Die Pandemie der Ichlosigkeit
Die Leere, an die sich niemand erinnert. Wege aus der Ichlosigkeit Teil 4 von 7.
Sie ist das Ergebnis von Unachtsamkeit, einer zunehmenden Unschärfe und dem Verwischen der Ränder, dort, wo ihre Konturen uns einst Halt versprachen. Was vor ihr war, hat keine Zeit für langen Abschied. Dafür kommt ihre Erosion zu unbemerkt, und doch zu plötzlich. Entspricht sie doch weder einem harten Knall, noch einem sanften Entschlafen. Geschweige denn einer Transzendenz, die zu Höherem verhilft. Sie gleicht mehr einer Art Trance, durch die wir uns – taumelnd zwischen Wachen und Schlafen – in einem Moment wiederfinden, in dem wir «uns» bereits verloren haben.


Anders jedoch als in jenen Sekunden zwischen Tagbewusstsein und Traum, jenen Sekunden nach dem Aufwachen, wenn das Selbst noch nicht ganz in die gewohnte Schablone zurückgefallen ist, ist diese Ichlosigkeit nicht vorübergehend. Sie ist die Leere, die nie vergeht. Die stille Begleiterin, die uns stets daran erinnert, dass wir uns – solange sie da ist – nicht nur so fühlen werden, als wäre niemand da, sondern als wären wir selbst dieser niemand, der sich mit der Präsenz seiner Nichtanwesenheit still und heimlich selbst erstickt.
Denn was bleibt, wenn das Ich erlischt? Ein Körper, der reagiert, aber nicht mehr fühlt. Eine Stimme, die spricht, aber keine eigene Wahrheit mehr trägt. Eine Existenz, die sich fortsetzt, aber nicht mehr erlebt wird.
Die eigene Ichlosigkeit kann niemand aufwiegen. Wer die Verbindung zu sich selbst verloren und sein eigenes Ich verraten und verkauft hat, dem wird es niemand mehr zurückgeben können – außer er selbst. Doch genau darin liegt die letzte, fast unmerkliche List: Das Vergessen darüber, dass er jemals ein Ich besessen hat.
Wodurch die Frage bleibt: Wann war der Moment, in dem er sich endgültig verloren hat? Und wird er sich je an ihn erinnern und sein Ich wiederentdecken können?
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Erinnern an das, was nicht mehr ist
Im Grunde ist es das, was bei mir als Frage übrig bleibt. Nachdem ich mich zuletzt abermals vermehrt mit dem Wirken der Asuras und Sorat auseinandergesetzt, gleichzeitig aber auch Dr. med. Michael Nehls These über das Vergessen und das Wirken der sogenannten «Impfung» auf unseren Hippocampus mehrfach (ebenfalls im Text über «Die Grauen Herren») beleuchtet habe, stehe ich etwas fassungslos einer Pandemie gegenüber, mit der so vermutlich niemand gerechnet hat – und an die sich gleichzeitig auch niemand zu erinnern scheint: der Pandemie der Ichlosigkeit.
Weiß ich persönlich nicht genau, an welchen Sci-Fi-Klassiker oder an welche Horrordystopie mich das Ganze erinnert, oder ob ich derzeit schlichtweg zu viel Doctor Who schaue, merke ich jedoch, wie ich mir insgeheim wünsche, die Menschen wären sich zumindest darüber bewusst, dass sie etwas verloren haben. Auf diese Weise jedoch werde ich das Gefühl nicht los, ich sei es, die auf einer anderen Zeitlinie gelandet sei. Hier sind es nicht die anderen, die bedauern, etwas Entscheidendes verloren zu haben, sondern ich, weil ich mich an dieses «Etwas» noch erinnern kann. Und vielleicht ist dies auch, was am meisten schmerzt: dass das, was den Menschen – in meinen Augen – verloren gegangen ist, ihnen selbst nicht zu fehlen scheint und sie es folglich auch nicht vermissen.
