«Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen:
darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.» – Primo Levi
Wer alles verliert, kann leicht sich selbst verlieren. Das haben die Berichte aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern des vergangenen Jahrhunderts zu Genüge gezeigt. Eingepfercht und gehalten wie die Tiere wurden ihre Protagonisten mit dem konfrontiert, was sie nie mehr vergessen sollten: die Abgründe menschlicher Existenz. Die ihrer eigenen wie auch die ihrer Unterdrücker, – diesen braven Untertanen, willigen Befehlsvollstreckern und gehorsamen Instrumente einer Macht, die auch in ihren Gesichtern Erschöpfung, Verblendung und Wildheit zu spiegeln vermochte; die auch sie hilf- und seelenlos werden ließ.
Der Kampf ums innere Überleben
«Den Tod der Seele». Das bedeutete für Primo Levi, den italienischen Chemiker und Auschwitz-Überlebenden, der Aufenthalt im Konzentrationslager, ein «Leben» unter der Willkür seiner permanenten Entwürdigungen und seinem Ziel der Entmenschlichung. In seinem autobiografischen Bericht Se questo è un uomo (1947, Ist das ein Mensch?) beschrieb er dieses tägliche Ringen ums eigene Überleben, den Versuch, nicht tierisch zu werden, sondern ganz Mensch zu bleiben, wie folgt:
«Es gilt, gegen den Strom zu schwimmen; es gilt, Tag um Tag und Stunde um Stunde gegen die Mühe anzugehen, gegen den Hunger und gegen die Kälte und gegen das Sichgehenlassen, die Folge von all dem; es gilt, den Feinden standzuhalten und kein Erbarmen für seine Rivalen zu kennen; es gilt, seinen Geist zu schärfen, sich mit Geduld zu wappnen und seinen Willen zu stählen. Oder man muß jede Würde in sich zerstören und jede Gewissensregung abtöten, muß als Rohling gegen die Rohlinge zu Felde ziehen und sich von den ungeahnten unterirdischen Kräften leiten lassen, die den Geschlechtern und den einzelnen in grausamer Zeit Beistand gewähren. Viele Wege haben wir ersonnen und befolgt, um nicht sterben zu müssen, so viele, wie es menschliche gibt. Jeder von ihnen war ein aufreibender Kampf des einzelnen gegen alle, und sie stellten oft eine nicht geringe Summe von Verirrungen und Kompromissen dar. Denn überleben zu können, ohne etwas von seiner eigenen, moralischen Welt aufzugeben oder ohne ein machtvolles und unmittelbares Eingreifen des Glücks, ist nur ganz wenigen Überragenden vorbehalten, die das Zeug zum Märtyrer oder Heiligen haben.»
Nach Beendigung seines Studiums, das er 1941 mit Promotion und Auszeichnung, aber auch mit dem Vermerk "von jüdischer Rasse" absolvierte, schloss sich Levi 1943 dem Widerstand der Resistenza an. Kein Jahr kämpfte er im Nordwesten Italiens, bis er im Dezember desselben von der faschistischen Miliz gefasst und – einzig «aus Furcht, als Widerstandskämpfer direkt erschossen zu werden», sich zu seiner jüdischen Abstammung bekennend – im Februar 1944 nach Auschwitz deportiert wurde. Von den 650 Frauen, Männern und Kindern seines Zuges wurden nur rund 120 als Häftlinge aufgenommen, alle weiteren wurden direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet. Bei Kriegsende sollte der damals gerade mal 25-jährige Primo Levi einer von nur fünf Überlebenden dieses Zuges sein.
In Auschwitz angekommen, wurde Levi als Zwangsarbeiter für IG Farben eingesetzt. In den Fabrikhallen überlebte er den harten Winter. Doch als wäre dies nicht genug des «Glücks», sollte ihn der Umstand, wenige Tage vor der Befreiung des Lagers an Scharlach zu erkranken und in den sogenannten «Krankenbau» verlegt zu werden, auch noch davor bewahren, mit auf die Todesmärsche der SS-Wachmannschaft genommen zu werden. Ohne ärztliche Pflege und damit sich selbst überlassen, war für ihn augenscheinlich keine «Evakuierung» mehr nötig.
