlich-reduktionistischen Weltsicht aufzuzeigen. Kurzum: Ich will nicht länger mit ansehen, wie die halbe Welt weiter im Nebel versinkt, während “der Rest” sich, beim Hineinrufen in diesen, die Kehle aus dem Leib schreit. Ich will nicht länger nur “gut sein”, indem ich bloß dagegen bin. Ich will für etwas sein. Getreu Kästner möchte ich mich somit daran halten, dass es nichts Gutes gibt, außer man tut es.
So kam bei mir (und vielen vor und nach mir) die Frage danach auf, wieso und wann Gesellschaften fragil und somit anfällig für totalitäre Ideologien werden? Warum ist das kollektive Gedächtnis so kurz? In der Schule lesen wir Bücher über Eugenik und den Holocaust. Was wir dabei anscheinend nicht verstanden haben: Faschismus beschränkt sich nicht auf das dritte Reich und dessen Rassenwahn. So wie sich “der Faschismus” selbst nie überdrüssig zu werden scheint, kann sich auch der Nationalsozialismus in ähnlicher Form wiederholen, sollten wir nicht anfangen, aus der Vergangenheit zu lernen und für die Gegenwart und Zukunft Schlüsse zu ziehen: Quarantänelager zur physischen Segregation von „Bedrohern des Volkskörpers“ sowie “Gesundheitspässe” und die gesellschaftlichen Privilegien, die ihren Besitzern zugesprochen werden: Nichts davon ist neu. Es ist rechtes Gedankengut in der Praxis. Lediglich neu verpackt. Sprich; auf andere (wissenschaftliche) Pfeiler gestellt.
Bertolt Brecht Zitat (Quelle: Tumblr)
Zurückbleibt das Erörtern dessen, wie sich diese Kluft des mangelnden Abstraktions- und Transferiervermögens füllen und auf lange Sicht schließen ließe. Es ist die Frage danach, was bleibt, sollte sich der Nebel der Umnachtung lichten. Was bleibt, wenn das Narrativ fällt? Was bleibt, wenn sich sowohl die politischen Freiheits- als auch pharmazeutischen Sicherheitsversprechen als Fundament der so ausgiebig wie gern betriebenen Ausgrenzung und Diffamierung als leer und nichtig erweisen? Was baut uns dann wieder auf? Worauf können wir bauen, wenn all‘ das, worauf man stets so gebaut hat, in seine Einzelteile zerfällt? Mein Versuch, die Antwort auf diese Frage auf drei Punkte herunterzubrechen, schaut wie folgt aus:
Dezentral organisierte, auf gemeinsamen Werten basierende Gemeinschaften
das Gefühl, frei und selbstbestimmt leben zu können
Literatur
Während die beiden ersten Punkte in meiner Themenfindung eher als “axiologischer Kern” dienen sollen, beruht mein Anliegen vielmehr darin, durch Literatur Zugänge zu diesen zu schaffen. In Zeiten, in denen alles finster, ausweglos sowie kräftezehrend und energieraubend erscheint, war es stets die Literatur, die Hoffnung zu spenden vermochte. Sie erhellt, stiftet Orientierung und Sinn. So ist es das Lesen eines Klaus Manns, Erich Kästners oder Aldous Huxleys, das in uns jenes Feuer der Freiheit entfacht, das es für den Aufbruch in ein eigenverantwortliches Leben braucht. Es ist das „Voraugengeführtbekommen“ ähnlich bedränglicher Lebenslagen. Jene niedergeschriebene Bewältigungsmechanismen können eine Zuversicht entstehen lassen, die der eigene Geist vielleicht nicht im Stande gewesen wäre, hervorzubringen.
Fantasie, Schlagfertigkeit sowie Eigen- und Gestaltungssinn, sprich, wahre Geistesstärke ist nichts, das heutzutage noch groß Förderung erfährt. Im Fortbestehen des Mangels, weder abweichend noch losgelöst denken zu können, scheinen Leid und Ungerechtigkeit keine Grenze zu kennen. Es ist somit der Versuch meinerseits, jene Ebene der Reflexion zu beleuchten, deren Fehlen ein “Hineingleiten” in autoritäre Systeme überhaupt erst ermöglicht: Unsere Schwerfälligkeit, in mikrosoziologischen Verhaltensänderungen als auch politisch instrumentalisierten Normativen, historische Parallelen zu erkennen und die ihnen innewohnenden Ideologien zu enttarnen. Unsere Tendenz, Ereignisse einzig innerhalb ihres zeitgenössischen Rahmens zu betrachten. Zugleich ist es der Fingerzeig darauf, was passiert, wenn all’ die teure Bildung zu entschwinden scheint, ohne ihren eigentlichen Zweck zu erfüllen: Menschen dazu zu befähigen, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen.
