Vielleicht sollte ich der Transparenz und Ehrlichkeit halber meinem Blog zukünftig einen Disclaimer voranstellen: «Nicht alles, was sie schreibt, lebt sie auch.» Warum? Vor mittlerweile ein paar Monaten bin ich seit Langem mal wieder einige meiner bereits veröffentlichten Texte durchgegangen. Dabei habe ich mit einem Schmunzeln, aber auch mit einem Schlucken feststellen dürfen, dass ich vieles von dem, was ich schreibe, schlussendlich selber nicht befolge. Beziehungsweise: Ich bin stets bemüht, meine Gedanken auch umzusetzen. Immer dann, wenn ich an sie denke. Insofern sie mir jedoch noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen, sprich, noch kein fester Bestandteil meines Bewusstseins geworden sind, bewege ich mich den Rest meiner Zeit in einem seltsamen Konglomerat aus Getriebensein und Unbeständigkeit. Das Leben passiert schneller als ich gucken kann, sodass ich mich in der Retrospektive meist mehr als Zuschauerin, denn als Schöpferin meiner eigenen Lebensumstände erfahre. Sie gestalten mich, anstatt ich sie. Und das ist, bei allem Vorsatz, mein Leben weniger kontrollieren zu wollen und stattdessen mit mir in eine Weichheit und in ein Vertrauen dahingehend zu kommen, dass die Dinge im Nachhinein schon ihren Sinn ergeben werden (was sie auch tun), auf Dauer sehr ermüdend.
«Wir glauben, Erfahrungen zu machen, aber die Erfahrungen machen uns.» — Eugène Ionesco
ㅤSolange ich denken kann, habe ich mein Leben vorwiegend auf eben diese Weise verbracht: denkend. Ich habe meinen Verstand so weit hochgezüchtet, dass ich in ihm beinahe alles entstehen und vergehen lassen kann, was ich «will», als auch durchaus dazu in der Lage bin, die von mir und meinem Unterbewusstsein provozierten Situationen relativ zeitnah zu reflektieren. Es gibt eigentlich nichts, was ich nicht «erklären» kann. Mir selbst und anderen. Doch mit dieser Art der Bewältigung stoße ich zusehends an Grenzen. Innere wie äußere. Ich merke, dass ich rein rational um die Dinge «weiß», dass mir scheinbar jedoch eine gewisse Ebene fehlt, um sie auch in ihrer Tiefe zu durchdringen, geschweige denn sie auf dieser schlussendlich auch auflösen zu können. So bin ich derzeit an einem Punkt, den ich – mit meinem Verstand – lange vor mir hergeschoben habe. Und dieser Punkt heißt «Bewusstwerdung». Denn was würde es bedeuten, sich der Dinge wahrhaft bewusst zu werden? Es bedeutet Integration. Und diese Integration beinhaltet nicht nur meinen Verstand. Nein. Wenn es darum geht, mir etwas bewusst zu werden, beinhaltet dieses Bewusstwerden mein gesamtes Sein. Und damit nun einmal auch mein Gefühl.
Mittlerweile würde ich sogar so weit gehen, zu behaupten, es sei sogar mehr unser Gefühl, dessen sich unser Bewusstsein bedarf, denn unser Verstand. Denn wer oder was ist es, das unser Handeln lenkt? Am Ende ist es unser Gefühl. Und nicht unser Verstand. Unser Verstand greift dann ein, wenn wir mit unserem Gefühl bereits einen gewissen Imprint abgegeben; eine bestimmte Richtung vorgegeben haben. Und zwar dahingehend, was wir vielleicht lieber nicht fühlen, was wir lieber nicht wahrhaben möchten. Und damit ist es eben unser Gefühl, dass uns aufgrund – Jung würde sagen unserer «Schatten» – dahingehend Grenzen setzt, was wir wahrnehmen und was nicht. Wir können uns zwar alles vorstellen, dieses Vorstellungsvermögen jedoch unterliegt dem, was wir mit unserem Gefühl in der Lage sind zu fühlen. Oder anders gesagt: Unser Verstand kann alles, was wir wollen. Aber das, was wir wollen, wird von dem bestimmt, was wir nicht fühlen.
