Treffpunkt im Unendlichen
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Im Ozean der Augenblicke
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Im Ozean der Augenblicke

Von hellen Lichtern und erloschenen Feuern: Was wartet auf den Sehnsüchtigen? Zeilen über das Suchen nach Seelenverwandtschaft in Zeiten der Seelenlosigkeit.

«Einmal müssen zwei auseinandergehn; einmal will einer den andern nicht mehr verstehn – einmal gabelt sich jeder Weg – und jeder geht allein – wer ist daran schuld? Es gibt keine Schuld. Es gibt nur den Ablauf der Zeit. Solche Straßen schneiden sich in der Unendlichkeit. Jedes trägt den andern mit sich herum – etwas bleibt immer zurück. Einmal hat es euch zusammengespült, ihr habt euch erhitzt, seid zusammengeschmolzen und dann erkühlt – Ihr wart euer Kind. Jede Hälfte sinkt nun herab –: ein neuer Mensch. Jeder geht seinem kleinen Schicksal zu. Leben ist Wandlung. Jedes Ich sucht ein Du. Jeder sucht seine Zukunft. Und geht mit stockendem Fuß, vorwärtsgerissen vom Willen, ohne Erklärung und ohne Gruß in ein fernes Land.» Kurt Tucholsky

Sparks (iii) Mikalojus Konstantinas Čiurlionis 1906

Schau mir in die Augen und ich sag dir, wovon du träumst. In diesem Satz liegt alles, was mich anderen Menschen nahebringt. Und was mich von ihnen trennt.

Nie waren es Gespräche, die mich einem Menschen auf Anhieb haben vertraut fühlen lassen. Immer waren es Blicke. Das gegenseitige Finden im Schatten oder Licht hinter des jeweils anderen Augen. Die Ahnung einer Art von Verbundenheit, die sich mit Worten nicht erklären lässt.

Diese Wortlosigkeit ist, was ich immer geglaubt habe zu suchen. Einmal in meinem Leben nichts erklären zu müssen. Eine Form der Verbundenheit zu spüren, deren Sprache eine andere ist als die der Sprache.

Diesen Wunsch des bedingungslosen Gesehenwerdens habe ich bislang immer romantisiert. Da war eine Form von sehnsuchtsvollem Warten. Ein Hoffen auf den einen Menschen, der mich versteht.

Und gleich ich diese Sehnsucht wahrscheinlich nie ganz ablegen werden kann, noch will, realisiere ich so langsam, wie mich dieses «Suchen» mehr vom Leben abhält, als ihm näherbringt. Da ist eine Form von Realisation, dass der Mensch, den ich suche, niemand Geringeres ist, als ich selbst.

Und um ehrlich zu sein, ist das aktuell eine sehr traurige Erkenntnis.

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Sparks (ii) — Mikalojus Konstantinas Čiurlionis 1906

Mehr denn je realisiere ich die Auswegslosigkeit dessen, was ich meine zu suchen. Die ihr zugrunde liegende Verwechslung zwischen Sehnsucht und Ersehntem.

Da ist dieses Gefühl, oder vielmehr die Erkenntnis, mein Leben lang auf etwas gewartet zu haben, dass ich zwar meine zu wollen, dass ich aber, wenn ich ehrlich mit mir bin, in dieser Form gar nicht will oder auch nur wollen kann. Eben weil es das Eigentliche nicht adressiert. Und mich außen vor lässt. Denn schlussendlich…

Beginnt doch alles mit uns selbst. In uns selbst. Jede Beziehung, jedes Lachen, jede Berührung. Sind wir uns selbst jedoch nicht nahe, haben wir uns selbst nie mit uns vertraut gemacht, bleibt jede Beziehung einsam, jedes Lachen freudlos und jede Berührung … berührungslos. Die fehlende Nähe zu uns selbst hindert sowohl uns daran, anderen Menschen nahe zu kommen; wie auch diese, sich uns anzunähern.

Um dem eigenen Wunsch nach Nähe und Verbundenheit wahrhaft gerecht werden zu können, wäre die «logische» Schlussfolgerung an dieser Stelle folglich, Innenschau und Individuation zu betreiben. Zu gut oder unseligerweise unterliegt Sehnsucht keinerlei Logik. Was also macht der oder die Sehnsüchtige? Er oder sie lernt, in Blicken zu schwimmen

… Überall, wohin du gehst, sucht du nach Augen, die nicht durch dich hindurchschauen, sondern die mittels ihrer Sehnsucht die in deinen finden. Du hoffst auf die eine Begegnung, durch die sich alles auflöst. Die Einsamkeit, die Entfremdung, die Leere. Irgendwann, so glaubst du, wird dieser eine Mensch in dein Leben treten, durch den plötzlich alles Sinn ergibt. Mit dem plötzlich alles einfach ist und deine verloren geglaubte Lebendigkeit zu dir zurückkehrt.

