Die Grenzen der Gemeinschaft
Wie können wir menschliches Zusammenleben bejahen, ohne uns selbst zu verneinen? Entwürfe nach Helmuth Plessner. Teil 1 (von 3).
«Das Idol dieses Zeitalters ist die Gemeinschaft. Wie zum Ausgleich für die Härte und Schalheit unseres Lebens hat die Idee alle Süße bis zur Süßlichkeit, alle Zartheit bis zur Kraftlosigkeit, alle Nachgiebigkeit bis zur Würdelosigkeit in sich verdichtet. In ihren Prägungen, den Phantomen allzu gequälter Herzen, drängt unter schauriger Rohheit Verschüttetes wieder hervor. Maßlose Erkaltung der menschlichen Beziehungen durch maschinelle, geschäftliche, politische Abstraktionen bedingt maßlosen Gegenentwurf im Ideal einer glühenden, in allen ihren Trägern überquellenden Gemeinschaft. Der Rechenhaftigkeit, der brutalen Geschäftemacherei entspricht im Gegenbild die Seligkeit besinnungslosen Sichverschenkens, der misstrauischen Zerklüftung in gepanzerte Staaten der Weltbund der Völker zur Wahrung ewigen Friedens. Das Gesetz des Abstands gilt darum nichts mehr, die Vereinsamung hat ihren Zauber eingebüßt. Die Tendenz nach Zerstörung der Formen und Grenzen fördert aber das Streben nach Angleichung aller Unterschiede. Mit der gesinnungsmäßigen Preisgabe eines Rechts auf Distanz zwischen Menschen im Ideal gemeinschaftlichen Aufgehens in übergreifender organischer Bindung ist der Mensch selbst bedroht.»1
Das Problem vom Wesen der Gemeinschaft
Über Kampfhaltung und Spaltung zur Selbsterhaltung und freien Entfaltung — nicht nur für uns ist die Zeit gekommen, sich erneut zu vergewissern, was Gemeinschaft bedeutet und aus welchen Gründen sie uns nicht gelingt: Die im Anbetracht der uns entgegengebrachten «Härte und Schalheit unseres Lebens» auferlegten Aufgaben verankerte der Anthropologe Helmuth Plessner bereits 1924 in seiner schmalen, dafür aber nicht weniger bedeutenden sozialphilosophischen Studie Grenzen der Gemeinschaft. In ihr verwies er nicht nur auf eben diese, die «Grenzen der Gemeinschaft» als fortlaufendes Scheitern an einer Kollektivierung des menschlichen Willens, sondern stellte obendrein auch Fragen, die die allgemeine Unversehrtheit ihrer bisherigen Idealisierung begannen anzutasten:
Wie funktioniert menschliches Zusammenleben, ohne den Menschen als solchen aufs Spiel zu setzen? Wie können wir uns als Teil eines größeren sozialen Ganzen fühlen, ohne uns selbst (auf)zu opfern? Wie können wir unser Handeln einem größeren Zweck zuführen, dessen Sinn auch gleichzeitig der unsrige ist? Kurzum: Wie können wir Gemeinschaft bejahen, ohne uns selbst zu verneinen? Sind wir für Gemeinschaft gemacht? Ertragen wir sie überhaupt? Wenn alle sozialen Beziehungen sich so vom Menschen aus entfalten, um im Menschen zu münden – warum ist es am Ende immer der Mensch, der um seiner lebendigen Persönlichkeit, um seiner unvertretbaren Wirklichkeit willen den Preis der Irrealisierung, Maskierung und Funktionalisierung zahlen sowie obendrein die ganze Sphäre der Künstlichkeit, Mechanisierung und der Umständlichkeiten auf sich nehmen muss? Warum erkauft sich der Mensch «ein Raffinement komplizierter Befriedigung mit der Übernahme zweckloser Bedürfnisse», wenn ihm dafür ein unbestimmt großer Teil seiner Freiheit und natürlichen Würde entsagt wird? Was vermag die Last staatlicher Organisation noch an primärer Vertrautheitssphäre zu versprechen, dass der Mensch sich selbst als Mittel unter einen höheren Zweck beugt?2 Wie kann es uns gelingen, im Hervordrängen des «unter schauriger Rohheit Verschütteten» das Ideal gemeinschaftlichen Aufgehens zu verwirklichen, ohne die Würdelosigkeit weiter zu verdichten? Oder ist der Mensch in dieser «organischen Bindung» bereits selbst bedroht?
