Wann hört das alles endlich auf? Wie kann es sein, dass sich die Welt immer schneller dreht, während die Menschen in ihr den Verstand verlieren? Wo bleibt das «Licht», von dem alle immer reden? Und überhaupt: Wer hält mich fest, wer nimmt mich in den Arm, wenn alles auseinanderbricht? – Ganz einfach. Du dich selbst.
Ich weiß, ich weiß. Bei dem Ausmaß an Wahnsinn ist es leichter gesagt als getan, für sich selbst den Halt bilden zu sollen, den einem diese Welt nicht mehr bietet. Und doch – das kannst du mir glauben – wird es auf Dauer keinen anderen geben.
Somit soll es hier und heute darum gehen, wie auch du dich – à la Münchhausen – am eignen Schopfe aus dieser Finsternis herauszuziehen lernst. Denn eins sei an dieser Stelle gesagt: Durch Armeausstrecken allein ist noch niemand seinem Schlamassel entkommen. Wer sich selbst schwerer macht, als der ihn umgebene Sumpf ihn festzuhalten vermag, dem kann keiner helfen. Daher sei dem in seinem Jammertal Versumpften eines mit auf den Weg gegeben: Leichtigkeit.
Nicht, um von anderen besser «gerettet» werden zu können, sondern um sich erstmals überhaupt als insofern rettbar zu erleben, die Vorstellungskraft entwickeln zu können, sich nicht nur selbst zu «retten» – sondern darüber hinaus auch als rettungswürdig zu empfinden. Eben weil der aus seiner Versumpftheit Auferstandene erkannt hat, dass nicht er selbst die «Last» war, sondern bloß derjenige, der sie getragen hat. Und dass das mehr Gewicht war, als dass es irgendwer – außer das Leben selbst – es je hätte von ihm verlangen können.
Doch so ist es mit vielen Hürden im Leben: Letztlich bringen sie uns nur zu dem zurück, von dem sie uns einst haben trennen wollen. Es ist das Leben, das sich als solches nicht verneinen lässt, und weswegen wir heute gemeinsam üben wollen, dieses als solches zu erkennen – nämlich als Spiel, als ewigen Tanz von Licht und Schatten, als immerwährende Wiederkehr von «Gut» und «Böse» in all ihren Maskeraden und Epochaletiketten.
Dementsprechend hatte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, in einem unserer letzten Newsletter gefragt, was Sie aus Ihrem Kopf zurück ins Gefühl kommen lässt? Wann, und das war meine eigentliche Frage an Sie, fühlen Sie sich leicht?… Und Sie glauben gar nicht, wie sehr ich mich über Ihre zahlreichen Antworten gefreut habe.
Diese nämlich reichten von «immer dann, wenn ich mich mit dem Göttlichen verbinde» hin zu «der Macht der Bilder oder Filme». So fragte mich beispielsweise ein Leser zurück: «Haben Sie auch, wie ich, im Kino schon mal eine Träne fließen lassen, oder gar weinen müssen? Schöne Filme und Bilder», so führte er aus, «berühren uns. Sie bringen uns in Kontakt mit unseren Gefühlen. Unmittelbar und direkt … Unbewusste Bedürfnisse sprudeln an die Oberfläche. Man kann das nur sehr schwer steuern. Traumreisen sind ein gutes Beispiel, wie man sich selbst vom Kopf in das Gefühl bringen kann.»
Nach einer Traumreise klang auch folgende Antwort: «Leicht fühle ich mich selten, zu dicht ist der Nebel, welcher uns umgibt und zu schwer lastet die tägliche Irreführung auf dem Gemüt. Erleichtert fühle ich mich im Moment, wo ich eine Täuschung erkenne, Zusammenhänge verstehe, eine weiterführende Erkenntnis habe, auch wenn sie nicht unbedingt erbaulich sein sollte.» Vielleicht, so kam mir der Gedanke, eine Frage des Bewusstseins oder auch Persönlichkeit: Was fühlt sich leichter an? Der Traum oder «die Wahrheit» als Ende der Täuschung? Können wir uns, einmal auf dem harten Boden der Realität angekommen, überhaupt noch leicht fühlen? Oder hört das Gewicht der Welt allein im Traum auf, auf unseren Schultern zu lasten?