Doch dieser Mensch wird nicht kommen. Oder besser gesagt: Selbst wenn dieser Mensch in dein Leben tritt, wird seine Aufgabe nicht darin bestehen, den Ballast deines Innenlebens für dich zu ordnen, geschweige denn für dich zu tragen. Alles Gewicht der Welt, das du in dir trägst, trägst du selbst. Es ist deine Aufgabe, es zu entpacken. Denn da wird niemand kommen, um dich zu retten.

So sehr ich auch verstehen kann, warum du diesen Wunsch in dir trägst.

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Retten und gerettet werden

So überlege ich aktuell mehr denn je, warum ich diese Tendenz in mir trage. Warum ich entweder durch die Welt gehe, als wäre niemand da, oder als würde – überspitzt gesagt – mein Leben davon abhängen, dass jemand da ist. Warum da immer dieses leise Hoffen bleibt, wo immer ich bin, in Augen zu blicken, die auch zurückblicken. Kurzum: Warum ich allzu oft mehr im Außen bin, denn bei mir.

Meine Antworten dazu sind viele. Eine dreht sich um meine allgemeine Frustration über diese Zivilisation. In diesem Fall ist das Suchen nach «wachen» Augen der Wunsch nach Leben in dieser Welt. Er tritt meist ein, wenn ich mich selber fremd und einsam fühle in dem Kontext, in dem ich mich zu diesem Zeitpunkt aufhalte. Das Suchen ist ein Suchen nach Leidensgenossen. Jemandem, der die Welt durch dieselbe Brille betrachtet wie ich. Und durch sie auf dieselbe Fassungslosigkeit blickt wie ich. Kurzum: Der das Gemeinsame im Gleichen sieht.

Gerade in einer Welt, die nicht trotz, sondern aufgrund ihrer Blindheit funktioniert, hat dieses gemeinsame Sehen, dieses Teilen desselben Blicks dennoch etwas sehr Heilsames: Zumindest für einen Moment gespiegelt zu bekommen, dass nicht dein Gefühl für die Welt, sondern das Gefühl der Welt aus dem Ruder gelaufen ist. Zumindest für einen Augenblick ohne Fremdheit in dem Gefühl verweilen zu können, dass die Trauer, die du spürst, letzten Endes nicht nur dich beweint, sondern aus etwas rührt, das auch andere Menschen nachts nicht schlafen lässt.

Dieses Gefühl also ist es, in dieser Welt an denselben Dingen zu «knabbern», das bereits Verbundenheit erzeugt. Während Glück oft nur für einen Moment verbindet, schweißt Leiden zusammen. Da ist eine Form von Sensitivität, ein Mitleiden auf einer Ebene, die für andere nicht einmal sichtbar ist; deren alleiniges Erkennen im jeweils anderen Nähe zu diesem erzeugt. Sei es aufgrund von Erfahrungen aus diesem Leben, oder aus einem früheren: Sind Augen der Schlüssel zu unserer Seele, sind unsere Augen auch der Weg, wie unsere Seelen sich gegenseitig wiederfinden. Davon bin ich überzeugt.

In gewisser Weise liegt hierbei die Verbundenheit in der Suche selbst. Einem Menschen, der diese Welt als Suchender durchwandert, fühle ich mich meist bereits aus dem Grunde nahe, weil ich weiß, dass er das, was er in ihr vorgefunden hat, nicht als Letztgültigkeit zu akzeptieren vermag. Woher auch immer, aber er weiß, dass es das noch nicht gewesen sein kann. Dass das, was er spürt, einen höheren Sinn verfolgen muss, als einfach «nur» durchlitten zu werden. Und dieses Wissen über etwas, das weder gewusst noch erklärt, sondern nur gefühlt werden kann allein das verbindet.

