Die Oberhand der Unterwelt
Die andere Art von «Erwachen». Das Erwachen auf Ebene der Menschlichkeit. Ein Mäandrium.
Im Rahmen der jüngsten Geschehnisse mussten viele Menschen die Erfahrung machen, dass ein «Zu sich Stehen», ein «die eigene Wahrheit aussprechen», das Ausdrücken von Zweifeln oder ein Hinterfragen des allgemein für «wahr» Angenommenen zur Trennung führt. Dass es keine Nähe erzeugt. Dass das Gegenüber weder verstehen will, noch kann. Und dass dieses weder bleibt, noch einen anschreit. Sondern einfach geht. Und nichts hinterlässt als Stille und das Gefühl, sich nie wirklich gekannt zu haben.
Die vergangenen vier Jahre haben gezeigt, dass ein Aufeinandertreffen zweier Menschen mit unterschiedlichen Meinungen, aber ohne Bereitschaft, diese nebeneinanderstehen zu lassen, Bindungen auflöst, anstatt sie zu festigen. Dass das Offenbaren von Innerlichkeiten nicht jedes Innere berührt. Dass da Barrieren sind. Wenn nicht Mauern. Dass wir nicht mehr jeden erreichen können. Darunter auch jene, mit denen wir einst innig waren.
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Warum ist das so? Fragen wir uns seither. Angst, Massenpropaganda, Substanzen. Ich weiß es wirklich nicht. Und um ehrlich zu sein, interessiert es mich so langsam auch nicht mehr. Mein Leben geht weiter. Und zwar mit Menschen, mit denen ein «In-Kontakt-Gehen» noch möglich ist. Und wenn diese gerade nicht greifbar sind, ziehe ich es offen gesagt auch einfach vor, nur mit mir zu sein.
Denn wenn es etwas gibt, was ich in den letzten Jahren «gelernt» habe, dann ist es das. Nicht das Alleinsein. Das konnte ich schon vorher recht gut. Ich spreche vom Wahrnehmen von Energien und Kontaktqualitäten. Sympathien aufgrund von Gemeinsamkeiten reichen schlichtweg nicht mehr aus, um mich einem Menschen nahe zu fühlen. Das entscheidende Band hat sich vom Irdischen ins Geistige verschoben. Bei wem sind unsere Worte nicht nur Worte, sondern Ausdrücke unserer Seele? Mit wem stehen wir nicht nur gut da, sondern stets auch für uns selbst? Bei wem nimmt die Projektion ihr Ende und unser wahres Sein seinen Anfang? Fragen wie diese erleichtern mir jedes Loslassen dessen, das mich immer hat leer und abhängig fühlen lassen.
Bin ich früher vielleicht einfacher über Dissonanzen mit Menschen hinweggegangen, kann ich derweilen schon fast dabei zusehen, wie mir diese meine Energie und Lebensfreude rauben. Und gleich es viele Menschen noch immer als «normal» empfinden, Barrieren in der gemeinsamen Kommunikation zu ignorieren oder durch eigenstes Verbiegen zu kompensieren: Das fortwährende Überbrücken von Lücken oder Brüchigkeiten im Kontakt ist kräftezehrend – unbewusst kräftezehrend.
Realisieren, wie viel unserer Kraft wir aufgewandt haben, diese beziehungslosen Beziehungen nicht als solche zu empfinden, tun wir meist erst, nachdem wir bereits durch sie verletzt worden oder an ihnen ausgebrannt sind. Bis dahin triumphiert unser Wunsch nach Nähe – auch wenn die, die wir als solche interpretieren, keine ist. Wir orientieren uns «nach unten», geben uns mit Dingen zufrieden, die uns weder befriedigen, noch innerlich befrieden. Stattdessen verharren wir. Und unser Herz sucht weiterhin nach einem Ort, an dem es nicht nur gehört, sondern vor allem gefühlt wird. Ein lebenslanges Unterfangen, dessen Misserfolg sich bildlich unter einem Wort zusammenfassen lässt: Burnout.
