Zwischen Vision und Illusion
«Objective reality, the world view produced by the spirit of scientific inquiry, is the myth of our time.» — Albert Hofmann
«Es gibt Erlebnisse, über die zu sprechen die meisten Menschen sich scheuen, weil sie nicht in die Alltagswirklichkeit passen und sich einer verstandesmäßigen Erklärung entziehen. Damit sind nicht besondere Ereignisse in der Außenwelt gemeint, sondern Vorgänge in unserem Inneren, die meistens als bloße Einbildung abgewertet und aus der Erinnerung verdrängt werden. Das vertraute Bild der Umgebung erfährt plötzlich eine merkwürdige, beglückende oder erschreckende Verwandlung, erscheint in einem anderen Licht, bekommt eine besondere Bedeutung. Ein solches Erlebnis kann uns nur wie ein Hauch berühren oder aber sich tief einprägen.» — LSD, mein Sorgenkind1.
Als Albert Hofmann die Erfahrung einer anderen, vielleicht höheren Wirklichkeit machte, war er sehr jung, fast noch ein Kind. Auf einem seiner Waldspaziergänge erstrahlte die ihm so vertraute Umgebung plötzlich in einer ungewohnten Klarheit, einer von ihm bis dahin nie wahrgenommenen Schönheit, die sich nun direkt an sein Herz zu richten schien. Gefühle endlosen Glücks, absoluter Zugehörigkeit und seliger Geborgenheit durchzogen ihn in einer solchen Vehemenz, dass ihm von da an klar war: Diese Welt bietet mehr, als wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können.
Im Kaleidoskop der Wirklichkeit
«Mystische Ganzheitserlebnisse» wie diese begleiteten den wohl berühmtesten Schweizer Chemiker der Neuzeit sein Leben lang. Sie weckten in ihm das «Verlangen nach einem tieferen Einblick in den Bau und das Wesen der materiellen Welt», und damit auch den Wunsch, die Wechselwirkungen zwischen Bewusstsein und Wirklichkeit zu erforschen. Seine Faszination an der Natur wie ihren Wirkungsweisen verhalf ihm nicht nur zu einer vielfach ausgezeichneten Dissertation über die Struktur des Chitins, sondern auch zu einer Lebensanstellung als Forschungschemiker und Leiter der Abteilung für Naturstoffe beim Basler Chemie- und Pharmakonzern Sandoz.
Und gleich Hofmann damals noch nicht ahnte, dass er neben seinen Forschungen an Heil- und Arzneipflanzen wie Meerzwiebel, Rauwolfia oder mexikanischen Zauberpilzen einen Stoff entdecken würde, von dem ein Gramm «ausreicht, um 20'000 Personen in einen mehrstündigen halluzinogenen Rauschzustand zu versetzen», war LSD – wider zahlreicher Behauptungen – kein Zufallsfund: Hofmann extrahierte es erstmals im Jahre 1938 als 25. Substanz in einer Reihe von Untersuchungen über Mutterkornalkaloide. Diese finden sich in einer Schlauchpilz-Art, die aus den Ähren von Roggen sowie anderen Getreiden und Wildgräsern wachsen kann.
Eher beiläufig destillierte er während jenen Versuchen eine Säure, die er Lysergsäurediethylamid – kurz LSD-25 – nannte. Diese stieß jedoch weder bei Pharmakologen noch bei Medizinern auf besonderes Interesse. Es sollten erst fünf Jahre vergehen, bis Hofmann aufgrund einer «merkwürdigen Ahnung» diese erneut synthetisierte und seine Wirkung – unbeabsichtigt – erstmals selbst erfuhr. Denn obgleich seine erste Erfahrung mit LSD mehr als «Arbeitsunfall» denn als geplanter Selbstversuch zu verbuchen ist, entschied sich Hofmann kurzerhand – angezogen vom neuartigen Sinneserleben – jenen Selbstversuch zu unternehmen, der später als Bicycle Trip in die Geschichte eingehen sollte:
«Ich [..] bat meine Laborantin, die über den Selbstversuch orientiert war, mich nach Hause zu begleiten. Schon auf dem Heimweg mit dem Fahrrad [..] nahm mein Zustand bedrohliche Formen an. [..] Auch hatte ich das Gefühl, mit dem Fahrrad nicht vom Fleck zu kommen. Indessen sagte mir später meine Assistentin, wir seien sehr schnell gefahren. […] Schwindel und Ohnmachtsgefühl wurden zeitweise so stark, dass ich mich nicht mehr aufrechthalten konnte und mich auf ein Sofa hinlegen musste. [..] Alles im Raum drehte sich, und die vertrauten Gegenstände und Möbelstücke nahmen groteske, meist bedrohliche Formen an. [..] Alle Anstrengungen meines Willens, den Zerfall der äußeren Welt und die Auflösung meines Ich aufzuhalten, schienen vergeblich. Ein Dämon war in mich eingedrungen und hatte von meinem Körper, von meinen Sinnen und von meiner Seele Besitz ergriffen. Ich sprang auf und schrie, um mich von ihm zu befreien, sank dann aber wieder machtlos auf das Sofa. Die Substanz, mit der ich hatte experimentieren wollen, hatte mich besiegt.»
