Zuletzt erreichten mich zwei E-Mails. Inwieweit ich hier in meiner Talsackgasse überhaupt noch irgendwas von der Welt mitkriegte und dass es ja doch sehr privilegiert sei, hier in der Schweiz zu wohnen und das machen zu können, was ich mache. Lustig, wie sich Menschen Bilder von einem Leben entwickeln, von dem sie keine Ahnung haben. Doch darum soll es heute nicht gehen. Sondern um den Vorwurf, ich beschäftigte mich nicht mit den Dingen, die wirklich wichtig seien in dieser Welt. Kenne ich diesen mittlerweile zwar gut genug, spüre ich, wie auch ich mich ihm gegenüber stets aufs Neue in einer gewissen Form der Rechtfertigung wiederfinde. Dabei allerdings für mich immer wieder zu dem gleichen Schluss komme.
Mal ganz abgesehen davon, dass ich, wäre ich blind für das, was in dieser Welt passiert, wohl kaum schreiben würde, was ich schreibe, glaube ich persönlich einfach, dass es durchaus einen Unterschied macht, mit welchen Dingen ich mich einerseits beschäftige, und welche Dinge ich andererseits zum Objekt meines Schreibens und meiner Gespräche werden lasse. Kurzum: Egal, wie viel ich anderweitig lesen mag und mit welchen Menschen ich Gespräche führe – schlussendlich entscheide ich mich bewusst dafür, die Dinge so zu behandeln, wie ich sie behandle. Nicht aus Angst oder Feigheit, sondern weil ich mich auf diese Weise dahingehend am wirksamsten erlebe, dem Destruktiven in dieser Welt etwas entgegenzusetzen. Ich weiß, wie wichtig es ist, den Finger in die Wunde zu legen. Und doch sind die Wunden, die mir wichtig sind, anderer Natur. Die Ungerechtigkeiten, die ich aufzuzeigen versuche, sind die Ungerechtigkeiten, die wir uns selbst antun. Und entsprechend in dieser Welt reproduzieren. Und ja, dem folgt in gewisser Form auch die Frage, was all’ das «Auflösen» von Verschwörungstheorien und Staatsverbrechen schlussendlich bewirkt, wenn es nichts in uns bewirkt. Mit welchem Ausgang vollziehen wir all’ diese Gewissensakte und warum versuchen wir so krampfhaft, jene Wissenshorizonte zu erweitern, führen sie uns letztendlich nicht zu uns selbst zurück?
In den letzten vier Jahren habe ich einfach bemerkt, dass wenn all’ diese Aufklärung und all’ dieser Missionierungsdrang schlussendlich keine tiefere emotionale Ebene erreicht, sie den Menschen nicht erreicht. Und geht es schlussendlich nicht um ihn? Den Menschen? Darum, dass wir gemeinsam dahin zurückfinden, was dieses Menschsein im Kern eigentlich ausmacht? Was das gute Leben bedeuten soll? Dies, so trage ich zunehmend das Gefühl in mir, ist in diesem ganzen kritischen Denken zuletzt etwas außen vor geraten. Das Kritischsein ist zum Selbstzweck geworden und nicht länger ein Zwischenschritt dahingehend, glücklich zu sein.
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Womit wir zurück bei den Texten wären, die ich Anfang des letzten Jahres über Luzifer, Ahriman, Sorat und die Asuras geschrieben habe: Wir können das Böse nicht «bekämpfen». Alles im Außen ist auch in uns. Doch solange wir das nicht verstehen, solange wir nicht erkennen, dass wir, wenn wir uns im Außen mit Dingen beschäftigen, sie aber nicht im Innern anschauen, wir sie nur fortwährend reproduzieren werden, solange wird uns dieser Kampf gegen «das Böse» als unausweichlich erscheinen, Frieden zu erfahren.