Und selbst wenn: Für jeden Moment, in dem sie die Leere ihrer stillen Begleiterin – ihrer Ichlosigkeit – doch einmal wahrnehmen sollten, hat die Matrix, die sie ihres Ichs überhaupt erst beraubt hat, Mechanismen entwickelt, den Mangel, der ihr selbst innewohnt, schnellstmöglich zu überspielen. Sei es mit Drama, dem Konsum von Materiellem oder belanglosen Körperlichkeiten, Arbeit, als auch mit künstlicher Spaltung in Ideologien, Parteien, Geschlechter oder Gruppen – die Matrix tut alles dafür, die Leere, die sie selbst ist und immer sein wird, niemals greifbar werden zu lassen. Jedes Mal, wenn sie es doch scheint – zum Greifen nahe –, muss sie sich, gleich unserem Ich, auflösen, als wären beide nie da gewesen.
Wobei die Ichlosigkeit zweifelsfrei auch ein Mittel dahingehend ist, im Menschen gar nicht erst ein Reflexionsvermögen dahingehend erkeimen zu lassen, ihm könne etwas fehlen, was als solches nicht für ihn vorgesehen ist. Es gilt: Wo kein Ich ist, ist auch kein Wille, etwas anderes zu wollen, als von der Willenlosigkeit gewollt wird, was sie wollen soll.


Der Schleier des Vergessens
Es ist dieses Wechselspiel zwischen dem «Schleier des Vergessens», also unserer zunehmenden Unfähigkeit, uns an frühere Ichstrukturen zu erinnern oder uns ein Leben außerhalb des für uns Gewohnten vorzustellen, und der «Maske», also unseren Kompensationsmechanismen, die Leere, über die sich das Vergessen gelegt hat, nicht wahrnehmen zu müssen, das ich in meinem Text «Die Grauen Herren» bereits im Juli 2024 wie folgt beschrieb:
«Was aber passiert, wenn sich der Mensch nicht nur in einem Kontext wiederfindet, in dem nichts Menschliches ihn mehr an seine Menschlichkeit erinnert, sondern obendrein ihn auch nichts mehr an sich selbst erinnert? Er vergisst dieses Selbst. Er vergisst sein Anrecht auf ein eigenes Innenleben. Und macht sein Außenleben stattdessen zu seinem Ich, zu seiner Persönlichkeit, zu seiner Maske. Diese Maske ist dann innere wie äußere Struktur zugleich: Indem sie den Menschen vergessen lässt, wer er in Wirklichkeit ist, zieht sie einen Graben zwischen ihn und seiner zur Umwelt verkommenen Mitwelt. Dieser Graben besteht aus Verhaltensweisen, Glaubenssätzen, Indoktrination. Allem voran jedoch aus: Angst. Angst davor, wie andere Menschen darauf reagieren könnten, wäre man auch nur ein bisschen mehr man selbst. Dabei ist die Angst davor, man selbst zu sein, nichts weiter als die Angst vor dem eigenen Selbst. Unserem Unbewussten; dem, was wir noch nicht integriert haben; das, wovor wir uns weigern, es «anzuschauen». Wir ängstigen uns vor uns selbst, ohne zu wissen, was dieses Selbst überhaupt ist.»
An dieser Wahrnehmung meinerseits hat sich seither nicht groß was verändert. Nur dass ich, was ihren Ursprung anbelangt, mittlerweile nicht einmal mehr von «Angst» sprechen würde. Angst zu haben, würde implizieren, dass wir uns dessen bewusst sind, was wir aus dem Grund nicht leben, weil wir Angst davor haben, was die anderen denken könnten. Was ich aktuell jedoch erlebe, ist, dass dieser indirekte Verhaltenskatalog nicht einmal mehr als die soziale Kontrolle wahrgenommen wird, der er eigentlich ist. Ihre Strukturen sind so weit ins Innere der Menschen vorgedrungen, dass diese nicht einmal mehr einen bewussten Unterdrückungsvorgang durchlaufen, sondern gleich dazu übergehen, sich anzupassen, während sie sich nicht einmal mehr daran erinnert, was das, was sie da anpassen, einst gewesen ist.
