Lieber Kayvan,
vor knapp vier Jahren beendetest Du dein langjähriges Format «Me, Myself and Media» mit der Entscheidung, nicht länger als Projektionsfläche dienen zu wollen. Die Geschichte sei erzählt – Schluss mit der Komfortzone all derjenigen, die insgeheim schon wüssten, wie der Hase läuft, sich aber zu keiner Handlung durchringen könnten, sondern stattdessen damit begnügten, Woche für Woche dir in deiner Kritiktirade beizustimmen. Wie sich die Machtverhältnisse gestalteten, hätte deiner Meinung nach schon damals jeder aus dem «FF» erzählen können. Dafür brauche es dich nicht (mehr). Du hättest gesagt, was gesagt werden musste und was Du hast sagen können.
Ich für meinen Teil fand es damals sehr stark von Dir, diesem Kompensations-mechanismus den Hahn zudrehen zu wollen. Den Platz «vor der Kamera» freimachen zu wollen für jeden Einzelnen «hinter» der Kamera. Und doch frage ich mich heute: War wirklich alles gesagt? Oder wie kommt es, dass Du – nachdem du bei Apolut oder deinem «Campus» lediglich als Stimme im Hintergrund tätig sein wolltest – mit deinem neuen Programm «Soufisticated» nun erneut den Alleinunterhalter gibst? Ist dir langweilig geworden? Hat dir der Kanal für deine Gedanken gefehlt? Oder ist dir schlichtweg das Geld ausgegangen? Was hat sich in diesen vier Jahren für dich geändert? Hast du so viel an dir gearbeitet, dass du zumindest deinerseits keine inneren «Anteile» mehr aufweist, die die Menschen in Passivität halten? Oder musstest du in dieser Hinsicht selber resignieren? Sind «wir» schlichtweg noch nicht an dem Punkt, wo wir auf Eigenverantwortung setzen können? Braucht es «Führung»? Brauchen wir Helden? Und bist Du vielleicht sogar selbst einer?
Ehrlich gesagt, passt das Bild, das Du von dir nach Außen trägst mit dem Bild, das Du nach Außen hin darstellst, für mich nicht zusammen. Frei nach dem Motto «Heldentum muss erzählt werden, sonst ist es keines» frage ich mich, welches Bild Du insgeheim von dir selber hast und über dich wünschst? Denn gleich ich deine Interviews nach wie vor mehr als zu schätzen weiß, ist es die grundsätzliche Dynamik von Streamingplattform und Vortragsreihe, an der ich meine Zweifel hege: Ist letztendlich nicht jede mediale Aufmerksamkeit dahingehend Manipulation, als dass sie die Menschen beschäftigt hält, anstatt sie in jener angebotsfreien Leere zurückzulassen, in der sie gar nicht mehr anders können als ihre eigenen Gedanken und – allem voran – Intuitionen zu entwickeln? Ungeachtet dessen, dass ich nicht glaube, dass sich Bauchgefühl durch einen Vortrag schulen lässt, habe ich obendrein zusehends den Eindruck, dass all’ dieses «Außen» uns schlussendlich von dem abzieht, was es eigentlich zu erkundigen gilt: unser eigenes Inneres. Und mit ihm unser Gefühl.
Denn wie kommt der Mensch in die Handlung? Meine Antwort: Indem er einen Willen entwickelt. Seinen Willen. Die wohl beste Waffe gegen Propaganda und Dummheit. Insofern als Held also derjenige gilt, der Heldenhaftes tut, frage ich mich, lieber Kayvan: Was tust Du dafür, dass die Menschen sich dieser ihrer eigenen Kraft bewusst werden? Und ist das überhaupt deine Aufgabe?
Herzlich,
Lilly
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ㅤLiebe Lilly,
Was denn jetzt?
Als ich vor ca. 4 Jahren buchstäblich hinwarf und vor laufender Kamera das Format »Me, Myself & Media« und sein zugrunde liegendes Script von je Sendung rund 300 Seiten auf den Boden schmiss, erklärte ich den Zuschauern meinen Rückzug hinter die Kulissen.