In Die Atempause sollte Levi später festhalten, dass es «verschiedene Anzeichen für die Annahme [gab], dass die Deutschen ursprünglich die Absicht hatten, keinen einzigen Menschen lebend in den Konzentrationslagern zurückzulassen; aber durch einen massiven nächtlichen Luftangriff und die Geschwindigkeit des russischen Vormarsches wurden sie veranlasstt, ihre Absicht zu ändern, ihr Werk unvollendet zu lassen und, ohne ihre Pflicht erfüllt zu haben, die Flucht zu ergreifen»1. Zu diesem Zeitpunkt war er einer von etwa achthundert, die im Krankenbau von Buna-Monowitz zurückblieben. Und einer von knapp dreihundert, die nicht infolge ihrer Krankheiten starben, erfroren oder verhungerten.
Dort im Krankenbau, abseits all der körperlichen Gewalt, den moralischen Toden wie zwangsläufig abgestorbenen Gewissensregungen beschlich die Zurückgebliebenen ein Gefühl von Sinnlosigkeit und Leere. Im allmählichen Wiedergewinn geistiger Klarheit war es für viele von ihnen der Beginn eines lebenslangen Konflikts – in der Zurückeroberung äußerer Freiheit, diese auch weiterhin im eigenen Inneren zu bewahren; nicht im Erblassen der Brutalität schlussendlich an der Erinnerung an sie zugrunde zu gehen. Der Bedeutung dieser Tage in Hinblick auf das eigene – geistige – Fortbestehen machen Levis Aufzeichnungen auch an dieser Stelle deutlich:
«KB [der Krankenbau] ist Lager ohne physische Drangsal.
Darum erlangt derjenige, der noch eine Spur von Bewusstsein hat, dort sein Bewusstsein wieder; und darum redet man dort während der langen, leeren Tage von anderem als von Hunger und Arbeit, und es kann vorkommen, daß wir uns vergegenwärtigen, was man aus uns gemacht hat, was man uns alles genommen hat, was dieses Leben hier ist.
In diesem KB, in dieser Parenthese relativen Friedens haben wir gelernt, dass unsere Persönlichkeit zerbrechlich ist, daß sie weit mehr in Gefahr ist als unser Leben.»
Die Frage nach Schuld
«Monster existieren, aber sie sind zu wenige, um wirklich gefährlich zu sein. Gefährlicher sind die einfachen Männer, die Funktionäre, die bereit sind zu glauben und zu handeln, ohne Fragen zu stellen.» – Primo Levi
Nicht nur in Ist das ein Mensch?, sondern gleichsam in späteren Werken wie Die Untergegangenen und die Geretteten oder Wann, wenn nicht jetzt? drehte sich Levis Denken und Wirken im Kern um eines: den Zivilisationsbruch der gezielten Entmenschlichung. Abseits jedweder Psychologisierung sah er in den Verbrechen der Nazis die Abhandlung eines konkreten Themas: «das des vermeintlichen Rechts des Volks der Übermenschen, das Volk der Untermenschen zu knechten oder auszurotten»2. Was sie zu ihren Taten trieb, war für Levi mehr als Faschismus. Es war die Überzeugung, der Welt eine Neue Ordnung zu versprechen. Sie reinzuwaschen und zu huldigen. Dafür musste «der Feind» nicht nur sterben – er musste qualvoll sterben3. Und das mit Erfolg: Viele Menschen, die das Konzentrationslager überlebten, konnten selbst nach ihrer Befreiung die Freiheit kaum wahrnehmen. Der Grad ihrer Entpersonalisierung und Sinnesleere war schon zu weit fortgeschritten.
«Überall vom Tod umgeben, war der Deportierte oftmals gar nicht in der Lage, das Ausmaß der Vernichtung abzuschätzen, die sich vor seinen Augen ereignete.»4
Selbst nicht religiös, aber sehr an der jüdischen Kultur und Tradition interessiert, war es Levi spätestens nach seinen Erfahrungen im KZ nicht mehr möglich, an die Existenz eines Gottes zu glauben. Was waren das für Menschen, die ihresgleichen bis zur Unmenschlichkeit deformierten? Und was soll das für ein Gott sein, unter dessen Augen dies geschehen konnte? Wann hören wir auf, Menschen zu sein – und warum? Gibt es Grenzen des Menschlichen? Und wenn ja, worin bestehen sie? Ziehen wir sie selbst oder ziehen andere sie für uns? Wann hören wir auf, Würde zu empfinden? Und überhaupt: Wann hören wir auf, überhaupt zu empfinden, zu erinnern, zu träumen? Wann hören wir auf, für uns selbst Ansprüche zu erheben?