Was aber, wenn unser Herz findet, was es sucht? Dann sind wir bereit zu lernen, dass wahrhaftes In-Beziehung-Sein niemals beinhaltet, das eigene Sein reduzieren zu sollen. Und dass alles, was wir bislang als Beziehung oder Freundschaft aufgefasst haben, nie darauf abgezielt hat: das Miteinandersein. Nicht nur erkennen wir, dass die Fremdheit gegenüber jenen Menschen immer schon da war, sondern als Distanz, die wir zwar gespürt, aber nicht für wahr genommen haben, nichts weiter als der Ausdruck unserer eigenen Entfremdung gegenüber uns selbst ist. Dass wir lieber uns verleugnen, anstatt uns einzugestehen, dass wir hier nicht glücklich werden. Dass wir in dieser Dissonanz nicht frei schwingen können.
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Das Erkennen und Eingestehen von Dissonanzen ist meiner Erfahrung nach der erste Schritt, Differenzen Differenzen sein lassen zu können, ohne fortwährend das Bedürfnis zu haben, diese zu verneinen, zu ergründen, zu beschönigen oder zu schlichten. Zur Erklärung: Mit «Dissonanzen» meine ich keine inhaltlichen Differenzen. Um ehrlich zu sein, kann es mir manchmal bis zu einem bestimmten Grad sogar «egal» sein, was mein Gegenüber für Meinungen vertritt, wenn etwas anderes – Grundlegenderes – dafür stimmt: der Kontakt auf Herzensebene.
Diese Erfahrung jedenfalls durfte ich in den vergangenen vier Jahren machen. Ich bin Menschen begegnet, die in dem Sinne zwar ganz woanders «standen» als ich, mit denen auf Herzensebene jedoch eine direkte(re) Verbindung bestand. Anders als sonst, ging es plötzlich nicht mehr um Themen, es ging um «uns». Und das hatte etwas unglaublich Heilsames. Jede sonst bekannte Anstrengung fiel weg und dort, wo wir für gewöhnlich Trennung erfuhren, konnten wir selbst dann in Verbindung bleiben, wenn wir rational auf Differenzen stießen. Wir brauchten uns nicht in allem zustimmen; brauchten nicht diese Form der Kongruenz. Die Gegenseitigkeit, nach der wir suchten, lag im eigentlichen Interesse am Kontakt selbst. Sprich: Es ging nicht um die Themen, es ging um den Menschen. Darum, ob wir diesen «sehen» und auch uns von ihm oder ihr als Mensch «gesehen» fühlen.
Denn genau das war es, was uns meiner Ansicht nach in den vergangenen vier Jahren so dermaßen entglitten ist: Wir haben uns nicht mehr wie Menschen behandelt. Und teilweise auch nicht mehr als solche gefühlt. Das, was einen Menschen in seinem Innersten bewegt, spielte plötzlich keine Rolle mehr. Stattdessen wurden seine Wertigkeit als auch die Sinnhaftigkeit, weiterhin Umgang mit ihm zu pflegen, bemessen an seiner Vorsicht und Regeltreue, kurzum: an seinem Gehorsam.
Mir ist dieses Abgestempeltwerden damals mehrfach passiert. Gerüchte und Hörensagen haben gereicht, um jahrelange Freundschaften in Rauch aufzulösen. Kein sich Erkundigen nach meinen inneren Beweggründen, nicht die Spur eines Nachfragens, ob an den Gerüchten überhaupt etwas dran ist. Bis auf ein Mal: Dezember 2020 traf ich einen Freund auf einen Spaziergang im Park. Was sich zunächst noch anfühlte wie eine vermeintlich harmlose Sorge, kippte irgendwann in die Diskredition meiner Person. Mündigkeit, eine auf Eigenverantwortung beruhende Auffassung von Freiheit oder auch eine ebenfalls auf Evidenz basierende Datengrundlage. All’ dies wurde mir abgesprochen. Ich selber für unzurechnungsfähig und fahrlässig erklärt als auch in die «rechte» Ecke geschoben.
