Wortschwund und Wirklichkeitsverengung – wie weit reicht die Verdrängung? Wo immer Sprache verarmt, schrumpft auch unser Denken – und mit ihm die Welt, die wir noch erfassen können. Solange, bis wir aus dem Grund nicht mehr für unsere Freiheit einstehen können, weil uns der Begriff für sie fehlt. Ein Kommentar zu Michael Nehls neuem Buch «Das Lithium-Komplott».
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Was machst du, wenn das, was du sagen willst, dir immer und immer wieder zu entfallen droht? Wenn es auf der einen Seite nicht nur die Wirklichkeit ist, die sich immer schwerer in Worte fassen lässt, sondern es obendrein auch die Worte sind, die sich nicht mehr greifen lassen? Bist du zu blöd und abgestumpft, um dein Inneres adäquat zu beschreiben? Oder ist es doch die Welt, die sich dir absichtlich entzieht?
Dieses Dilemma zeichnet bereits jenes dystopische Gefüge aus Orwellschem Neusprech und Huxleys Soma aus: Während einerseits die Zensur die Sprache beschneidet, in der Wirklichkeit noch ausgedrückt werden darf, schwindet andernorts das Gefühl für das, was überhaupt noch wirklich ist.
Ein Hoch auf die Autoren, die uns mit ihren Werken vor solchen Totalitarismen warnen und bewahren! Richtig …? Wie gut würde ich doch schlafen, wüsste ich, jede menschliche Fehlentwicklung ließe sich durch etwas Aufklärung und Einsicht abwehren und umkehren. Doch so scheint diese Welt nicht zu funktionieren. Das wird spätestens mit Dr. med. Michael Nehls neuem Buch «Das Lithium-Komplott» deutlich. Nachdem der Molekulargenetiker und Mediziner 2023 mit «Das indoktrinierte Gehirn» bereits aufgezeigt hatte, wie Meinungsverengung, Angst und Spike-Proteine nachweislich auf unseren Hippocampus einwirken und dadurch die Art und Weise verändern, wie wir Erfahrungen abspeichern und zukünftig auf sie reagieren, kommt er in seinem neuen Buch zum Schluss: Das ist alles geplant und entsprechend auch so gewollt.
Denn während Nehls, kurz zusammengefasst, den heutigen Anstieg von Alzheimer primär auf einen Mangel an Lithium zurückführt, verknüpft er diesen nicht etwa nur mit individuellen Lebensgewohnheiten oder genetischen Dispositionen – sondern mit gezielten politischen und wirtschaftlichen Interessen. In «Das Lithium-Komplott» entfaltet er ein Szenario, das sich wie eine medizinisch fundierte Kriminalgeschichte liest: systematische Desinformation, bewusste Verknappung und die Umdeutung eines essenziellen Spurenelements in ein potenzielles Risiko. All das, so Nehls, geschehe mit dem Ziel, die kognitive Leistungsfähigkeit breiter Bevölkerungsschichten zu dämpfen – subtil, aber wirksam.
Die Stärke seines neuen Bestsellers liegt hierbei in der Verbindung von neurobiologischen Erkenntnissen mit einer schonungslosen Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen. Nehls legt offen, wie eng kognitive Gesundheit mit Autonomie, Erinnerung und Urteilsfähigkeit verknüpft ist – und wie sehr genau diese Qualitäten in Zeiten der Dauerberieselung, der Informationsüberflutung und der pharmakologischen Steuerbarkeit unter Druck geraten. Dabei geht es ihm nicht um die Dämonisierung einzelner Akteure, sondern um ein grundlegendes Missverhältnis: Das Verhältnis zwischen einer Bevölkerung, die immer weniger in der Lage ist, klar zu denken und zu erinnern, und einem System, das immer besser darin wird, genau diesen Zustand zu verwalten – ja, für sich zu nutzen.
Die Frage ist nicht mehr nur: Wer profitiert davon? Sondern: Was bleibt vom Menschen, wenn seine Fähigkeit zur Wirklichkeitsdeutung systematisch ausgehöhlt wird? Wenn jene Wirklichkeitsverengung als primär innere Enge seine Wahrnehmung, sein Gedächtnis und Gefühl so weit zusammengeschnürt hat, bis das, was einst als lebendige Erfahrung galt, nur noch in schemenhaften Skizzen oder vorgefertigten Phrasen existiert? Und ihm durch das sukzessive Eliminieren von Wörtern letztlich auch die Konzepte abhandenkommen, Ideen wie Freiheit überhaupt auch nur zu denken?
Jenes leise Etablieren von Orwellschem Neusprech, der nicht durch offene Zensur, sondern durch sprachliche Verarmung wirkt, zeigte nun eine im Juni 2024 veröffentlichte Studie der Universität Turku («Delving into LLM-assisted writing in biomedical publications through excess vocabulary»): Zwischen Oktober 2023 und Februar 2024 – wohlbemerkt nach Einzug von ChatGPT – wurden über 11'000 englische Substantive in wissenschaftlichen Texten um mehr als 80 Prozent seltener verwendet – viele davon Begriffe, die mit Erinnerung, Identität und Abgrenzung zu tun haben. Sobald ein Wort unter zwei Prozent der Netzsichtbarkeit fällt, heißt es, werde eine Art Agenda für verschwindende Wörter ausgelöst: Neubewertung, Herabstufung bis hin zum finalen Ersetzen des scheinbar «obsolet» oder «unzeitgemäß» gewordenen Begriffs.
Ein kulturell beinahe gängiger Vorgang, der – erzwungen wie bei Orwell oder anhand von Verarmung durch konditionierte Denkverbote wie bei Huxley – solange erleichternd entschlackend wirken mag, bis du eines Tages nach einem Wort wie Integrität suchst, es aber nirgends mehr finden kannst. Es ist verschwunden. Nicht gelöscht, sondern so weit ausgelöscht, dass anstelle des Begriffs, der dir einst Halt und Orientierung gab, nun eine Leere triumphiert, von der du nicht einmal mehr sagen kannst, wann sie von dir Besitz ergriffen hat. Und aufgrund derer du nun zu jenen pawlowschen Phrasen greifst, deren Formelhaftigkeit bereits den Bewohnern von Huxleys «Schöner Neuer Welt» dabei geholfen hat, Reflexion zu ersetzen und Abweichung zu verhindern.... Ich denke da an «Ein Gramm Soma löst jedes Drama», «Gemeinschaft, Identität, Stabilität» – neuerdings ergänzt durch «Solidarität», «Impfen macht frei» oder «Bleiben Sie zu Hause».
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«Glücklich» also sei der, dem sich das Gefühl von Fremdbestimmung in seiner Brust noch aufzubäumen vermag. Vollziehen sich Vergessen und Verdrängung doch nicht allein durch einen in Mitleidenschaft gezogenen Hippocampus. Auch durch die immer weiter mit unserem Alltag verschmelzenden Algorithmen und immer tiefer in unseren Willen übergreifenden «Intelligenzen» wird Sprache glatt, genormt, funktional – und mit ihr der Mensch. Seine Wirklichkeitsverengung beginnt nicht erst bei der Diagnose Alzheimer, sondern lange davor – im Unvermögen, eigene Gedanken zu formen und innere Bilder in Worte zu fassen. Was wir hier verlieren, ist nicht nur Ausdruck. Es ist Welt. Fangen wir an, sie uns zurückzuholen.
Michael Nehls: «Das Lithium-Komplott», 2025, 320 Seiten.
Dieser Artikel erschien zuerst in der 19. Ausgabe des Schweizer Magazins DIE FREIEN.
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