Doch «das Böse» wird immer da sein. In dieser Welt, als auch in uns. Es ist Teil dieser Welt. Und damit Teil des Lebens. Seine «Auflösung» erfährt es erst, wenn wir es als solchen anerkennen und integrieren. Während unser Versuch, sein Chaos zu ordnen, es nicht beruhigen, sondern nur verstärken wird. Befinden sich «Gut» und «Böse» ebenso wenig in einem Kampf gegeneinander, wie wir getrennt von der Natur existieren, ist es eine Illusion, glauben zu wollen, das Gute könne auch ohne das Böse existieren. Das Böse ist eine notwendige Voraussetzung für das Gute in dieser Welt. Als solche zumindest beschreibt sie Alan Watts in folgendem Video:
Das Leben, wie Watts es immer wieder so treffend sagt, ist kein Wettkampf, sondern ein Tanz. In dessen Spiel sich Yin und Yang als Fische nicht länger versuchen, gegenseitig aufzufressen, sondern «den größten Spaß der Welt haben». Kurzum: Nur wenn wir aufhören, das vermeintlich «Böse» im Chaos kontrollieren zu wollen, kann sich der Widerstand abbauen, aus dem heraus uns dieses überhaupt erst als schmerzhaft erscheint. Erst wenn wir in die Versöhnung gehen, wenn wir verstehen, dass, wenn wir beispielsweise Ahriman aus seiner Verdammnis erlösen – im Außen sowie in uns – wir nicht nur uns einen Gefallen tun, sondern gleichzeitig auch ihm. Dass wir verstehen, dass das Böse vielleicht nicht als Böses auf diese Welt gekommen ist, sondern als bloße Erweiterung unseres Menschseins im Sinne einer Lernaufgabe. Denn wie sonst sollen wir uns weiterentwickeln, gäbe es nicht das Böse in dieser Welt? Erst wenn wir das Böse nur noch als Böses betrachten und nicht mehr als in uns angelegtes Potenzial und damit als Chance, dann sind wir verloren. Dann geht es nicht mehr hinauf, sondern bergab. Dann wird es destruktiv und nicht mehr konstruktiv.
Das ist, was ich mit meinen Texten versuche zu sagen. Dass alles an Rationalem in dieser Welt in irgendeiner Form zwar wichtig ist, dass es aber seine Relevanz und Sinnhaftigkeit verliert, wenn es keine Rückkopplung zu unserem eigensten Innersten hat. Nicht nur in der Hinsicht, dass alles Verstandeslastige schlussendlich zu keiner Veränderung führt, wenn es uns nicht auch emotional erreicht, sondern auch, dass es zu keiner Weiterentwicklung führt, wenn wir unser Gefühl nicht integrieren. Wenn wir nicht verstehen, dass es immer auch etwas mit unserer eigenen Seele, mit unserem eigenen Menschsein zu tun hat. Oder anders gesagt: Wenn wir immer nur alles «im Außen» verorten und «das Böse» als diffusen, aber zu bekämpfenden Feind lokalisieren, dann werden wir früher oder später einen Punkt erreichen, an dem uns diese Welt entweder gar nicht mehr tangiert, oder uns so sehr berührt, dass wir an ihr verzweifeln und überhaupt nicht mehr wissen, was wir noch ändern können.
«Wenn du die reine Wahrheit erfahren willst, kümmere dich nicht um richtig und falsch. Der Konflikt zwischen richtig und falsch ist die Krankheit des Geistes.» — Alan Watts
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Genau das ist meiner Meinung nach das Problem dabei, wenn wir alles nur rational und auf Verstandesebene betrachten. Wir brechen die Dinge auf eine Ebene runter, auf der sie schlichtweg nicht lösbar sind. Indem wir alles als groß und übermächtig erscheinen lassen, machen wir uns selber klein und ohnmächtig. Was aber, verstünden wir, dass all’ diese Macht am Ende ihren Ursprung und ihr Ende in uns selbst findet? Das wäre das Ende der Ohnmacht und der Anfang unserer Souveränität. Eben weil wir verstünden, dass niemand anderes unser Schicksal in den Händen hält außer wir selbst. Dass wir allein dadurch, dass wir bei uns selber anfangen, dass wir anfangen zu fühlen und unser eigenes Innenleben zu erkunden, das Fundament dafür gießen, diese Welt irgendwann nicht nur als friedvoll zu erleben, sondern dafür zu erkennen, dass diese Welt immer schon friedvoll war und dass all’ der Krieg, den wir erlebt haben, immer nur eine Manifestation unseres eigenen Krieges in uns gewesen ist.