Denn wem oder was unterliegt wiederum unser Gefühl? Unser Gefühl unterliegt unserem Bewusstsein. Oder genauer gesagt: unserem Unter-bewusstsein und damit allen Ängsten, Zweifeln und Glaubenssätzen, derer wir uns nun einmal noch nicht bewusst geworden sind und die uns entsprechend steuern, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Das wiederum bedeutet, dass ich dann, wenn ich mir über etwas bewusst geworden bin, auch darüber entscheiden kann, ob ich es ändern oder auflösen möchte. Über die Dinge, derer ich mir aber noch nicht bewusst geworden bin, kann ich nicht frei entscheiden. Ich weiß ja nicht einmal, dass sie existieren und dass ich sie in mir trage. Schlicht und einfach, weil ich mir ihrer nicht bewusst bin.
Doch wie werden wir uns der Dinge bewusst? Wie kommen wir in eine Veränderung dahingehend, der oder diejenige zu werden, der oder die wir sein wollen? Das ist die große Frage, die auch ich mir aktuell stelle. Denn egal um welches Thema es geht; Selbstwert, Grenzen setzen oder Bedürfnisse artikulieren, aber auch der gesamte Kosmos rund um freie Bildung und Liebe, Ideologien, Umweltschutz oder Ernährung — am Ende sind dies alles Dinge, die wir uns zwar vornehmen können, die wir aber solange nicht authentisch leben können, wie wir noch Anteile und Muster in uns tragen, derer wir uns nicht bewusst sind und die uns aus diesem ungewissen Unbewussten heraus daran hindern, die von uns erstrebten Werte und Verhaltensweisen wahrhaft umzusetzen. Und dadurch bleiben all’ unsere Wünsche immer nur eins: Vorsätze, Regeln, Gesetze, Normen, die wir uns rational zwar aufzuerlegen vermögen, die wir aber nicht vollends verkörpern. Eben weil wir sie nicht fühlen. Weil sie nicht aus unserem Innersten kommen, sondern unserem Verstand entspringen, der zwar meint zu glauben, was gut für uns ist, der es aber, – anders als unser Gefühl – schlussendlich nicht weiß. Wahrhaft «wissen» tun wir die Dinge erst, wenn wir sie vollends integriert haben. Wenn auch unsere inneren Strukturen zugänglich sind für die Vorhaben, die wir uns mit unserem Verstand gesetzt haben.
Darin besteht – zumindest für mich – der ewige Balanceakt: Mit meinem Verstand kann ich mir alles Erdenkliche vornehmen; mir alles ausmalen, was ich meine, das ich brauche. Doch wenn ich keinen emotionalen Raum für diese Veränderung habe, wenn meine inneren Strukturen zu eng sind, zu gefestigt und in und in dem Sinne in sich zu verschüchtert und instabil sind, als dass sie Veränderung angstfrei gegenüber stünden, wird jede meiner verstandeslastig erstrebten Veränderungen immer ein Kampf gegen (nicht) gefühlte Widerstände bleiben. Dabei ist es meine Aufgabe, die Widerstände in mir abzubauen, die mich in Zusammenhang mit jenen tieferliegenden Urängsten daran hindern, diejenige zu werden, die ich sein will und die ich meinem Wesen nach immer schon war. Anders aber – werde ich mir dieser Ängste nicht bewusst – bleibe ich auf immer diejenige, die ich bin, oder immer schon war, – gefangen in den Ängsten und Glaubenssätzen, derer mir mein Verstand weismachen will, dass ich sie bin, anstatt dass ich sie habe, oder eher gesagt, dass sie mich haben.
Damit ist es die Frage: Wie befreie ich mich; wie befreien wir uns aus diesem inneren Gefängnis? Wie entkommen wir – insofern wir dies überhaupt wollen – diesen inneren Gefühlszwängen, die unser Denken bedrängen? Wie lösen wir die Verstrickung zwischen Denken und Fühlen dahingehend auf, fortan nicht mehr von unserer Angst geleitet und von unserem Verstand besessen zu werden, sondern vielmehr unseren Verstand zu haben und unser Gefühl zu sein? Wie lernen wir, dem ersten Impuls wieder zu folgen, anstatt ihn beiseitezulegen; ihn in dem Sinne zu verraten, als dass wir ihn solange durch Gedanken zerdenken, bis er uns nicht nur nicht mehr als etwas Vertrauenswürdiges und Erbauliches erscheint, sondern letzten Endes nichts weiter von ihm übrig bleibt, als eine wage Ahnung, die wir in ihrer Rationalität nicht mehr imstande sind als das zu identifizieren, was sie einst war: ein Gefühl.
