Nymphen, Waldfeen, Elementarwesen: Sind sie für viele im Reich der Märchen und Sagen verschwunden, erachtet die Geomantie unsere Vergessenheit ihnen gegenüber als Wurzel unseres materialistischen Weltbildes und das damit ins Wanken geratene Gleichgewicht dieser Erde. Mit ihr wieder in Kontakt, so die Geomantie, kommen wir nur, indem wir wieder lernen zu fühlen.
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Manchmal braucht es nicht viel: ein kleiner Windhauch, ein besonderer Lichteinfall und uns beschleicht die Ahnung, uns umgäbe etwas Größeres, etwas, das wir längst vergessen haben. Wir bekommen Gänsehaut, in unseren Augen bilden sich Tränen. Denn gleichzeitig ahnen wir: Mit unserem Verstand ist hier kein Fortkommen. Und doch haben wir einen anderen Weg, auf die Welt zuzugehen, nie gelernt.
Dieser «Sackgasse» widmet sich die Geomantie. Als uralte Weissagekunst, die – anders als die Chiromantie nicht aus der Hand, sondern aus der Erde liest, legt sie den Fokus auf das Sinnliche. Durch das mit ihm einhergehende Körperbewusstsein versucht sie den Menschen zurück ins Gefühl und damit zurück in die Verbundenheit mit der Natur und der Erde als solcher zu befördern. Schließlich blickt die Geomantie anders als moderne Wissenschaften nicht auf Materie, sondern – in ihrer bis in die Steinzeit zurückreichenden Praktik, das Land nach genauen astronomischen Gesichtspunkten zu vermessen und mit Hilfe von Ritualen und Wallfahrten in seiner Energie aufrechtzuerhalten –, auf das, was feinstofflicher Natur ist; auf die Atmosphäre, die Mystik, das Spezielle, das einen Ort umgibt.
Reichen die von ihr getragenen Sehnsüchte von dem Wunsch nach einem Gemeinwesen, das im Einklang mit der Natur und ihren Kräften lebt, bis hin zur Hoffnung auf eine Rückkehr zum heidnischen Übermenschentum, ist das «Mystische» an dieser Stelle darauf zurückzuführen, was – so will es die geomantische Lehre – die germanischen Ahnen noch fähig waren, wahrzunehmen: Kraftorte und Kraftlinien, die sogenannten «Leylines». Gleich sie für eine architektonische Idee stehen; ein Ausdruck von Weltverständnis, das sich ständig neu entfaltet und entwickelt, gelten Kraftorte als Plätze, die von Gott selbst bestimmt wurden; an denen er Kontakt mit Menschen aufgenommen hatte, an denen Menschen verstorben waren oder gar ein Engel einem Heiligen den Platz als Wunderquelle im Schlaf offenbarte. Als geographisch fixierte Schnittstellen zwischen Alltag und Schicksal, zwischen Gott und Mensch, zwischen Leben und Tod, errichtete man an ihnen Hinkelsteine, sogenannte «Menhire», deren Bezeichnung sich dem Bretonischen entlehnt, wo sie in Carnac in ihren kilometerlangen Reihen oder kreisförmig als Stonehenge den Archäologen bis heute ein Rätsel sind.
Fühlen, was ist
Hat es sich der Geomant durch seine «Erdstrahlfühligkeit» folglich zum «Auftrag» gemacht, Energiezentren auf der Erdoberfläche auszumachen, sowie die künstliche Veränderung der Landschaft um ihre geometrische Verbindung mit anderen Zentren auszudrücken, besteht sein «Alltag» oftmals darin, Energien von Verstorbenen, von Unerlöstem, von Unterdrückung, kurzum: von Desintegration, aufzuspüren und nachzugehen, um sie den vor Ort lebenden Menschen mitzuteilen, sie zu übersetzen um schlussendlich zu bereinigen. Diese Form der Erdheilung gab es in allen alten Kulturen, die eben nicht rein rational, sondern ganzheitlich aufgestellt waren: Priester oder Schamanen gehen mit Glocken oder Räucherwerk durch Räume und bereinigen so jene alten Energien, die es von sich nicht geschafft haben, ins Licht zu gehen.