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Entsprechend beschrieb es auch Watts als «intellektuelle Beschränkung», dahingehend unfähig zu sein, «die spirituelle Erfahrung als solche anzuerkennen». Jemand, der die ganze Zeit nachdenke, hätte doch nichts, worüber er nachdenken könne, außer Gedanken. Er verlöre, so Watts, also die Verbindung zur Realität und lebe in einer Welt der Illusionen. In welcher, daran sei an dieser Stelle erneut erinnert, uns vor allem Luzifer zu halten versucht. Er trägt uns weg von der Wirklichkeit und hält uns gefangen in Ideologien, Verschwörungen, Dogmen – kurzum: allen Phantasmen, die uns vom Leben abhalten. Diesen Mechanismus zu erkennen, ist meiner Meinung nach der erste Schritt, das Böse aufzuheben – nicht zu bekämpfen. Doch nur indem wir verstehen, wie es arbeitet und in uns wirkt, können wir unsere inneren Weichen so stellen, dass wir ihm nicht mehr anheimfallen.
Bis dahin wird sich alles, was wir mit unserem Verstand erschaffen, solange selbst reproduzieren, wie es keine Weite in uns erfährt. Auf Verstandesebene werden wir diese Dualität niemals lösen können. Gleich wir mit ihm stets in jenen Kategorien von «gut» und «schlecht» gefangen bleiben werden, werden wir mit ihm als alleiniges Werkzeug neben aufbauenden Kräften immer auch abbauende Kräfte in dieser Welt unterstützen. Anders jedoch mit unserem Herzen. Sobald wir im Herzen angekommen sind, gibt es diese Unterscheidung zwischen Gut und Böse nicht mehr. Dann ist da nur noch dieses große Verstehen. Und zwar ein Verstehen, das nicht länger im Kopf stattfindet, sondern auf der Ebene, auf der sich allein Seelen etwas zu sagen haben.
Und gleich ich nicht weiß, wie es Ihnen geht, aber gemeinsam mit mir sehr nahen Menschen habe ich momentan das Gefühl, dass in den sich derzeit mehr denn je überlappenden Zeitlinien alles Potenzial dieser Welt bereits angelegt ist. Es überlagert und verschwimmt sehr viel und gleichzeitig öffnen sich ganze Galaxien. Kurzum: Alles ist möglich. Und doch dürfen wir nicht verkennen, dass wir die Wahl haben. Wir als Menschen kommen zwar auf diese Welt und unterliegen unserem selbst gewählten Seelenplan, nichtsdestotrotz haben wir einen freien Willen. Neben unserem Leben als solchem das größte Geschenk Gottes. Somit haben wir das Schicksal zwar in uns angelegt, gleichzeitig aber sind wir unser Schicksal. Wir entscheiden.
«Du bist eine Öffnung, durch die das Universum
sich selbst betrachtet und erforscht.»
— Alan Watts
Unter diesem Aspekt möchte ich einfach dahingehend appellieren, dass wir uns nicht länger einer Form von Zwanghaftigkeit unterwerfen sollten, den Narrativen zu folgen, die im jeweiligen Moment am lautesten schreien. Sondern vielmehr den Menschen zuhören, denen wir uns unserem Herzen nach am nächsten fühlen. Sei dieser Mensch schlussendlich auch nur wir selbst. Wobei wir das «nur» hier auch streichen können – wäre es doch am besten, würden wir allein unserem eigenen Herzen folgen.
Mein Buch «Das Gewicht der Welt» gibt es ab sofort bei Tredition, Thalia, Exlibris, Orellfüssli, Amazon oder überall, wo es sonst noch Bücher gibt.
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Von Seele zu Seele - einfach nur Ja!
Wie Krishnamurti immer so schön sagte: "Der Beobachter ist das Beobachtete" und
"WIR SIND DIE WELT!"
Ich kann nur jedem Suchenden raten, sich selbst zu entdecken, denn auf dem tiefsten Grund unserer Seele, öffnet sich die Wahrnehmung ins Endlose und es lösen sich alle, wirklich alle Fragen auf!
Liebe Lilly,
Sie berühren mich tief mit alldem, was (und wie) Sie schreiben.
Vielen Dank!❤️