Daybreak — Mikalojus Konstantinas Čiurlionis 1906

Und verbindet doch wieder nicht. Denn wie ich anfangs bereits erwähnt hatte: Jedes Gefühl von Verbundenheit zu einem anderen Menschen wird überall dort ausbleiben, wo wir uns selbst noch nicht nahegekommen sind. Genauso wie auch wir nur das anziehen, was wir selbst bereits (oder noch) in uns tragen, ist es auch die Berührung eines anderen Menschen, die stets nur das berühren kann, was wir zuvor bereits selbst in uns berührt haben.

Womit wir bei unserem eigentlichen Hoffen wären: der Hoffnung, gerettet zu werden. Der Hoffnung, dass «all’ das» endlich aufhört, würden wir nur endlich dem Menschen begegnen, durch den «all’ das» endlich erträglich erscheint und dessen Berührung allein so viel in uns auslöst, wie wir alleine nie bereit gewesen wären zu fühlen. Eine Hoffnung, die hiermit endlich ihr Ende haben wird. Adressiert sie in Wahrheit doch nicht die Rettung unseres leidenden Ichs vor dem Leid dieser Welt. Sie verhilft jenem Ich zur Flucht vor uns selbst, indem wir unsere Präsenz von uns abziehen und stattdessen in allen Beziehungen aufgehen, nur nicht in der zu uns.

Was traurig ist, werden wir ohne sie in keiner anderen Beziehung jemals in-Beziehung sein. Und umso trauriger, sind wir in umso mehr Beziehungen, je weniger wir mit uns selbst in Beziehung sind. Denn gleich dies etwas paradox klingen mag, aber: Aus Angst, uns selbst zu entblößen, fliehen wir in Beziehungen, innerhalb derer wir nicht in Beziehung sein können. Oder anders gesagt: Aus Unfähigkeit, uns selbst nahe sein zu können, suchen wir Nähe, die zwar niemals eine sein kann, dafür aber unsere Illusion aufrechterhält, wir seien «verbunden».

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Eine als Hoffnung getarnte Verdrängung, durch die wir solange wir ihren Kompensationsmechanismus nicht erkennen einen Film leben, in dem wir selbst stets die Nebenrolle einnehmen werden. Und selbst das auf eine sehr verdrehte Art und Weise: Denn solange wir nicht auf unseren «Retter» gestoßen sind, kompensieren wir zusätzlich seine Rolle, indem wir diejenigen sind, die sich um die anderen kümmern. Wir geben unser Bestes, sie sich so fühlen zu lassen, wie wir es nie konnten: verstanden, gehalten, geliebt. Und geben uns dabei selbst auf.

Auch in diesem Film sind es nicht wir, sondern die anderen und die Welt, die unsere Hilfe benötigen. Nur dass wir, anstatt dass wir weiterhin darauf hoffen, «gerettet» zu werden, jetzt eine abgespeckte Version von Eigenverantwortung leben, indem wir aus unserer Warteposition dazu überzugehen, nun alle anderen «retten» zu wollen. Wir glauben, dass wenn wir sie einmal alle «geheilt» hätten, dann, ja, dann wird Verbindung endlich möglich sein. Ein netter Versuch der Nächstenliebe, der als solcher allerdings nichts mit Liebe zu tun hat.

Alle Suche nach Verbundenheit wird solange eine Flucht im Außen bleiben, wie wir nicht erkennen, dass die einzige «kaputte Welt», der wir versuchen zu entfliehen, unser eigenes Inneres ist. Und dass der eigentliche Mensch, dem wir uns wünschen würden, unsere Seelsorge käme auch ihm zu eigen, wir selbst sind. Weil wir uns diese Liebe und Aufmerksamkeit jedoch nicht zugestehen, suchen wir uns «Seelenpartner», von denen wir glauben, sie in dem Heilungsprozess begleiten zu können, den wir uns selbst nicht gewähren. Wir missbrauchen uns selbst und damit andere. Allein dadurch, dass wir verkennen, dass all’ unsere Kontaktsuche aus nichts Geringerem resultiert als aus unserem Kontaktverlust zu uns selbst.

Deluge — Mikalojus Konstantinas Čiurlionis 1904

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Doch wir können niemandem seine Schritte abnehmen. Und niemand kann seine Schritte teilen und sie einem anderen geben (XAVAS). Nicht nur können wir niemanden sich geliebt fühlen lassen, der sich selber nicht liebt; wir können auch selbst niemanden lieben, solange wir nicht uns selber lieben.