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Darin besteht für mich die größte Gefahr der Maske: dass wir sie eines Tages nicht mehr als Maske erkennen. Je größer ihr Schatten, der sich über unser Innerstes legt, desto mehr erlauben wir ihrer Morbidität, von uns Besitz zu ergreifen. In meinem Text über die Grauen Herren verglich ich diesen Zustand mit einem unbewohnten Haus, in das jeder eintreten kann, ohne dass wir auch nur den leisesten Versuch unternehmen, ihn daran zu hindern. Es war dieses Bild von Unbewohntsein, das ich mit dem der Grauen Herren in Verbindung brachte. Wobei ich damit nicht dasselbe meinte wie Sigmund Freud, wenn er davon sprach, der Mensch sei vieles, aber nicht Herr in seinem eigenen Haus. Was ich meinte, war die generelle Zunahme innerer Abwesenheit. Eine Abwesenheit, die über das Unbewusste ins Bewusste hinausreicht. Im Grunde eine andere Form der Selbst-losigkeit. Eine Selbst-losigkeit, die die grundsätzliche Entscheidungsgewalt von Menschen infrage stellt.
Die Frage bestand für mich nicht mehr darin, wer oder was ihre Entscheidungen trifft, sondern ob sie überhaupt noch Entscheidungen treffen? Oder ob sie ihnen – oder den Kräften, die ihre Bahnen bereits im Vorwege geebnet haben – nicht vielmehr unterliegen? Ich wollte wissen, inwieweit die Menschen bereits so sehr im Außen sind, als dass sie gar nicht mehr anders können, als ihr Leben übergeordneten Bahnen und grundlegenden Dynamiken unterzuordnen? Inwieweit hat jene Anhaftung von Morbidem ihr Sein bereits so stark eingefärbt, dass sich ihre gesamte Wahrnehmung und Entscheidungsgrundlage ausschließlich im Rahmen und auf Basis dieser Morbidität als Entscheidungskriterium bewegt? Und dass diese Menschen selbst dann keine Lebendigkeit mehr in diese Welt tragen könnten, wenn sie es wollten, – eben weil ihr Verschriebensein diese bereits insofern im Vorwege ausklammert, als dass das, was diese Menschen für sich und die Welt als «gut» erachten, sich schon längst nicht mehr im Rahmen des eigentlich «Guten» bewegt.
Schon damals führte ich diesen Zustand der zunehmenden Ichvergessenheit vieler Menschen auf eine Entscheidung zurück, die sie in den vergangenen vier Jahren getroffen haben und mit der sie sich nicht nur einem System, sondern vielmehr einer Kraft angedient hätten, die die Verbindung zwischen ihnen und ihrem prana, ihrer Lebensenergie und Anbindung an das, was dem Leben und der Lebendigkeit dient, wie unwiederbringlich durchtrennt hat. Mittlerweile bin ich mir bei vielem dieser Dinge nicht mehr «sicher». Nicht, dass ich dies je war, aber rein vom Gefühl her – abseits all’ dessen, was ich in den letzten Jahren gelesen oder erzählt bekommen habe – weiß ich derweilen nicht mehr, was ich noch glauben soll. Beziehungsweise: Ich habe zunehmend das Gefühl, dass das, was wir hier auf Erden erleben, nicht ganz von dieser Welt ist, und sich entsprechend auch nicht vollständig mit unserem Verstand lösen, geschweige denn mit Worten beschreiben lässt.


Die Matrix
So sind es für mich immer weniger Dinge im «Außen», die ich als zu bedrohendes Übel wahrnehme. Stattdessen zerbreche ich mir meinen «Kopf» an den Strukturen, in die wir bereits hineingeboren sind. Empfand ich selbst das Wort «Matrix» immer als etwas abgelutscht und zu plakativ nach Hollywood tönend, kommt mir selbst das mittlerweile als «gewollt» vor. Denn wie ich zuvor bereits schrieb: Nichts liegt der Matrix näher, als sich selbst zu vertuschen und ungreifbar werden zu lassen. Warum also nicht, indem sie ihren eigenen Begriff verrät und der Inflation preisgibt? Den Tiefgang dessen, was passiert, wenn man ihn im Umkehrschluss einmal versucht zu ergründen und in seiner Bedeutung auseinanderzunehmen, erlebe zumindest ich derzeit. Und ich kann nur so viel sagen: Ihre Annäherung bereitet mir Kopfschmerzen und öffnet Abgründe vollkommener Desillusionierung. Eine Ent-täuschung, die Politik, Großkonzerne und Krieg allein bei mir noch nicht vollbringen konnten.