Zwischen Himmel und der eigenen Hölle
Obwohl ihn seine Sinne eine halbe Nahtoderfahrung durchlaufen lassen hatten, wachte Hofmann am nächsten Morgen auf und ihn durchströmte «ein Gefühl von Wohlbehagen und neuem Leben». Sein Wille, diese neue, «andere Welt» zu erforschen, war entfacht. Und das abermals nicht ohne Grund: Nachdem eine mögliche Toxizität oder suchterzeugende Wirkung für den Menschen ausgeschlossen werden konnte, zeigten weitere Eigenversuche sowie erste Experimente in Labor und Klinik relativ schnell, dass ein gut vorbereiteter LSD-Trip nicht nur das eigene Weltbild tiefgreifend erschüttern sowie ganze Lebensabschnitte auf wenige Stunden zusammendrängen konnte, sondern zugleich in der Lage war, die eigenen Sinne zu «entschlacken» und damit das Bewusstsein für neue Sphären der Wahrnehmung zu öffnen.
Aber dennoch: Obwohl er große Hoffnungen in das Potenzial dieser Droge setzte, konnte Hofmann selbst als «Vater» des LSD nie klar sagen, ob dieses für ihn und die Welt mehr ein Wunder- oder Sorgenkind sein würde. Zu gut wusste er um die zwei Welten, binnen derer man sich auf einem LSD-Trip zu bewegen vermag und wie schnell die beflügelnde «Jagd der Farben und Formen» in einen Höllentrip abgleiten konnte. Hofmann war klar: Anders als bei Morphin oder Heroin liegt die Gefahr von LSD nicht in der Droge selbst, sondern in jedem einzelnen Versuch.
Und so kam es, wie es kommen musste: Nach mehr als 10 Jahren ungehinderter Forschung geriet LSD Ende der Fünfzigerjahre in den Sog der weltweiten Rauschmittelsuchtwelle und damit Hofmanns Traum, LSD als neuartiges Psychopharmakon in der medizinischen Praxis sowie in Verbindung mit Meditation besser nutzen zu können, in weite Ferne. «Die Tiefe und Nichtvoraussehbarkeit der Art der Veränderungen im Erleben der Außen- und Innenwelt» sowie das Risiko zu schnell ans Licht kommender Traumata war zuvor schon von vielen Psychiatern unterschätzt worden – nun experimentierte eine ganze Generation unbedarft damit. Ihre Unachtsamkeit gegenüber der Relevanz von set und setting – der persönlichen und räumlichen Umstände – endete oftmals mit Verwirrtheitszuständen oder Schreckensvisionen, psychotischen Anfällen manischen oder depressiven Charakters, Todesängsten bis hin zu Suiziden.