“Die Geschichte des Geistes und des Glaubens ist zugleich die Geschichte des Ungeistes und des Aberglaubens. Die Geschichte der Literatur und der Kunst ist zugleich eine Geschichte des Hasses und des Neides. Die Geschichte der Freiheit ist, im gleichen Atem, die Geschichte ihrer Unterdrückung, und die Scheiterhaufen sind die historischen Schnitt- und Brennpunkte. Wenn die Intoleranz den Himmel verfinstert, zünden die Dunkelmänner die Holzstöße an und machen die Nacht zum Freudentag. Dann vollzieht sich, in Feuer und Qualm, der Geiselmord an der Literatur. Dann wird aus dem »pars pro toto« das »ars pro toto«. Seit Bücher geschrieben werden, werden Bücher verbrannt. Dieser abscheuliche Satz hat die Gültigkeit und Unzerreißbarkeit eines Axioms.”
“[…] dort wo man Bücher Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.”- Heinrich Heine, Almansor (Quelle: Tumblr)
“So gingen damals die Hüter des Worts mit Worten wie Freiheit, Geist, Dichtung, Ehrlichkeit und deutsche Seele um. Solche Lügner waren sie geworden. Und heute will’s keiner gewesen sein! Es war schon schlimm genug, dass sie der Knebelung und Vergewaltigung der deutschen Literatur stumm und fromm zusahen. Dass sie aber diese äußerste Sklaverei gar noch als Freiheit des Geistes priesen und besangen, das ist ein geradezu unfasslicher, das ist der niederträchtigste Verrat an ihrer Aufgabe, der sich ausdenken lässt. Es ist kein Wunder, dass die braune Parteibürokratie diesen Leuten das Einzige entgegenbrachte, was sie verdienten: Verachtung.”
“Keiner weiß, ob er aus dem Stoffe gemacht ist, aus dem der entscheidende Augenblick Helden formt. Kein Volk und keine Elite darf die Hände in den Schoß legen und darauf hoffen, dass im Ernstfall, im ernstesten Falle, genügend Helden zur Stelle sein werden. Und auch wenn sie sich zu Worte und zur Tat meldeten, die Einzelhelden zu Tausenden – sie kämen zu spät. Im modernen undemokratischen Staat wird der Held zum Anachronismus. Der Held ohne Mikrophone und ohne Zeitungsecho wird zum tragischen Hanswurst. Seine menschliche Größe, so unbezweifelbar sie sein mag, hat keine politischen Folgen. Er wird zum Märtyrer. Er stirbt offiziell an Lungenentzündung. Er wird zur namenlosen Todesanzeige.”
“Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. […] Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben.”
- Erich Kästner, Über das Verbrennen von Büchern
In der Hoffnung, hiermit zumindest Teilen dieses Irrsinns etwas entgegenbringen zu können, besteht das Anliegen dieses Blogs darin, die Lust auf das Lesen und lebenslange Lernen zu entfachen. Schließlich besitze gemäß Gerald Hüther derjenige, der keine Lust mehr auf das Lernen hat, auch keine Lust mehr auf das Leben.
In Zeiten, wo menschlicher Kontakt genauso rar und unzugänglich wie Menschlichkeit erscheint, sei auf Personen verwiesen, die diese bewahrt haben, als sie am ehesten verloren schien: Wer könnte schließlich Sinnfragen besser beantworten als ein Primo Levi, Stefan Zweig oder Viktor E. Frankl? Von wem ließe sich besser vermittelt bekommen, was Eigensinn bedeutet, als von einem Hermann Hesse oder Günther Anders? Wer kam dem Kern von Freiheit und Selbstbestimmung je näher als Albert Camus, Simone Weil oder Hannah Arendt? Sie bleibt, wenn die uns umgebenen Strukturen zerfallen, wenn das Bewahrt und Bewährte aufhört, bewahrenswert zu sein: unsere Lust am Menschsein, am Leben, am Sein selbst. Diese gilt es zu bewahren und zu fördern. Immer und überall.
Literaturempfehlungen:
Frankl, Viktor E. (1977): … trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. München: Kösel.
Heine, Heinrich (2016): Almansor. Eine Tragödie. 1. Auflage. Hg. v. Karl-Maria Guth. Berlin: Contumax; Hofenberg.
Kästner, Erich (2012): Über das Verbrennen von Büchern. Erstausgabe. Zürich: Atrium Verlag.
Wolf, Christa (1990): Was bleibt. Erzählung. Frankfurt am Main: Luchterhand Literaturverl.
Große Leseempfehlung: Schreyer, Paul (2020): Chronik einer angekündigten Krise. Wie ein Virus die Welt verändern konnte. Frankfurt am Main (Westend Verlag). https://www.westendverlag.de/buch/chronik-einer-angekuendigten-krise/