Gemeinschaft oder Gesellschaft?
Eine Frage nach dem Menschensein.
«Deutschlands klassisches Problem ist also die Frage der Vereinbarkeit von Wirklichkeit und Idee, sozial gefasst von Politik und Moral.»3
Für Plessner war es die Weimarer Republik samt ihrer «allzu gequälten Herzen» wie «maßlosen Erkaltung der menschlichen Beziehungen», die ihm die Grenzen dessen aufzeigte, was es heißt, die Organisation eines gemeinschaftlichen, statt gesellschaftlichen Zusammenlebens anzustreben. Eine Gemeinschaft «der Sache» (mehr dazu im zweiten Teil), wie sie etwa Kommunisten oder Nationalsozialisten propagandierten, ohnehin als illusorisch abgestempelt, suchte er nach einer anderen Form der friedlichen Einigung unter Menschen. Eine Gemeinschaft, die anhalten solle, dürfe das menschliche Seelenleben nicht vergewaltigen. Im Gegenteil: Sie müsse diesem seinen benötigten Raum eingestehen, bei Zeiten auch mal Abstand zu anderen Menschen zu bedürfen, um sich als Person zu entwickeln. Damit war es der Dualismus aus Privatheit und Distanz, der für Plessner die Grenze dessen bildete, was von gemeinschaftlichen Forderungen nicht überschritten werden darf.
Das Problem, das Plessner in diesem Zusammenhang – wie zuvor bereits Ferdinand Tönnies – beschäftigte, drehte sich somit um die Frage, wie sich menschliche Entfaltung in der Gemeinschaft und ihrer Vereinnahmung des Einzelnen unter «eine Idee» bewerkstelligen ließe, oder ob dieses menschliche Grundbedürfnis, sich fortwährend neu zu entwerfen und ausprobieren zu dürfen, einzig in der Anonymität der Gesellschaft seine Berechtigung fände. — Eine Fragestellung, deren Ausgangslage damals wie heute, hundert Jahre später, dieselbe zu sein scheint: Unser Ideal von Gemeinschaft ist zu einer schlecht gelebten Version von Gesellschaft verkommen — expansiv, aber kräftezehrend, einnehmend, aber isolierend. Im scheinbar ewigen, fortdauernd auslaugenden Versuch, Ausgleich herzustellen zwischen Härte und Schalheit, Zartheit und Kraftlosigkeit, Rechenhaftigkeit und Sichverschenken, Vereinsamung und Angleichung, Nachgiebigkeit und Würdelosigkeit hat der Mensch sein Gefühl für den «Takt des Lebens» verloren. Er habe sich, so Plessner, als Person wie auch den Mächtigen gegenüber verraten und verkauft. Weil er sich nicht im Klaren darüber sei, wer er sei und wie er leben wolle, bleibe der Mensch «tastend, sichernd, das Gesicht wahrend», bis die – über seine Geselligkeit entscheidende – Schwingungsweite hinsichtlich seiner Würde, seines Ansehens und seines Werts nicht mehr weiter oszilliere als zwischen «liebenswürdig», «biegsam» und «kriechend»4.