Der Gedanke daran, ob und inwieweit man etwas hätte ändern können, sollte Primo Levi noch lange begleiten (dazu später mehr). Es war die Frage nach Schuld. Ausgeliefert an ein System, das keine persönlichen Entscheidungen erlaubte, der eigenen Entscheidungskraft beraubt, dissoziierten die Betroffenenen mit der Zeit nicht nur von ihrer eigenen Willenskraft – sie erlebten sich auch nicht mehr als verantwortlich5. Diese Distanz zur eigenen Betroffen- und Wirksamkeit machte Levi mitunter an der Unausgesprochenheit des nationalsozialistischen Apparates fest: Niemand wusste, was als Nächstes geschehen sollte, geschweige denn aus welchem Grund. Das eigene Leben konnte nicht mehr als ein solches empfunden werden.
Und damit meinte Levi nicht nur diejenigen, die sich zu seiner Zeit auf der Zauninnenseite befanden: Werde auch nie jemand mit Gewissheit feststellen können, «wie viele im nationalsozialistischen Apparat nicht nichts wissen konnten von den unsagbaren Greueln, die begangen wurden, und wie viele etwas wußten, aber so tun konnten, als wüßten sie nichts, und wie viele wiederum die Möglichkeit hatten, alles zu wissen, aber sich entschlossen, den Weg der Vorsicht zu gehen und Augen und Ohren (aber vor allem den Mund) fest verschlossen zu halten»6, war es in Levis Augen die Mehrheit der Deutschen, denen man vielleicht nicht unbedingt vorwerfen konnte, die Massenvernichtung leichten Herzens hingenommen zu haben, der man aber vorwerfen kann, sich von dem Hitler-Terror auf ein Attribut reduziert haben zu lassen: «eine Feigheit, die zur Gewohnheit wurde, und zwar so tiefgreifend, daß sie die Männer davon abhielt, ihren Frauen etwas zu erzählen, und die Eltern, mit ihren Kindern darüber zu sprechen - eine Feigheit, ohne welche die schlimmsten Auswüchse niemals möglich gewesen wären und ohne die Europa und die Welt heute anders aussehen würden»7.
Die "Scham" der Geretteten
Primo Levis letztes Buch Die Untergegangenen und die Geretteten erschien 1986, ein halbes Jahr vor seinem Tod. Anders als seine vorherigen Werke endete seine, – wenn auch nur gedankliche, – letzte Rückkehr nach Auschwitz nun jedoch in keinem reinen Erfahrungsbericht mehr, sondern eröffnete eine Art Metareflexion über Schuld, Scham und Verdrängung, deren Früchte auf spätere Generationen nicht weniger von Nachdruck sein sollten. Das Buch ist mehr als lesenswert, so oder so. Dennoch möchte ich einen Gedanken hier aufgreifen, der mich persönlich fassungslos zurückgelassen hat. Denn nicht genug, dass sich Levi auch noch 40 Jahre nach seiner Befreiung die Frage stellt, ob man genug gegen das System unternommen habe, ob nicht auch die Lagerinsassen dadurch eine «Schuld» zu verantworten hätten, haben sie nicht genug Widerstand gezeigt8 – obendrein kommt er zu einer weiteren «Einsicht»:
«Nicht wir, die Überlebenden, sind die wirklichen Zeugen… Wir Überlebenden sind nicht nur eine verschwindend kleine, sondern auch eine anomale Minderheit: Wir sind die, die aufgrund von Pflichtverletzung, aufgrund ihrer Geschicklichkeit oder ihres Glücks den tiefsten Punkt des Abgrunds nicht berührt haben. Wer ihn berührt, wer das Haupt der Medusa erblickt hat, konnte nicht mehr zurückkehren, um zu berichten, oder er ist stumm geworden. Vielmehr sind sie, die Muselmänner, die Untergegangenen, die eigentlichen Zeugen, jene, deren Aussage eine allgemeine Bedeutung gehabt hätte. Sie sind die Regel, wir die Ausnahme. Unter einem anderen Himmel und als Heimkehrer aus einer ähnlichen und doch ganz anderen Versklavung hat dies auch Solschenizyn festgehalten:
‹Fast alle, die eine lange Strafe verbüßten und die ihr beglückwünscht, weil sie überlebt haben, sind ganz ohne Frage ‹pridurki› oder sind es während des größten Teils ihrer Häftlingszeit gewesen. Denn die Lager sind Vernichtungslager, das darf man nicht vergessen.›
In der Sprache jenes anderen Lageruniversums bezeichnet ‹pridurki› jene Häftlinge, die sich auf die eine oder andere Weise eine privilegierte Stellung erobert haben, diejenigen also, die bei uns die Prominenten hießen.»9
Nachgedanken.