Und damit meine ich nicht Selbstliebe als solche. Ich meine jene tiefe Verbindung zu uns selbst, ohne die wir uns selbst allein aus dem Grund nicht lieben könnten, weil wir nicht wüssten, was dieses «Selbst» von seinem Wesen her überhaupt sei. Oder wie Osho es in «Liebe, Freiheit, Alleinsein» formulierte:

«Sokrates sagt: ‹Erkenne dich selbst› – Buddha sagt: ‹Liebe dich selbst.› Doch was Buddha sagt, ist viel wahrhaftiger, denn solange man sich selbst nicht liebt, kann man sich unmöglich selbst erkennen. Die Erkenntnis kommt erst später, wenn der Boden dafür von der Liebe bereitet wurde. Die Liebe schafft erst die Möglichkeit zur Selbsterkenntnis. Liebe ist der rechte Weg, um sich selbst zu erkennen.»

Warum dem so ist? Ich persönlich glaube, dass der Glaubenssatz, nicht liebenswert zu sein, viele Menschen davon abhält, sich selbst überhaupt besser kennenlernen zu wollen. Es fehlt an grundsätzlicher Daseinsberechtigung, das eigene Selbst überhaupt als ergründenswert zu erachten. Der Mangel an Liebe kreiert eine Existenz, aus deren Unbedeutsamkeit heraus wir unser eigenes Gefühlsleben abspalten. Wir kreieren eine Welt, in der wir davon ausgehen, «zu wenig» und gleichzeitig «zu viel» zu sein. Zu wenig, um verstanden werden zu wollen, und zu viel, um verstanden werden zu können. Aus Angst unsere Liebensunwürdigkeit an der Realität bewahrheitet zu wissen, kreiert unsere Angst vor Bindung eine Angst vor Bindungsverlust und wir eine Welt, in der sich jedes in-Beziehung-gehen allein aus dem Grund erübrigt, weil Beziehung selbst für nicht möglich gehalten wird.

Damit jedoch ist unsere eigentliche Sehnsucht nicht gestillt. Und würde folglich auch für immer Sehnsucht bleiben, ließen wir nicht ab von jenem Glaubenssatz, nicht liebenswert sein zu sollen. Ein Unterfangen, für das ich, um ehrlich zu sein, selber noch keine «Antwort» gefunden habe, außer der, dass sie wahrscheinlich weder was mit «Worten» noch «Sätzen» zutun haben wird. Und Glauben auch nur in dem Sinne, dass dieser keinem Dogma unterliegt, sondern einem Gefühl. An diesem nämlich kommen wir nicht vorbei, wollen wir endlich aufhören, durch diese Welt zu wandeln, als gäbe es solange kein Ich, wäre da nicht auch ein Du.

Sparks (i) — Mikalojus Konstantinas Čiurlionis 1906

Erst wo wir bereit sind, uns selbst zu fühlen, wird auch unsere Sehnsucht in Erfüllung gehen. In diesem Fall aber nicht durch einen anderen Menschen, sondern durch uns selbst. Denn erst wenn die Angst vor der eigenen Nichtigkeit und damit auch die Angst vor dem Alleinsein verschwindet oder vielmehr: sich in Liebe auflöst erlischt auch die Angst vor der eigenen Seelentiefe und der ihr inne liegenden Aufgabe. Erst wenn wir bereit sind, uns selbst auf dieser Ebene zu begegnen, ganz frei und unabhängig von anderen, sind wir auch bereit, einem anderen Menschen auf dieser Ebene zu begegnen. Eben weil da niemand mehr ist, der gerettet werden muss. Wir können uns selber halten, können alleine sein.

Weil wir fähig sind zu lieben, sind wir bereit, in den tiefsten Kern eines anderen einzudringen und zwar, ohne diesen besitzen zu wollen, oder von ihm abhängig zu werden. Da ist keine Leere mehr in uns, die wir versuchen, durch den anderen zu füllen. Wir schöpfen aus uns selbst. Und können auf diese Weise erstmals durch Berührung berührt werden. Da ist keine Angst mehr, dass der andere wieder gehen könnte. Er kann gehen. Und doch sind wir immer noch wir selbst. Liebenswert.


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PS: Bei der Tonaufnahme heute früh um 6 war ich noch etwas müde. Man hörts vielleicht.

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Zwischen Zeitenende und Zeitenwende: Wohin geht der Mensch? Und inwieweit müssen wir erst aus der Zeit fallen, um ins Leben zu stürzen? Essays ohne Antworten, dafür aber mit Gefühl. Und dem Impuls zum Aufbruch in neue Welten.
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Lilly Gebert