Gleich die Grenze zwischen Geomantie und Schamanismus an dieser Stelle per se flüssig, und die Geomantie als solche insofern ekkletistisch ist, dass sich in ihr auch Elemente aus der Kinesiologie oder dem Familienstellen wiederfinden, lautet ihr Schlüsselwort immer gleich: Intuition. Ohne Gefühl, das betont auch Marko Pogačnik, einer der weltweit bekanntesten Geomanten, können wir auch mit der Erde in keine Beziehung treten. Ganz gleich, ob ein Geomant demnach lieber Instrumente wie Pendel oder Wünschelrouten benutzt, während ein anderer ausschließlich auf seinen Körper und dessen Wahrnehmung vertraut: Niemand, der es sich zur Aufgabe machen möchte, «die Erde zu heilen», kommt darum herum, zuallererst seine eigenen Abspaltungen zu überwinden. Denn solange wir nicht in uns selbst aufgeräumt haben, so Pogačnik, kann jede Störung, die wir wahrnehmen, ihren Ursprung auch in uns haben. Und insofern wir nur dann wahrnehmen können, was ist, wenn wir keine eigenen Anteile unsere Sicht auf die Dinge verzerren lassen, gilt es zu aller erst, diese eigenen Anteile anzuschauen und zu reintegrieren.
«Durch die Augen der Intuition, die hinter den physischen Augen verborgen sind,
drückt sich eine grenzenlose Welt aus.» — Marko Pogačnik
Einzige Voraussetzung? Ein ganzheitliches Weltbild. Um die eigenen Sinne wieder im Körper zu lokalisieren und diesen in seiner Aufmerksamkeit wiederum in einem Raum der Leere zu verankern, benötigt der Geomant ein geradezu symbiotisches Verhältnis zur Welt. Er muss dafür sensibilisiert sein, dass alles mit allem kommuniziert und er nichts als losgelöst betrachten kann. Pogačnik betont an dieser Stelle, wie wir im Rahmen unserer Kultur von Wahrnehmung gar nicht mehr bedenken, welch Verengung allein unser Denken in «Kategorien der Sinneswahrnehmung» bedeutet und welch andere Erfahrungspotentiale es von vornherein ausschaltet – welche es uns Menschen jedoch ermöglichen würden, die Welt in ihrer energetischen, geistig-seelischen und auch stofflichen Ganzheit zu erfahren. Oder anders gesagt: Was der Mensch zu überwinden habe, sei seine eigene Überzeugung, das Feinstoffliche aus dem Grund nicht wahrnehmen zu können, weil ihm die entsprechende Feinfühligkeit fehle.
Wege der Ganzheit
Um die Qualität ihrer geistigen Freiheit zu verwirklichen, müsse «die Menschheit lernen – unabhängig von Eingebungen aus anderen Quellen –, das Wissen aus dem eigenen Bewusstsein zu schöpfen»1. Insofern jedoch mit seiner Ablösung aus der kosmischen Ganzheit auch sein Streben einherging, die Natur, die Erde und die Landschaft seiner Herrschaft zu unterwerfen, könne der Mensch seine Abgespaltenheit nur überwinden, wenn er seinen Verstand überwinde und zurückfände in eine sich jeder menschlichen Kontrolle entziehenden Allverflochtenheit des Kosmos. Dieses Momentum bezeichnet Pogačnik als «die Erfahrung des Urraumes der Ewigkeit». Indem sich dieser in seiner «göttlichen Qualität» und seinen «architektonischen Engelsbotschaften» nicht erfahren lasse, ohne gleichzeitig die Erfahrung des innersten Wesens des erfahrenden Menschen einzuschließen, erfahre sich jeder, der einmal diese Begegnung mit dem Über-Sinnlichen gemacht habe, in seiner Präsenz nicht mehr von seinem Wesen getrennt, sondern als in seiner Gegenwart mit enthalten.