Ist das ein Mensch? las ich zum ersten Mal mit 18. Das ist nun sechs Jahre her. Ich weiß noch, wie mich die Sachlichkeit, von der Levis Sprache durchzogen ist, damals über Wochen hinweg nicht mehr loszulassen vermochte. Aus fast wissenschaftlicher Perspektive schildert er die Vorgänge in Auschwitz, was ihre Absurdität und die unerträgliche Willkür nur umso spürbarer werden lässt. Ähnliche Gefühle ergreifen und prägen mich auch heute noch, nachdem ich in den letzten drei Tagen sein übriges Werk inhaliert habe: Woher die Distanz? Wie kann man über etwas, das man am eigenen Leib erfahren hat und das das Leben von Millionen von Menschen auslöschen wie auch im Nachhinein durch das bloße Erinnern an seine Brutalität beenden konnte, mit solch einer Nüchternheit erzählen? Ich will mir nicht anmaßen, mir auch nur im Entferntesten vorstellen zu können, welchem Leidensdruck Betroffene wie Primo Levi ausgesetzt gewesen sein müssen, aber ich glaube, ich kann mittlerweile verstehen, woher dieser Impuls kommt, die Wahrheit zu erzählen. So sehr sie auch verletzt.
Die Wahrheit zu erzählen, war Levis Suche nach Gerechtigkeit (und vielleicht auch die nach seinem inneren Frieden damit, vielleicht nicht genug getan zu haben – im Gegensatz zu Millionen anderen überlebt zu haben). Aber indem er schrieb, was war, schrieb er über das, was selbst – oder vielleicht gerade – heute viele von uns weder sehen, noch wahrnehmen möchten: unsere eigene Feigheit. Er hatte verstanden, worin der wahre Brandbeschleuniger faschistoider Systeme besteht. Dementsprechend eindeutig findet man ihn auch am Ende seines Lebens, als er noch einmal nach Auschwitz zurückkehrte: «Die Idee ist nicht tot. Nichts stirbt jemals. Alles entsteht neu. Formen verändern sich. Formen sind wichtig… Diejenigen, die Auschwitz leugnen, sind dieselben, die bereit wären, es wieder zu machen.»10
Was die Konfrontation mit «der Wahrheit» Levi selbst gegeben hat, lässt sich nur mutmaßen: Wider allen Schreibens, den Versuchen, das Geschehene durchs Verstehen greifbar – und damit bewältigbar – werden zu lassen, hörten seine Erinnerungen nicht auf, ihn auch im Schlaf zu verfolgen11. Am 11. April 1987 starb er durch einen Sturz in den Treppenschacht seines Wohnhauses in Turin. Der Verdacht, dass es sich hierbei um einen Freitod gehandelt hat, währt bis heute.
«Wenige Menschen verstehen es, mit Würde in den Tod zu gehen, und oft sind es nicht die, von denen man es erwartet. Wenige verstehen es, zu schweigen und das Schweigen des andern zu achten.» – Primo Levi, Die Atempause, Seite 111
Levi, Primo (1994): Die Atempause. Stuttgart (Dt. Taschenbuch-Verlag), Seite 7.
Levi, Primo (2015): Die Untergegangenen und die Geretteten. Köln (DTV), Seite 120.
Ebenda, Seite 125.
Ebenda, Seite 13.
Ebenda, Seite 25.
Ebenda, Seite 11.
Ebenda.
Ebenda, Seite 78.
Ebenda, Seite 86.