Heute 2024, betreibe ich als Solist den Kanal soufisticated.net. Dieser ist Teil eines Kulturvereines und ich bin zwar nicht mehr so präsent wie zu Hochzeiten von KenFM, aber dennoch als Mann in den Medien zurück.
Warum? Langweile? Angst, als öffentliche Person vergessen zu werden? Der Wunsch nach einem Comeback?
Alles falsch.
Als politisch denkender und vor allem auch handelnder Mensch war mein Abschied von der Bühne des politischen Journalisten und Kommentators seinerzeit vor allem ein Abschied aus dem Hamsterrad des Tagesgeschäftes. Ich hatte schlichtweg keine Lust mehr, auf immer dieselben globalen Konflikte und ihre immer gleichen lokalen Auswirkungen, immer dieselben Antworten zu geben. Mir wurde klar, am Ende des Tages ist diese Art von Infotainment-Journalismus eher ein Teil der UnteNhaltung denn der UnteRhaltung – und journalistisch war meistens eh längst alles gesagt.
Mir ging und geht es immer darum, dass die recherchierten Informationen beim Konsumenten, beim Bürger zu einem geänderten Verhalten führen, was ich aber nur in den seltensten Fällen tatsächlich beobachten konnte. Das machte mich nachdenklich und ich erkannte, dass es vor allem an der Form lag, in der Information vermittelt wurde – und in der auch ich informierte. Es war die Erkenntnis, dass sich Menschen in der Regel nicht aus ihrer Komfortzone verabschieden, solange man als Journalist nur den Kopf anspricht,
Neben dem Journalisten Ken Jebsen gab es aber immer auch den Menschen Kayvan Soufi-Siavash. So verkopft ich selber für viele auf dem Schirm wirkte, so emotional und spirituell geprägt erlebt man mich, wenn die Kameras aus sind. In diesen Gesprächen wurde mir klar, dass ich Menschen viel tiefer und nachhaltiger erreichen konnte - aber auch sie mich. Gespräche im richtigen Leben sind, anders als Interviews oder Statements im Netz, keine kommunikative Einbahnstraße. Jeder weiß das und ich beschloss, diese Binsenweisheit umzusetzen.
Ich wollte weg vom Schirm – aber nicht weg von den Menschen. Nicht weg aus der Öffentlichkeit – im Gegenteil. Was tun?
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Seit Jahren wurde ich von Dritten immer wieder aufgefordert, ich möge doch Teil des politischen Kabarett-Betriebes werden. Das lehnte ich ab.
Warum? Weil auch das am Ende in Untenhaltung endet. Ich bin mit Linkskabarett groß geworden. Von Wolfgang Neuss über Scheibenwischer bis hin zur Anstalt. All diese Sendungen, so wurde mir klar, erfüllen am Ende des Tages nur eine Ventilfunktion. Vom System geduldet und unterstützt, nehmen Sie Druck aus demselben – damit es einfach weitermachen kann wie bisher. Veränderung durch politisches Kabarett? – Null.
Ist auch gar nicht gewünscht. Nur dass die Zuschauer glauben, sie wüssten im Anschluss vieles besser. Fakt aber ist, ihr Verhalten ändert sich nach dem Konsum der Sendung nicht. Sie gehen angeheitert ins Bett, um morgens pünktlich um 9 Uhr wieder als Rädchen im System zu tun, was dieses von ihnen verlangt. Der mündige Bürger sieht für mich anders aus.
Es ging mir also um die Frage, wie ich Menschen nachhaltiger erreiche. Das geht nur, wenn ich Menschen live treffe. Die Idee mit dem Kulturverein hatte ich schon lange. Zusammen mit Freunden wurde diese umgesetzt. Ich gründete Soufisticated e.V. und beschloss, einen Vortrag zu kreieren, der gewissermaßen die Essenz aus sämtlichen Folgen von Me, Myself & Media werden sollte.