Ohne diese Begegnung mit der Fülle seines Selbst, so Pogačnik, bleibe dem Menschen auch der Zugang zur Gefühlsebene eines Raumes verwehrt. Diese Gefühlsebene sei hierbei ein sehr sensibles «System», das ähnlich wie eine Membran oder ein Schleier die Kraftebene umgibt, sie speist und in Bewegung bringt, sie schützt und lenkt. Gleichzeitig bilde sie die Verbindung zwischen der sichtbaren, der materiellen Ebene und dem eigentlichen Tätigkeitsfeld jener «Wahrsagung über die Erde»: die unsichtbaren Ausdehnungen der Wirklichkeit. Ist eine liebevolle Einstimmung für die Echtheit der Resultate unumgänglich, soll uns die Gefühlsebene daran erinnern, dass wir die räumliche Wirklichkeit nicht einfach als eine objektive Angelegenheit betrachten können: unsere Vorstellungen über die verschiedenen Evolutionen, sei es die der Engel, Elementarwesen oder schlussendlich uns selbst – alles ist subjektiv und entsprechend in seiner «Bewertung» unendlich.
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In einen Raum hineinzugehen, ohne eigene Urteile und ohne ein bereits vorgefestigtes Bild von den Dingen, so wie sie unserer Meinung nach zu sein haben, wie sie jedoch niemals sein werden, bedeutet schwingungsmässig empfänglich zu werden für das, was sich für gewöhnlich unserem Bewusstsein entzieht: Intuitionen, die wir als unmittelbare Botschaften unserer ewigen Seele erhalten; und die als «innere Meisterin» unser Leben «aus dem Urraum jenseits der Verkörperung und jenseits der vier Ausdehnungen des mehrdimensionalen Raumes in den kosmischen Bahnen leitet»2. Erst in dieser «Leere» könnten wir uns dem widmen, worin auch unser Innerstes zutiefst verwurzelt ist: der Wirklichkeit. Einmal in ihrer erwartungsfreien Stille angekommen, dessen ist sich jeder gewahr, der sich ihr auf dieser Ebene – auf der Herzebene – schon einmal zuteilig gefühlt hat, öffnet sich die Fülle, von der wir immer geahnt haben, dass es sie gibt, von der wir uns aber nie haben träumen lassen, wir würden sie eines Tages auch spüren.
Die Rede ist von der Kraft der bedingungslosen Liebe als Prinzip der göttlichen Einheit. Indem sie jedes Geschöpf als einen einzigartigen Ausdruck der allumfassenden Gottheit beseelt, sorgt sie mit ihrer Liebe dafür, «dass jedes Geschöpf als ein Teil der Ganzheit des Lebensgewebes – bei aller Vielfalt der Beziehungen – fokussiert seine einzigartige Rolle aufrechterhält». Erst in diesem Bewusstseinswandel, dieser «Umwandlung des störenden Kraftmusters», schließt Pogačnik, könne wahre «Erdheilung» stattfinden: Eben dadurch, dass es ihr nicht ausschließlich um ein «Kurieren der Auswirkungen der Zerstörung» geht, sondern um eine ganzheitliche Wandlung – zurück zu einer liebevollen Verbundenheit mit der Erde, der Natur und der Landschaft. Erst auf der Grundlage dieser neuen Beziehung sowie der erstmals ausgesprochenen Entschuldigung für das Leid, das die Menschen den der Natur liebevoll verpflichteten Elementarwesen angetan haben, sei es möglich, «die alten Wunden dauerhaft zu heilen».
Lektüreempfehlungen:
Pogačnik, Marko (2001): Wege der Erdheilung. München (Droemer Knaur).
Heidnisches/Germanentum: Magin, Ulrich (1996): Geheimwissenschaft Geomantie. der Glaube an die magischen Kräfte der Erde. München (Beck).
Dieser Text erschien zuerst im Schweizer Magazin «Die Freien».
Pogačnik, Marko (2000): Schule der Geomantie. München (Droemer Knaur), Seite 19.
Ebenda, Seite 196.
«Durch die Augen der Intuition, die hinter den physischen Augen verborgen sind,
drückt sich eine grenzenlose Welt aus.» — Marko Pogačnik
Oder wie mein Vater in der Nacht seines Todes zu mir sagte
"Die Wahrheit beginnt hinter dem Spiegel"
Wir sind umgeben von beim Spazierengehen von Zauber, Elfenwald ... mein Dank für diesen Text 🤗
Was für ein wunderschöner Text🌹 Dessen "Klang" - ja, jeder Text, jedes Wort hat doch auch einen ganz speziellen Klang - mich hineinschwingen lässt in die Fülle des großen Ganzen. Mich sie fühlen lässt in diesem Moment 💫
Danke liebe Lilly🙏