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Antworten, auf die weitere Fragen folgen, sind doch etwas Schönes. Ähnlich sanft übergehend antwortete mir auch diese Leserin:
«Wenn ich mich leicht, frei, unbesorgt und gleichzeitig umsorgt fühlen möchte, verbinde ich mich mit meinem ganz natürlich fließenden Atem – ohne ihn in irgendeiner Art beeinflussen zu wollen, sondern im Wissen darum, dass ich in jedem Moment voll und ganz auf ihn zählen kann, ohne mich auch nur im Geringsten darum kümmern zu müssen. Dort gibt es nichts zu tun, alles ist in Ordnung und ich erlebe mich als verbunden mit allem. Grenzen lösen sich auf, Teilchen werden zu Wellen und alles ist klar und gut …»
Einen ähnlich auf dem Gefühl von Verbundenheit aufbauenden Blick auf Leichtigkeit vermochte auch eine andere, mir bereits sehr vertraute Leserin, in Worte zu fassen:
«Es überrascht mich selbst, wie froh und leicht ich mich jetzt oft fühle. Gerade in letzter Zeit. Kenne ich die Schwere, diese Melancholie der Seele, doch viel besser. Sie war mein Begleiter über Jahre und ich dachte schon, dass sie mich gar nicht mehr loslässt. Aber gerade in letzter Zeit schickt sich die Leichtigkeit an, die Schwere abzulösen. Und oftmals ist nichts weiter nötig als das Irdisch-Erdische um mich herum wahrzunehmen. Mit dem Herzen zu atmen, damit diese ganz besondere Energie des Irdisch-Erdischen – im Gegensatz zum Weltlichen – in mich eintreten kann. Um mich selbst zu spüren.»
Sie, die Leichtigkeit, beschrieb sie wie «ein Kommen und Gehen, gleich den Wellen des Ozeans». Oder in diesem Fall: wie «Wellen der Lebensfreude». Für sie war es der Gedanke, dass nicht nur das Irdische, das von Gott Geschaffene eine Seele hat, sondern dass auch «der beseelte Mensch imstande ist, beseelte Objekte zu erschaffen». So könne «selbst ein Haus zu etwas Lebendigem werden». Dieser Gedanke, so schreibt sie selbst, mache sie «so leicht und frei, dass ich mich wie eine Feder fühlte». Aufs Neue durchströmte sie eine Welle von Leichtigkeit, von Freiheitsgefühl. Was sie zu dem Vergleich bewog, Freiheit als den «Zwilling von Leichtigkeit» zu bezeichnen. Etwas, das ihr «vielleicht der Wind eingeflüstert hatte... Ein Fühl-Gedanke». Ein Gedanke, Gefühl oder auch Zustand, der sich – ebenfalls im Zuge ihrer vielen leichten Naturspaziergänge – auf eines herunterbrechen ließe: ICH BIN.
Wodurch ich mich wiederum frage: Ist es im Umkehrschluss nicht genau das, was uns unserer Leichtigkeit stets zu berauben droht? Der Gedanke, immer irgendetwas sein zu sollen? Dass wir immer meinen, nie einfach «nur» Mensch sein zu dürfen? Uns nie erlauben, einfach «nur» zu SEIN? Was wäre, wenn wir – entsprechend der Leichtigkeitsanleitung einer weiteren Leserin – immer nur das täten, was wir liebten? Wenn wir unsere Zeit damit verbrächten, Menschen um uns zu haben, die uns besonders am Herzen liegen, den Klängen unserer Lieblingsmusik folgten oder einfach nur auf den Berggipfeln stünden, dem Wald lauschten oder an den Klippen einer Küste in die Weite des Meeres schauten? «Beobachten wir einen Vogel», setzt besagte Leserin an: «Er zeigt uns, was Leichtigkeit heißt, wenn er an uns vorbeifliegt».
Oder, um es abschließend in meinen (oder Annas) Worten zusammenzufassen:
Ich muss gar nichts. Leichtigkeit ist das Ende allen Sollens.
Vielen Dank für all’ Ihre Einsendungen.