In jeder der bisherigen Folgen, rund 60 an der Zahl, ging es um die perfiden Methoden der medialen Manipulation, etwa durch einfaches Weglassen des Kontextes. Da war es nur logisch, sich mit dem Phänomen der Propaganda als Technik der Gehirnwäsche und Verhaltenslenkung zu beschäftigen.
Als ich beschloss, dies zu tun, lebte ich in Schweden, da ich die Bundesrepublik in Zeiten der Corona-Diktatur einfach nicht mehr ertragen konnte.
Anders als bei Folgen von Me, Myself & Media ging ich beim Vortrag »Angst essen Freiheit auf - die Macht der Propaganda« nicht nach den Ereignissen der letzten Wochen und versuchte, aus all den Einzelgeschehnissen ein Gesamtbild zu zeichnen. Stattdessen versuchte ich, das Gesamtbild von Propaganda und allem, was ich dazu wusste, in einen Text zu gießen und ihn erst im Anschluss mit entsprechenden Bildern zu garnieren.
Wer mich kennt, weiß, dass so ein Vorhaben ebenso wie Me, Myself & Media nur in einem Schreibmarathon enden kann: Ich schloss mich 5 Tage in ein Zimmer ein, und wurde in dieser Zeit vor allem mit Kaffee versorgt. Heraus kam ein Vortrag, der in der Zoologie beginnt und in der Spiritualität endet.
Und wenn ich es schaffen würde, mein Publikum live über den Kopf abzuholen, und es am Ende mit einem Herz zu entlassen, das den Aufbruch beschlossen hatte - dann hätte ich mein Ziel endlich erreicht.
Jetzt musste nur noch eine Bühnentour her. Der Verein kümmerte sich um alles und wir begannen in München mit 500 Menschen, die sich ein Ticket gekauft hatten.
Zweieinhalb Stunden dauerte die Veranstaltung – und endete mit Standing Ovations. Das war eine gute Erfahrung.
Zumal nach der »Show« noch ca. 90 Minuten Einzelgespräche anstanden. Diese bestätigten mich in meiner Hoffnung, denn Menschen, die man trifft und die getroffen werden wollen, sind buchstäblich schon den ersten Schritt gegangen. Sie haben sich aufgemacht.
Meine Rolle, so wurde mir klar, war hier nur so etwas wie ein Leuchtturm. Ich diene als Orientierung. Auf den Weg machen muss sich jeder selber. Ich kann nur helfen, weiter auf Kurs zu bleiben.
Meine Tour war schnell ausgebucht und ich beschloss aufgrund der hohen Nachfrage, den gesamten deutschsprachigen Raum zu bereisen. Also auch Österreich, die Schweiz oder Südtirol.
Wohin ich kam, traf ich Menschen, die bis zu 600 km gefahren waren, um mir zu begegnen. Der Vortrag wurde über die Monate immer länger, denn immer wurden neue Erkenntnisse integriert, so z.B. die RKI-Files.
Wer den Vortrag schon einmal gesehen hatte, kam so auch beim zweiten oder dritten Mal auf seine Kosten. Inzwischen, im Sommer 2024, ist der Vortrag mit Pause vier Stunden lang.
In der Pause wie auch am Schluss stehe ich am Büchertisch, denn im Vortrag werden diverse Standardwerke zu Propaganda empfohlen. Die Menschen lesen wieder!
Das freut mich.ㅤ
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ㅤAnders als man es von mir wohl erwartet hätte, spreche ich in diesem Vortrag nicht frei, sondern halte mich an ein Script. Der Vortrag ist rein wissenschaftlich, wird aber im hinteren Drittel völlig anders, als man das bei einem Vortrag zum Thema Manipulation der Massen erwarten würde. Ich zeige meine spirituelle Seite und spreche offen über mein Verhältnis zu Gott: Gibt es ihn? Wo finden wir ihn? Was soll das alles und müssen wir als Menschen Angst haben? Angst vor dem Leben? Angst vor dem Tod?