Tatsächlich hinterfragen zu sollen, was von dem, was ich derzeit versuche, als das, was ist, zu leben und entsprechend in mein Bewusstsein zu integrieren, wirklich ist, und was nur Vorstellung ohne Willen, ist nochmal eine ganz andere Dimension. Von der ich aktuell noch nicht ganz abschätzen kann, mit wie viel «Ich» ich aus ihr zurückkehren werde. Denn was sich beim Betreten dessen, was hinter «der Matrix» schlummert, aufzutun vermag, hat mit «mir» gefühlt nichts mehr zu tun. Was, wie sollte es anders sein, bei mir die Frage aufwirft, ob dieses «Ich», gegen dessen Verschwinden ich hier so inbrünstig eintrete, überhaupt etwas ist, für das es sich einzutreten lohnt, sollte das Festklammern unsererseits an ihm schlussendlich das sein, was uns in dieser Dimension gefangen hält? Wie kommen wir hier raus? Kommen wir hier überhaupt raus? Und ist das überhaupt erstrebenswert? Oder liegt unsere Aufgabe nicht vielmehr darin, anstatt unser Ich zu «töten», es, wie ich es in meinem letzten Text geschrieben habe, zu transzendieren – bevor es stirbt?
Fragen über Fragen und so wenig Antworten. Leider? Ich weiß es nicht, halte ich es doch grundsätzlich für essenziell, fragend zu bleiben. Gleichzeitig frage ich mich jedoch, ob nicht auch dieses Fragen jenen Widerstand erzeugt, von dem sich die Matrix nährt. Aber was wäre die Alternative? Mit dem Fragen aufzuhören? Oder schlichtweg nicht mehr zu denken? Sprich, die Dinge nicht mehr allein mit dem Verstand lösen zu wollen? Gar nichts mehr zu wollen? Und stattdessen einfach nur zu «sein»? Hört es dann wirklich auf? Oder ist die Vorstellung, einfach nur zu «sein», nicht bloß eine weitere Geschichte, die wir uns erzählen, um uns selbst glauben zu machen, wir wären nicht länger Opfer einer größeren?
Wann, frage ich mich, ist die Geschichte, die wir uns über unser Leben erzählen, wirklich die unsrige und damit nicht länger eine Geschichte, sondern das Leben selbst? Wann hören wir auf, zu erzählen und erzählt zu bekommen und fangen stattdessen an, zu leben?
Liebe Lilly,
es heißt, dass Menschen bis zu einer bestimmten (hohen) Stufe der Bewusstseinsentwicklung hauptsächlich aus Schmerz lernen. Und so scheint es tatsächlich klug zu sein, wie Kristina Hazler kommentierte, Abstand zu gewinnen, zu beobachten und geschehen zu lassen. Die müssen da alle erst noch durch. Auch aus eigener Erfahrung kann ich sagen, kämpfen (um das Wohlergehen anderer) bringt nichts als Ärger und Verdruss. Das Böse muss an sich selbst scheitern; ich habe mich da zu zügeln, auf dass ich nicht selbst zum Bösen werde. Die Menschen müssen jeder für sich erst durch den existenziellen Schmerz, der zumindest für mich der Grund war, mich auf Liebe zu besinnen. Aber da scheinen viele noch nicht zu sein und ich finde das frustrierend. Vermutlich geht es genau darum, dennoch liebevolle Geduld für diese Menschen aufzubringen, selbst wenn ich das neue Zeitalter nie in diesem Körper erleben werde. Als Seele werde ich es dann umso eher...
Trotzdem können wir unser eigenes Leben auf Liebe ausrichten. Ich war mehrere Jahre in einer solchen Gemeinschaft, und habe wunderschöne und erschütternde Erfahrungen machen dürfen. Es zwingt uns niemand, diese Zeit alleine zu durchleben. Zusammen gelingen kollektive Liebesräume, und das ist dann schon sehr nah an dem, was die Zukunft für uns alle bereithält. Eines Tages, so bin ich überzeugt, werden wir alle in solchen neuen Stämmen leben und darin einen Frieden und eine Erfüllung erfahren, die sich heute niemand vorstellen kann, der nur die Kleinfamilie kennt. (Wir brauchen das tatsächlich viel dringender, als uns bewusst ist; auch das haben wir zu vergessen gelernt.)
Genau, einfach in den eigenen Körper tief hineinfallen und sich mit jeder Zelle verbinden. Dann bin ich in meinem tiefsten Ich, dem Selbst, habe meine Seele kreiert. Kann erkennen wo die Angst herkommt.