Es dauerte nicht lange, bis LSD seinen Ruf als «Wunderdroge» verloren hatte und stattdessen den einer «Wahnsinnsdroge» oder gar «satanischen Erfindung» verpasst bekam. Der war on drugs in den USA, der Einsatz von LSD bei Experimenten der CIA und der Versuch der staatlichen Eindämmung von populärer werdenden Aufwachtrips à la Timothy Leary vermengten wie nur selten zuvor in der Geschichte eine chemische Erfindung mit einer kulturellen Umbruchsphase. Die Substanz wurde zu einem Symbol der amerikanischen Gegenbewegung – der counterculture. Doch für Sandoz brachte «die Ausbreitung von LSD in der Drogenszene eine große, unfruchtbare arbeitsmäßige Belastung mit sich». Staatliche Behörden stellten nun strengere Anforderungen an die LSD-Forschung; hysterische Medienberichte über Unfälle oder Missbrauch von und mit LSD häuften sich. Schließlich beschloss Sandoz, die Abgabe von LSD zu stoppen. Arthur Stoll, der damals oberste Leiter des Unternehmens, erklärte Hofmann gegenüber sogar, es wäre ihm lieber gewesen, er hätte die Substanz nie entdeckt. Für Hofmann ein Rückschlag und Vertrauensverlust, der selbst ihn daran zweifeln ließ, «ob die wertvollen pharmakologischen und psychischen Wirkungsqualitäten von LSD seine Gefahren und mögliche Schäden bei Missbrauch wohl aufwiegen würden?»
Die Renaissance des Bewusstseins
Den Drang einer ganzen Generation, aus der «Realität» zu fliehen und in eine andere abzutauchen, stempelte Albert Hofmann – anders als die breite Öffentlichkeit – trotz allem nicht als bloße Exzessbewegung einer rebellischen Jugend ab. Er verstand zu gut, weswegen man im Anbetracht einer Welt, die aufgehört hat, Sinn zu ergeben, anfängt, nach neuen «Pforten der Wahrnehmung» zu suchen. LSD traf diesbezüglich nicht nur den Nerv einer Zeit, sondern bediente auch die Sehnsucht nach dem, was Ernst Jünger den «additiven Rausch» nannte – eine Rauscherfahrung, die sich nicht nur im Erleben entgrenzter Zustände erschöpft, sondern den Benutzer persönlich bereichert und mit neuem Wissen über sich und die Welt ausstattet.
Genau darauf hatte Timothy Leary, der illustre Harvard-Dozent, seine Hoffnung gesetzt: den Aufwachprozess einer ganzen Generation über den wahren Zustand der Welt, über Korruption und Krieg, quasi mit chemischen Mitteln auszulösen. Nach Learys wie Hofmanns Vorstellungen sollte der Mensch die soziologischen Ursachen seiner Lebensverhältnisse erkennen, also die Auswirkungen von «Materialismus, Naturentfremdung als Folge von Industrialisierung und zunehmender Verstädterung, mangelnde Befriedigung in der beruflichen Tätigkeit in einer mechanisierten, entseelten Arbeitswelt, Langeweile und Ziellosigkeit in einer gesättigten Wohlstandsgesellschaft sowie das Fehlen eines religiösen, eines bergenden und sinngebenden weltanschaulichen Lebensgrundes». Das Interesse der Mächtigen an einem solchen Erkenntnisprozess in der Bevölkerung war, wie man sich vorstellen kann, eher gering.
«Das Glück des Menschen beruht darauf, dass es für ihn eine undiskutierbare Wahrheit gibt.» Angelehnt an dieses Zitat Friedrich Nietzsches sah auch Albert Hofmann die eigentliche Freiheit und Verantwortung eines jeden Menschen in seiner «kosmogonischen Fähigkeit», sich seine eigene Wirklichkeit zu erschaffen. Deshalb war für ihn auch «ein Ich, das fähig ist, sich der Außenwelt gegenüberzustellen, das die Welt als Gegenstand, als Objekt, zu betrachten vermag, dieser der Objektivierung der Außenwelt fähige Geist [...] die Voraussetzung für die Entstehung der westlichen wissenschaftlichen Naturforschung». Allerdings stellten die objektiv materielle Weltsicht und die mystisch-religiöse Welterfahrung für Hofmann keinen Widerspruch dar. In seinen Augen ergänzten sie sich vielmehr «zu einer umfassenden Einsicht in ein und dieselbe geistig-materielle Wirklichkeit» und damit «zur vollen Wahrheit und Wirklichkeit unseres Daseins».