Am Ende des Vortrages stehen immer alle Besucher und haben ein befreiendes Lachen im Gesicht. Wenn das Saallicht angeht, bleiben viele noch länger, um sich über das Erlebte zu unterhalten. Vorher fremde Menschen tauschen sich aus, connecten sich oder beschließen, in Zukunft etwas zusammen zu machen. Das war mein Ziel. Ich wollte, dass Menschen sich aufmachen und zusammenschließen.
Sie sollten Klassenbewusstsein entwickeln und sie sollten erkennen, dass das, was wir Realität nennen, so nur existiert, weil wir diese Realität selbst erzeugen. Durch unser Denken, das meistens von außen gelenkt wird, und durch unser Handeln, das durch manipulierte Gedanken stark eingeschränkt wurde.
Menschen in dieser Art und Weise eine neue Perspektive geben zu können, war immer der Kern meiner jahrzehntelangen Arbeit. Jetzt hatte ich endlich den passenden Weg gefunden.
Das alles begleite ich seither auf der Homepage soufisticated.net, denn das eine schließt das andere nicht aus.
Die Formate auf dieser Seite haben aber immer eine philosophische Perspektive auf den Menschen, die Natur oder die Politik. Es geht mir vor allem um die Metaebene: Gott und die Welt und die Aufgabe des Menschen in der Schöpfung.
Das Leben ist ein Nahtod-Erlebnis, das im ewigen Bewusstsein endet. Da sind wir alle hergekommen und dahin gehen wir zurück.
Mir geht es als öffentliche Person vor allem darum, die Menschen aus ihrer durch Propaganda erzeugten Angst zu holen. Das geht nur live mit einem Vortrag oder mit entsprechenden Workshops, von denen ich ca 3 im Jahr gebe.
Ich bin somit nicht wirklich auf dem Schirm zurück, sondern vor allem im öffentlichen Raum, den ich die letzten 20 Jahre eher selten bespielt habe.
Ich werde auf Tour bleiben, da mein neuer Vortrag völlig anders aufgebaut und für mich das wichtigste Experiment ist, das ich je gemacht habe. Es geht um den Wortschatz der Menschheitsfamilie, um ein öffentliches Nachdenken auf der Bühne in Interaktion mit dem Publikum. Darum, bereits gedachte Weisheiten und Erkenntnisse neu zu interpretieren und zu nutzen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Nicht als passiver Konsument, sondern gleichsam als aktiver Produzent einer menschlicheren Zukunft, die vor allem wieder Respekt hat.
Respekt vor dem Leben an sich sowie Respekt vor der Schöpfung und seinem Schöpfer.
Liebe Grüsse,
Kayvan Soufi-Siavash
Dieses Interview erschien in gekürzter Fassung zuerst bei «DIE FREIEN».
… ich für meinen Teil habe heute Geburtstag und verziehe mich diesem Briefwechsel entsprechend mit ein paar Büchern ins hiesige Thermalbad. Ihnen allen wünsche ich einen schönen Tag mit hoffentlich ebenfalls guter und tiefschürfender Lektüre.
Ich wünschte, sein Antwortschreiben wäre auch nur halb so ‚soulfisticated‘, wie es dein Anschreiben an ihn war.
Zu Kayvan: Ich verstehe schon, was gemeint ist mit den "seltensten Fällen von Verhaltensänderung bei den Bürgern". Aber Bewusstseinsbildung über das geschriebene oder gesprochene Wort ist ja eine Voraussetzung dafür. Und da habe ich z.B. in deinem Interview mit Rainer Mausfeld gar nichts Verkopftes erlebt. Das lag nicht nur an Mausfeld! Tausende haben im deutschen Sprachraum KenFM mitbekommen und ihr Denken daran geschult.
Also keinerlei Anlaß, helle Lichter unter den Scheffel zu stellen!