Fehlende Zartheit. Oder: Die Seelenlosigkeit des Maschinenmenschen
Taktlos, als dies galt für Plessner derjenige, der «seine Macht, seine Überlegenheit fühlen läßt» und der «nach vorgefaßten Meinungen, irgendwie zurecht gemachten Bildern andere Menschen behandelt und beurteilt.» Taktlos, das sei «der Seelentaube, Seelenblinde, der Monomane, der jeder Gelegenheit nur sich oder das absolute Nein entnimmt»5 und damit stolz und «gegen die Welt zugeschlossen, schließlich nicht mehr den Weg zu sich selber findet». Für seinen Umgang gilt:
«Alles Ausdrückliche, jede eruptive Echtheit wird vermieden. Unwahrheit, die schont, ist immer noch besser als Wahrheit, die verletzt, Verbindlichkeit, die nicht bindet, aber das Beste. In dieser Sphäre sollte es weder Gut noch Böse, weder Wahr noch Falsch, sondern nur die Werte des Wohltuns, die Hygiene größtmöglicher Schonung geben. Nur der barbarische Mensch läßt sich von Schmeicheleien belügen, von Höflichkeiten umnebeln und schimpft dann auf die verdorbene Welt.»6
Ein Mensch hingegen, der über die Weisheit des Taktes verfüge, besäße «die Bereitschaft, auf diese feinsten Vibrationen der Umwelt anzusprechen, die willige Geöffnetheit, andere zu sehen und sich selber dabei aus dem Blickfeld auszuschalten, andere nach ihrem Maßstab und nicht dem eigenen zu messen.» Weil Takt «der ewig wache Respekt vor der anderen Seele und damit die erste und letzte Tugend des menschlichen Herzens» sei, könne er gar nicht anders, als eine Art Rücksichtsnahme zu pflegen, die in der «Schonung des anderen um meiner selbst willen, Schonung meiner selbst um des anderen Willen» besteht. «Takt», so Plessner, sei somit nicht nur Güte, sondern«die Kunst der inneren sozialen Differenzierung, von der freilich kein äußerlich sichtbarer Niederschlag bleibt, die ohne starre Mittel der Künstlichkeit im bloßen Wechselverkehr der Personen sich entfaltet.»
Es war diese Fremd- und Selbstachtung der Individualität, aus der Plessner das wichtigste Symptom des Taktes schloss: die Zartheit. Weil sie die Menschen nie zu nah oder zu fern kommen lasse, sah er in ihr das einzige Mittel, menschliches Miteinander angenehm zu gestalten. Wo sie, die Zartheit wiederum fehle, verkehre sich menschliches Zusammenleben ins Destruktive; dem Menschsein als solches nicht mehr Bekömmliche. Nur wer sich ihrer Nuancierung zu eigen mache, ihrer «Erkundung nicht unmittelbar gegebener, weil sorgfältig dem Blick der Welt verborgener Eigenschaften, die Fernfühlung, Ferntastung unmerklicher, aber aufschlußreicher Dinge im dauernden Umschwung der Lagen des sozialen Milieus, die Witterung für den anderen Menschen und zugleich die Fähigkeit, es ihn nicht merken zu lassen, die Gedämpftheit im Ausdruck»7, der könne «keiner Logik des Geschäfts» mehr gehorchen, sondern sich und die Welt nur noch «wie von selbst angesichts aller spielenden Beziehungen»8 verstehen. Nur er könne der Anspannung entkommen, die, wie sie Elias Canetti es später in Masse und Macht beschreiben sollte, der archaischen Angst entstamme, anderen Menschen durch Berührung näher zu kommen. «So viel Raum, so viel Zeit» zur persönlichen wie fremden Entfaltung müsse jedoch laut Plessner immer da sein, solle «der Mensch Herr oder wenigstens Kind bleiben und nicht Knecht im Hause werden».