«Ich sitze am Familientisch, bin unter Freunden, bei der Arbeit oder in einer grünen Landschaft - die Umgebung jedenfalls ist friedlich, scheinbar gelöst und ohne Schmerz; dennoch erfüllt mich eine leise und tiefe Beklemmung, die deutliche Empfindung einer drohenden Gefahr. Und wirklich, nach und nach oder auch mit brutaler Plötzlichkeit löst sich im Verlauf des Traumes alles um mich herum auf; die Umgebung, die Wände, die Personen weichen zurück; die Beklemmung nimmt zu, wird drängender, deutlicher. Dann ist alles ringsum Chaos, ich bin allein im Zentrum eines grauen wirbelnden Nichts; und plötzlich weiß ich, was es zu bedeuten hat, und weiß auch, daß ich es immer gewußt habe: Ich bin wieder im Lager, nichts ist wirklich außer dem Lager; alles andere waren kurze Ferien, oder Sinnestäuschung, Traum: die Familie, die blühende Natur, das Zuhause. Der innere Traum, der Traum vom Frieden, ist nun zu Ende, der äußere dagegen geht eisig weiter: Ich höre eine Stimme, wohlbekannt, ein einziges Wort, nicht befehlend, sondern kurz und gedämpft. Es ist das Morgenkommando von Auschwitz, ein fremdes Wort, gefürchtet und erwartet: Aufstehen, ‹Wstawać›"» (Die Atempause, S. 245f.).
Ich finde ihren Blog interessant wg. der Perspektive der Generation vor mir in diesen Zeiten. Denn mir scheint ein Hauptfaktor darin zu liegen, warum es um die gesellschaftliche Freiheit und zivilisatorischen Errungenschaften schlecht steht, dass unsere beiden Generationen sich kaum noch für Bücher, Innenperspektiven und Geschichtliches interessieren. Und im politischen Machtkampf sind diese beiden Generationen wichtig, da ohne Sie die Gesellschaft und ihre Zukunft zusammenbricht. Kritische Bücher sind zwar noch auf den Bestsellerlisten, aber eben nicht in der öfftl. Aufmerksamkeit und Diskurs. Für diese Dinge sollte man sich aber selber interessieren als Mensch, es muss nicht als Konsumgut angeworben werden. Natürlich bedarf es etwas Anleitung welche starke Kost an Büchern man in welchen Jahren zu sich nimmt. Aber wer Schindlers Liste in der Schulklasse zum ersten Mal sah, kann und sollte auch obige Bücher nicht fürchten. Bücher sind das Gewissen einer Gesellschaft, unabhängig von Zeitgeist, Geschichtsklitterung und pol. Entwicklungen auf kurzen Zeitskalen.
In einem älteren Kommentar hier schrieb ich, dass ich den Holocaust für nicht wiederholbar halte in seiner Art, er war ja mehr als "nur" Massenmord und staatlicher Genozid mit Hilfe des Faschismus. Ich halte nichts davon ihn als singulär zu titulieren, denn das trägt dazu bei ihn zu vergessen. Was mich in den letzten drei Jahren fassungslos gemacht hat sind die massenpsychologischen Parallelen zu den Jahren vor 39 in D. Das Abgrenzen und schuldig titulieren der Ungeimpften und Einsperren der Kinder für einen "höheren Zweck" und wie einfach und schnell das ging. Nein, es war kein Schwarmbewusstsein, -solidarität oder gar -intelligenz was so dargestellt wurde und wir beobachten mussten bei den Mitmenschen. Es war der zivilisatorische und sozialpsychologische kleinste gemeinsame Nenner der Massengesellschaft und der hat auch den Holocaust verursacht, die eigene Sippe ist wichtiger als eine Minderheit und moralische Sitten. Dies ist notwendig, aber auch hinreichend für den Zivilisationsbruch? Ohne die Dummen nach Dietrich Bonhoeffer und die gewaltbereiten Schergen wäre Holocaust wohl nicht passiert. Viktor Frankl schreibt ähnlich wie Levi, dass nur die geistig autarken im KZ länger überleben konnten. Das ist aber das genaue Gegenteil zum kleinsten gemeinsamen Nenner, zum Massenkonformismus. Muss man sich in einem KZ oder im Schützengraben mehr schämen überlebt zu haben? Scham gegenüber anderen setzt so etwas wie zivilisatorische Mindestregeln der Gemeinschaftlichkeit voraus, die gab es nachweislich im KZ nicht wenn man Viktor Frankl liest, nicht mal der Sexualtrieb war noch ausgeprägt schreibt er. Es muss wahrscheinlich noch schlimmer als ein Schützengraben gewesen sein im 1 WK den eigenen Verfall bewusst am eigenen Körper langsam zu erleben, die Hoffnung ist aber gestorben, dass ist der wichtige Unterschied und eine der stärksten Triebe im Menschen, es ging NUR noch um das Überleben. Und nur sehr wenige konnten einen Sinn darin sehen...