«Man kann vieles unbewusst wissen, indem man es nur fühlt, aber nicht weiß.»
— Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Alle hier verwendeten Fotos unterliegen © Lilly Gebert
Liebe Lilly,
hab Dank für deine Offenheit, in der du deine Gedanken und Gefühle mitteilst.
Du hast es wieder einmal geschafft, dass ich Gedankenkarrussell spiele:-)
Ich würde an dieser Stelle jedoch eine Kernfrage stellen wollen, denn diese stellte ich mir vor geraumer Zeit selbst, was natürlich nicht heisst, dass die Frage an sich, weder die Antwort auf diese auch für andere zutreffend ist.
Warum möchtest du jemand werden, der du von Beginn an bist?
Ich bin über die Jahre hinweg zur (eigenen) Erkenntnis gelangt, dass ich eins bin, im ur-ursprünglichen Sinne eins.
Und ich stellte fest, dass es Schreihälse gibt, die uns doch tatsächlich glaubhaft machen wollen, dass alle Menschen eins sind. Dem ist gar nicht so, denn auch hier findet eine Verdrehung statt.
Jede Seele ist eins, in sich eins und von Beginn an eins.
Auf diese (meinige) Erkenntnis folgte eine Tauchfahrt ins dunkle Tief meiner Seele und es wurde einiges aufgeräumt.
Diese Tieffahrt dauerte fast ein Jahr und sie war sehr schmerzhaft, jedoch sehr erkenntnisreich.
Alles stand Kopf und wollte doch auf die Füsse gestellt werden. Es folgte die Erkenntnis, dass wir Seelen von Beginn an ein-fach waren, jedoch nicht in Bezug auf eine Schwierigkeit, sondern sehr wohl im Sinne von Ein-Sein.
Wenn alles Natürliche zurück ins Ur(zustand) möchte, dann gilt es auch für Seelen. Zumindest war dies mein Gedanke.
Und wenn auch die Seelen ins UR wollen, bedeutet dies auch, dass die Seele sich wieder als eins wahrnehmen möchte. Es galt also für mich, das abzulegen, was ich irgebdwann als gegeben annahm, nämlich, dass es eine Psyche gibt oder das der Verstand für sich alleine besteht oder dass Gefühle für sich alleine stehen. Ich kam also an den Punkt, dass die Kategorien Verstand und Gefühlswahrnehmung gar keine alleinstehenden Kategorien sind. Alles geht Hand in Hand und ist doch eins.
Der Verstand ist für mich meine Seele, sowie alles Gefühlte meine Seele ist und umgekehrt.
Und diese Psychologenbrut habe ich für mich durchschaut. Eins vorab: Der Herr Freud hat uns einen Bärendienst erwiesen und er hat es geschafft, dass seine perversen Lügen als Wahrheit angenommen werden (natürlich wurde ihm dabei geholfen. Er hat seine Schmierlektüre nicht aus eigenem Antrieb heraus geschrieben).
Wie dem auch sei, Psycholgen wollen kategoriesieren, alles in Muster, Rahmen und Formen pressen. Sprich: Sie wollen die Einfachheit des Seins mit einer Spaltung ihrer selbst überziehen.
Sie wollen, u.a. auf Grundlage des Herrn Freud, etwas erklären und formen, was sie selber niemals haben werden.
Psychologen sind ein mächtiges Spaltwerkzeug, die gegen Seelen eingesetzt werden. Das Blöde ist nur, dass Seelen auch an ihnen wachsen. Der berühmte Satz mit X :-)
Liebe Grüße,
Basti
Liebe Lilly, vielen Dank für deinen zutiefst menschlich verständlichen Text. Ich möchte gerne meine Sichtweise zum Geheimnis des Gefühls mitteilen. Ich mache für mich einen Unterschied zwischen Gefühl und Emotion, wenn auch die Grenzen gelegentlich etwas fliessend sind.