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Dieser Text erschien zuerst im Schweizer Magazin «DIE FREIEN». (Bei welchem es ab sofort auch weitere eingesprochene Texte von mir zu hören gibt…)
…Und gleich ich dieses Jahr selbst nicht ganz weiß, was mich mit diesem Fest noch verbindet, wünsche ich Ihnen hiermit allen ein hoffentlich schönes Beisammensein in diesen Tagen. Hier im oberen Maggiatal bringt zumindest der viele Schnee und das dörfliche Zusammenkommen ein wenig Entschleunigung und Besinnlichkeit in diese teils doch sehr dunkle Zeit.
Somit wünsche ich Ihnen von Herzen alles Liebe und sage vielen Dank für Ihre Unterstützung,
Lilly
Festhalten beschwert, loslassen erleichtert.
Wie kann ich mir selbst helfen, wenn ich es nie gelernt habe?
Wie kann ich an mich selbst glauben, wenn ich an der Gesellschaft verzweifle?
Liebe Lilly,
wieder einmal hast Du genau in mein Herz getroffen. Jedes Deiner Worte sind wie Regentropfen auf meiner ausgedörrten Seele, ich fühle mich gleichzeitig verstanden und doch weiterhin allein gelassen.
Als Kind der Generation X wurde mir gesagt, dass ich gut in der Schule zu sein habe, damit ich einen guten Job habe und es in der Gesellschaft zu was bringe. Nach der Schule wurde mir gesagt, dass mich nur ein Studium einen sicheren Arbeitsplatz verschaffen kann. Im Studium wurde mir gesagt, dass nur die Besten zählen und die Gesellschaft nach vorne bringen, der Rest ist arbeitslos und sozialer Ballast. Mit dem Start ins Berufsleben wurde ich dann zusätzlich noch in das "Generationenmodell" gezwungen, habe für die Alten die Renten bezahlt und geglaubt, dass auch spätere Generationen für mich im Alter sorgen. "Die Renten sind sicher" wurde mir versprochen und als Kind der Generation X hat man den Autoritäten vertraut - so wurden wir erzogen. Im Job wurde mir gesagt, nur wer alles gibt hat einen sicheren Job und schafft es nach oben. Und sollte es unerwarteter Weise mal schwer werden, würde uns das Sozialsystem des Staates auffangen und unterstützen. Geben und Nehmen - so waren wir erzogen und so war ich es gewohnt, meine Leistung, mein Denken und mein Schaffen in den Dienst anderer zu stellen. Und dann, als ich ganz oben war, stand ich plötzlich ganz alleine da.
Nein, falsch, stehe ich ganz alleine da.
Irgendwo auf dem Weg, irgendwo in all den Jahren der folgenden Generationen Y und Z ging das Bestreben nach der gemeinsamen Verbesserung, dem Interesse für andere und das "Auffangnetz" der Gemeinschaft verloren. Stattdessen wurde nicht nur purer Egoismus zum zentralen Bild und Bestreben der "Gesellschaft", sondern Narzissmus in seiner radikalsten Form.
Und so sehe ich mich heute einer "Gesellschaft" gegenüber, die keinen Zusammenhalt mehr hat und den Begriff "Gesellschaft" per se überhaupt nicht mehr verdient. Einer "Gesellschaft" in der Übervorteilung "zum guten Ton" gehört, in welcher Bereicherung zum erstrebenswerten Ziel geworden ist, Ehrlichkeit nicht mehr gegeben ist und die Menschen bewusst und gezielt mit Falschinformationen klein und dumm gehalten werden. Wie kann man in so einem Umfeld überhaupt Leichtigkeit als Individuum finden?
Ich weiß, dass in so einem Umfeld nur ich selbst mir helfen kann, aber wie?
Intuition? Dank lebenslanger Konditionierung wüsste ich noch nicht einmal, wie die sich anfühlt.
Glaube? An was denn?
Gott, ein höheres Wesen, der Ursprung allen Seins? Wenn es so etwas gäbe, wie konnte es dann überhaupt so weit kommen?
Hoffnung?
Hoffnung auf Reinkarnation und ein besseres "spiel's noch einmal, Sam"?
Aber allein durch diese Gedanken spiele ich ja vermeintlich auf eine Hilfe von außen an, oder?
Wie kann ich mir selbst helfen, wenn ich es nie gelernt habe?
Wenn ich es schon nicht geschafft habe, die Gemeinschaft zu verbessern, zu einem besseren Miteinander nach vorne zu bringen, wie soll ich es dann mit meinem begrenzten Wissen und Weitblick überhaupt schaffen können, mir selbst zu helfen?