Die Tyrannei der Maschine
Es ist nicht nur eine Frage der Zeit: Die Bedrohung, Knecht im (inneren) Hause zu werden, sah Plessner nicht allein in den – aus einem Mangel an Zartheit resultierenden – Erwartungen (Zwangskollektivierungen des Individualwillens) seitens der Gemeinschaft. Die Bedrohung, durch einen «unsichtbaren Gehorsam im eigenen Innern»9 einem «falschen Sinn unterlegt» zu werden, bestand für ihn in «der Entwicklung einer technischen Welt, die ihr eigenes Tempo, ihren Telegrammstil und Zeit nur noch zum Geldmachen hat» und durch welche «die Kultur des scheinbar Überflüssigen den sogenannten Notwendigkeiten geopfert werden zu sollen» droht.
Provoziert durch einen Industrialismus als «Verkehrsform», einem Expressionismus als Kunst und einem sozialen Radikalismus als «Ethik der Taktlosigkeit», sah er sich konfrontiert mit den Werten «einer Kultur der Seelenlosigkeit, die nur mit Ponderabilien [kalkulierbaren Dingen] und Eindeutigkeiten fertig werden kann, weil sie, von allem anderen ganz abgesehen, keine Zeit mehr für die Nuancen hat. Materialistisches Naturbild, Entseelung und Entgeistung des Leibes, Deklassierung der natürlichen Erscheinung und ihrer schlichten Wirklichkeitsmaße, Outrierung infolgedessen der von den körperlichen Grenzlinien losgerissenen Innerlichkeit, Purismus, Rigorismus und Weltfeindlichkeit der sittlichen Prinzipien, Sittengesetzfanatismus und Eindeutigkeitsverehrung, pharisäische Pathetik der unbedingten Echtheit im Ausdruck und ausschließliches Geltenlassen der Schrankenlosigkeit - alles Symptome der gleichen Geisteshaltung des gehetzten und nichts so sehr als die Unwesentlichkeit verachtenden Maschinenmenschen.»10
Doch obgleich er darauf setzte, dass sich die Seele gegen «diese Tyrannei der Maschine» zur Wehr setzen würde und ihr Dasein anhand von «Gründen» zu verteidigen werden wisse, sah Plessner ihr Schicksal dahingehend bedroht, dass die Epoche der Nationalstaaten, «in ihrem Entstehen durch Rückgang der Obergewalt der Kirche»11 und Verwandeln relativ großer Räume in relativ kleine, die Grenzen des Zusammengehörigkeitsgefühls bis zu den Grenzen der Sprachgemeinschaft hinausschieben könnte. Durch «die abstrahierende Künstlichkeit eben dieser Technik» drohe der Mensch, isoliert wie er ist, seine Diplomatie über die Geltungsphären und die ihnen innewohnenden Gesetze der außerrationalen, unmerklichen Vorfühlung und sorgfältigen Innehaltung der Distanz zu verlieren.12
Schluss und Aktualität
«Nirgends hat das Tassowort mehr Wahrheit: man merkt die Absicht und man wird verstimmt. Natürlichkeit gehört nicht weniger zum Takt als Zartheit. Echte Grazie, eine aus dem Herzen kommende Ursprünglichkeit und Wärme, Notwendigkeit allein gibt den adäquaten Untergrund für die Heilwirkung taktvollen Benehmens. Wo wir Gekünsteltheit herausfühlen, suchen wir auch gleich Beliebigkeit, es so und vielleicht auch einmal anders machen zu können, und die nur verdeckte Ferne des anderen beleidigt uns doppelt, wenn sie uns nicht gleichgültig läßt. Besser allerdings als mit taktlosen Leuten zu verkehren ist dann die Einsamkeit, obwohl sie vom Menschen viel verlangt. Langes Schweigen macht die Stimme rau, die Zunge schwer. Wer aus Verzweiflung an seiner Umwelt immer mehr sich in sich selbst zurückzieht, verstärkt die Hemmungen, mit denen er sich nach außen verbarrikadiert. Aber das Psychische kennt nicht Außen und Innen, und so errichtet der Einsame Barrikaden gegen sich selbst.»13