Ein Gefühl ist für mich die neutrale, urteilsfreie Wahrnehmung dessen, was gerade ist/geschieht. Es ist gewissermassen statisch im Jetzt, im Moment. Man könnte dafür auch den Begriff Achtsamkeit verwenden. Ein Gefühl ist für mich das Substantiv der Tätigkeit fühlen, wahrnehmen, hin-und zuhören (horchen), spüren (körperlich innen wie aussen), auch riechen, schmecken in weitestem Sinn. Auch das Wahrnehmen von Schwingungen (Bauchhirn) und Intuition (Herzhirn) gehört dazu. Diese Wahrnehmung ist immer zuerst da, es ist ein Erleben und wird erst danach durch meinen Verstand "übersetzt" und interpretiert. Der Verstand ist dabei ein Beobachter, er denkt nach.
Emotionen hingegen sind nicht neutral, nicht urteilsfrei, sondern einem Trigger und damit einem Trauma, einem abgespeicherten Programm geschuldet und bringen Bewegung ins Spiel oder auch Lähmung (z.B. bei Angst). Natürlich werden Emotionen auch im Moment erlebt, aber durch Vorstellungskraft (oder eben durch äussere Anlässe) kann man die Emotionen so stark wieder aktivieren, dass man sie auch später nochmals tief erleben kann. An Gefühle (siehe oben) kann man sich erinnern, das ist aber kein Wieder-Fühlen mehr. Das Ausleben von Emotionen kann ohne Verstand geschehen, was bei einigen Emotionen nicht zu empfehlen ist...
Leider wird uns fehlerhaft beigebracht, wie man mit Emotionen umgehen soll, so dass oft nur der Weg über die Unterdrückung bleibt oder man möchte sie ganz weghaben (über-winden), weil man sie als Hindernisse ansieht, vom Aussen anerkannt zu werden. Erst wenn man es wagt, die Emotionen wirklich zu durch-fühlen, zu er-leben, werden sie er-löst und wir entdecken, dass sie uns menschlich und lebendig machen. Sie sind Teil unserer ganz souveränen und authentischen ursprünglichen Kraft.
Wenn man beide Aspekte kombiniert, kann man sich nicht in den Emotionen verlieren. Es geht also darum, seine Emotionen tief zu spüren und gleichzeitig achtsam und neutral wahrzunehmen, zu beobachten: aufmerksam sein, was gerade geschieht. (aus der Ebene des Denkens gesprochen: wie fühlt sich diese Emotionen gerade an? wo spüre ich sie in meinem Leib? warum triggert mich diese Aussage vom Gegenüber genau? wie tief kann ich fühlen? usw.)
Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass solches Tun die grössten Geschenke sind, die ich mir selber machen kann. Tief einzusteigen in die Emotionen und gleichzeitig neutral wahrzunehmen, führt dazu, dass diese Frequenz wie eine Welle durch meinen Leib fliesst und die Emotion sofort befreit ist. Der Trigger ist erlöst und kommt nicht wieder. Erst dann kommt es zum Nachdenken über das gerade Erlebte.
Gefühle und Emotionen sind alles Frequenzcodes. Da ich Sängerin bin, erlaube ich mir, dies in einem für mich stimmigen Bild darzulegen, mein einzigartiges inneres Sein (als Eins) entspricht dabei meinem einzigartigen Klang. Dieser Klang, dieser Ton ist zusammengesetzt aus unendlich vielen Teiltönen (Schwingungen). Jedes Gefühl (jede Wahrnehmung) und jede Emotion stellen so einen Teilton dar.
Je bewusster ich mir selber werde, je achtsamer ich wahrnehme, umso mehr Gefühle (=Teiltöne) kann ich fühlen. Das ist eine Zunahme meiner Klangfarbe und meiner Wahrnehmungskraft (und damit auch meiner schöpferischen Kraft)
Jede Emotion (=Teilton), die blockiert ist, weil ich sie (noch) nicht wage zu erforschen, schwingt nicht mit. Wenn ich sie mutig erlebe und achtsam dabei untersuche, wird sie befreit und damit in meinen Klang integriert.
Mein eigener (innerer) Klang darf somit immer mehr er-tönen und durch-tönen. Diese Schwingungen wirken und können mit anderen menschlichen Klängen resonieren oder auch in anderen etwas triggern, anstossen....