Erst den Anspruch der modernen westlichen Weltsicht, beide voneinander zu trennen, betrachtete Hofmann als Irrtum: In unserer modernen Zivilisation sei der Glaube an eine tieferliegende Wahrheit durch eine «dualistische, titanenhafte Einäugigkeit» ersetzt worden, «die nur noch das vom Menschen Gemachte sieht und als die eigentliche Wirklichkeit anerkennt». Dies habe den Menschen zu jenen Krisen der Wahrheitsfindung geführt, die ihm nun – begünstigt durch das «gespaltene Wirklichkeitserleben» seiner Großstädte und Industrielandschaften – in Form von Angst, Halt- und Ziellosigkeit, Depression und Vereinsamung begegneten.
Ein neues Eleusis?
«Wer Naturwissenschaft und die Wunder der Schöpfung studiert und dabei nicht zu einem Mystiker wird, ist kein Naturwissenschaftler.»
In Anbetracht einer Zivilisation, die zunehmend den Zugang zur Natur verloren hat als auch der geistigen Blindheit einer Politik, deren Waffenarsenal binnen einer Sekunde all das auszulöschen vermochte, was für ihn das Paradies auf Erden bedeutete, sehnte sich Albert Hofmann nach einem neuen Eleusis. Wohlwissend, dass «die notwendigen Veränderungen in Richtung eines ganzheitlichen Bewusstseins» weder an den Staat noch die Gesellschaft delegiert werden können, sah er in den eleusinischen Mysterien, den Feiern und Festen des Gottes Dionysos, welche mittels – bis heute nicht gänzlich erforschter – psychoaktiver Substanzen wesentlich zur «Heilung und zur Überwindung der Spaltung von Mensch und Natur» beigetragen haben sollen, die Möglichkeit, «durch einen Bewusstseinswandel im einzelnen Menschen die Voraussetzungen zu schaffen für eine bessere Welt ohne Krieg und ohne Umweltzerstörung, für eine Welt mit glücklichen Menschen».
Wenngleich ein solcher Wandel auch durch «mühsamere Türöffner» wie Meditation, Isolation, Yoga oder Fasten erreichbar sei, gründete Hofmanns Traum vom LSD darauf, auf wissenschaftlichem Wege jenes «mystische Erleben im Augenblick zu provozieren», welches dem Menschen ein Wissen um die dynamische Natur der wahren Wirklichkeit verschafft. Von dieser neuartigen Form naturwissenschaftlicher Forschung, die als Fähigkeit zu mystischem Erleben in uns allen angelegt ist, erhoffte er sich, den Menschen «die Augen öffnen [zu] können für das Wunder der Schöpfung und für die Einheit allen Lebens auf dieser Erde, in das die Menschheit eingeschlossen ist. Dieses zu vollem, allgemeinem Bewusstsein gelangte Wissen könnte zur Grundlage einer neuen Geistigkeit werden und zur Lösung der geistigen, sozialen und ökologischen Probleme der Gegenwart beitragen.»

Ein neues Eleusis gibt es zwar bis heute nicht, dafür tut sich etwas in der LSD-Forschung: Vor einigen Jahren hat sich der Wind erneut gedreht, die wissenschaftliche Aufarbeitung psychoaktiver Substanzen sowie ihr Einsatz in der Psychotherapie, beispielsweise bei Depressionen, erlebt einen neuen Aufschwung. So erhielt zum Beispiel 2007 der Psychotherapeut Peter Gasser aus Solothurn die offizielle Bewilligung, LSD therapeutisch anzuwenden. Für Albert Hofmann, der zu diesem Zeitpunkt mit 102 Jahren zwar am Ende seines Lebens stand, dafür aber – folgt man den Worten Mathias Bröckers – in seiner «jugendlichen Frische und geistigen Klarheit [...] einen der letzten lebenden Weisen unserer Zivilisation»2 darstellte, bedeutete dies die Erfüllung seines Lebenstraumes.
Dieser Artikel erschien zuerst im Schweizer Magazin Die Freien.
(Jetzt, über ein Jahr später, würde ich ihn vielleicht etwas anders schreiben.)
Hofmann, Albert (2010): LSD - mein Sorgenkind. die Entdeckung einer "Wunderdroge". Stuttgart (Klett-Cotta).
Liggenstorfer, Roger / Broeckers, Mathias (2012): Albert Hofmann und die Entdeckung des LSD. Auf dem Weg nach Eleusis. Solothurn (Nachtschatten Verlag).
Sehr toller Artikel. Macht neugierig☺️