Viele Gesichter dieser Parallelität von Distanzverlust und Verbarrikadierung des eigenen Selbst erleben wir derzeit. Die Räume werden enger, genauso die Grenzen des Sag- und Denkbaren. «Begründet in der Verletzlichkeit des Psychischen, abgestimmt auf die Unabsehbarkeit individueller Differenzen im sozialen Milieu» klopfen die «Hygienewerte des Taktes» zuweilen auch an die eigene Tür. Doch so ist der Mensch. Wir können nicht gänzlich ohne andere Menschen. Wir brauchen die Gemeinschaft. Oder doch die Gesellschaft? Ich glaube, die Frage danach, wie viel Nähe ihm guttut; welche Art ihn nährt und welche nur unnötig an ihm zehrt, muss jeder Mensch für sich selbst entscheiden. Ein Hermann Hesse, der seine letzten Jahre in Montagnola verbracht hat, abgeschieden weiter oben am Berg mit dem Schild «Besucher verboten» am Gartentor, oder ein Henry David Thoreau, der einige Jahre ganz, später nur noch teils, alleine im Wald lebte, ist für mich nicht weniger Mensch als derjenige, der sein Leben der Gemeinschaft widmet. Im Gegenteil. Manch einer, der mehr Zeit dem Alleinsein mit sich selbst gewidmet hat, trägt in meinen Augen zumal fast menschlichere Züge als derjenige, der zeit seines Lebens unter Menschen war.
Unter oder mit? Ich glaube, das ist auch eine entscheidende Frage. Die vergangenen drei Jahre haben uns schließlich zu Genüge gezeigt, dass wir unser Leben lang der Überzeugung anhängen können, mit Menschen zu sein, während wir in Wahrheit gänzlich an ihnen vorbei gelebt haben.
Und ich weiß, ich bin noch jung und habe dies an anderer Stelle bereits schon einmal erzählt, aber ich für meinen Teil konnte keine meiner bisherigen Freundschaften mit in diese «Neue Zeit» nehmen. Die Fragen, die mir damals zuerst kamen, waren Fragen des Anklagens: Was waren das für Freunde, die mich allein aufgrund dieser einen Entscheidung nicht mehr in ihrem Leben haben möchten? Inwiefern haben sie mich bis dato als Mensch und Individuum gesehen, wenn sie sich allein aufgrund von Behauptungen und medialen Feindbildern ein Bild von mir machen konnten, ohne mich vorher einmal gefragt zu haben, was ich eigentlich denke und fühle?
Mittlerweile habe ich solche Gedanken eher nicht mehr. Klar, man ist traurig über den Verlust, da man mit diesen Menschen über ein Jahrzehnt hinweg seinen Geburtstag gefeiert hat und auch darüber hinaus viele viele Erinnerungen teilt. Vielmehr frage ich mich, ob es wirklich ein Verlust im klassischen Sinne ist. Ich möchte diese Freundschaften schließlich nicht zurück. Ich bin froh darüber, wie es gekommen ist und dass ich jetzt gefühlt mehr in «der Wahrheit» lebe, als noch vor drei bis vier Jahren. Die Beziehungen, die ich jetzt führe, lebe ich. Sie sind echt. Nichts wird ausgespart, alles angesprochen und gefühlt. Jeder darf sein, wie er ist.
Und das ist, denke ich, mit eins der größten Geschenke, die uns diese Zeit beschert hat. Authentizität, Ehrlichkeit, Bedingungslosigkeit. Wir haben gelernt, dass es nicht bloß darauf ankommt, in «Gesellschaft» zu sein. Sondern, dass wir diese Gesellschaft so zu gestalten haben, dass wir uns ihr zu liebe nicht verunstalten müssen. In diesem Fall lässt sich dann aber auch nicht mehr von Gesellschaft sprechen, sondern von Gemeinschaft. Die Gesellschaft können wir nicht ändern, Gemeinschaft aber können wir uns aussuchen. Ihrer gilt es, sich «zu erinnern und nicht müde zu werden, aus ihrem Geist, dem Geist des Taktes, der Verhaltenheit, der Güte und der Leichtigkeit das verkrampfte Gesicht dieser Menschheit von heute in einer Kultur der Unpersönlichkeit zu lösen.»14
Warum der Ausweg aus diesem Dilemma für Plessner im Extrem des Amoralismus gemäß Friedrich Nietzsche bestand und warum man den Menschen kein gutes Gewissen gibt, «wenn man ihnen sagt, dass sie überhaupt keines zu haben brauchen»15, sondern mit dieser Gewissensunterdrückung vielmehr eine Verstärkung und Erhärtung der Gewissensbisse bewirke, folgt im zweiten Teil dieser dreiteiligen Serie.
Plessner, H. (2002). Grenzen der Gemeinschaft: eine Kritik des sozialen Radikalismus. Frankfurt am Main (Suhrkamp), Seite 28
Ebenda, Seite 120.
Ebenda, Seite 21.
Ebenda, Seite 108.
Ebenda, Seite 109f.
Ebenda, Seite 107.
Ebenda, Seite 110.
Ebenda, Seite 108.
Ebenda, Seite 79.
Ebenda, Seite 110, eigene Hervorhebungen.
Ebenda, Seite 114.
Ebenda, Seite 109.
Ebenda, Seite 28.
Ebenda, Seite 133.
Ebenda, Seite 30.
Zum "Takt" (Plessner) würde ich gerne – besser: zwingend – Herz-Qualitäten dazudenken, als lebens-not-wendige Erweiterung / Anbindung der "kalten" Kopfgedanken. Herzenstakt beinhaltet dann Interesse an den Problemen des anderen als Herzensangelegenheit. Gemeinschaft als freier Austausch auf der Grundlage menschlichen Vertrauens setzt einen gewissen Grad an Verwirklichung persönlicher Freiheit (= Verantwortlichkeit) voraus. Nun sind natürlich beide, Gemeinschaft UND persönliche Freiheit, wenn vielleicht auch nicht mehr im Keim-, so doch bestenfalls noch im Jugendstadium, in weiten Teilen der heutigen Gesellschaft. Es ist wohl unumgänglich, mit uns selbst in Bezug auf diese noch zu erfüllenden Aufgaben mindestens so geduldig wie beharrlich zu sein.
Liebe Frau Gebert,
vielen Dank für diesen wiedermal wunderbaren Artikel.
Dieser beschreibt ein Thema von größter Bedeutung. Ich glaube, das Scheitern des Einzelnen an diesem Gesellschaftszwang ohne Perspektive auf Gemeinschaft und Individualität, lässt die Menschen m.E. periodisch immer wieder dermaßen verzweifeln, dass sie ihren Schmerz dann durch allerlei Arten von kollektiv zu begehenden Gräueltaten Ausdruck verleihen.
Ich bin seit 35 Jahren Therapeut und habe meine eigene Linie jenseits vom Mainstream entwickelt. Darin spielen die biografisch gewachsenen Beziehungen zu den Menschen, die sie lieben, eine alles entscheidende Rolle.
Nach dem Lesen Ihres Artikels hatte ich den Gedanken, um wieviel mehr das von Ihnen Gesagte auch auf die Familie zutrifft. Ich sehe darin, in diesem Scheitern und Hoffen des Einzelnen und der Gruppe, die eigentliche Ursache aller Krankheiten.
Beziehungsheilung ist ein wunderbares Betätigungsfeld und führt nicht selten zu wunderbaren Heilungen, auch wenn diese von der Schulmedizin "nicht legitimiert" sind. ;-)
Haben Sie bitte noch etwas Geduld mit meinem "Upgrade to paid".
Ihnen alles Gute und weiterhin gute Ideen mit viel "Honey of words".
Mit freundlichen Grüßen
Frank Ulbrich