Alles Dinge, über die ich in dem Sinne mittlerweile zwar «lachen» kann, die mich in ihrer grundlegenden Dynamik jedoch noch immer erschaudern lassen. So schnell kann es gehen, und Menschen, mit denen du alles geteilt hast, behandeln dich, als hätten sie an dir ein Exempel zu statuieren. Anstatt zu versuchen, dich zu verstehen, stellen sie sich über dich. Begeben sich an einen Ort, an dem kein Kontakt mehr möglich ist. Wo sie weder dich mehr erreichen, noch du sie. Wo einst Vertrauen war, herrschte Belehrung. Und was zuvor noch auf Augenhöhe beruhte, war plötzlich eine Hierarchie.
Aber wie gesagt: Über diese menschlichen Abgründe habe ich mir in der Vergangenheit genug Gedanken gemacht (siehe hier, hier, hier, hier oder hier). Und ja, Aufklärung ist weiterhin wichtig und auf medizinisch-rechtlicher Seite auch noch lange nicht abgeschlossen. Doch was die psychosoziale und politische Ebene betrifft, habe ich das Gefühl, ist längst alles gesagt. Wer es bis jetzt noch nicht verstanden hat, wird es vermutlich auch dann nicht verstehen, wenn wir es noch ein hundertstes Mal auf eine andere Weise formulieren. Eben weil derjenige es aus dem Grund noch nicht verstehen kann, weil er es in seinem tiefsten Inneren nicht verstehen will.
Denn was waren damals die Beweggründe? Überzeugung, Faulheit, Dummheit, Angst. Im Grunde waren es diese vier. Muss sich ein Mensch nun jedoch eingestehen, er hat nur deswegen totalitär-faschistoide Verhaltensweisen übernommen, weil er entweder zu faul oder zu dumm war, sie zu hinterfragen, erfordert dies schon ein erhebliches Stück Rückgrat. Das gleiche gilt für jene Überzeugungstäter und Angstgetriebenen: Wie viel Selbstreflexion und Ehrlichkeit im Umgang mit sich selbst braucht es, um sich an diesem Punkt noch einzugestehen, dass man falsch lag und Menschen entsprechend zu Unrecht diskriminiert, verurteilt und ausgegrenzt hat? Nicht ohne Grund brauchte es eine ganze Generation, um die Verbrechen des letzten Jahrhunderts überhaupt erst als solche zu benennen. Ganz zu schweigen von ihrer Aufarbeitung. Wie immer gilt: Das kollektive Gedächtnis ist kurz. Das kollektive Schweigen umso länger.
Warum sich aktuell also an Bewusstseinsgrenzen abarbeiten, gegen die ohnehin nichts etwas auszurichten hat außer die Zeit? Das Gesetz, dass Druck letztlich nichts anderes erzeugt als Gegendruck, kenne ich nur zu gut: Wo immer ich mich bevormundet fühle oder durch jemand anderes eines Besseren belehrt, mache ich zu und schalte auf Durchzug. Nicht, dass ich nicht lernwillig wäre. Ich bin bloß allergisch auf unausgesprochene und folglich unnatürliche Hierarchien. Autoritäten, die welche sind, erkenne ich an. Jene, die meinen, es reiche aus, Autorität zu haben, nicht.
Was aber will uns das jetzt sagen? Dass wir niemandem mehr etwas sagen dürfen? Nicht ganz. Während ich für meinen Teil dazu übergegangen bin, keine Fragen mehr zu beantworten, die nicht gestellt wurden, geht es, meine ich, vielmehr darum, aus welcher Haltung heraus wir jemandem etwas sagen. Möchten wir informieren oder zur Handlung animieren? Aufklären oder moralisieren? Beabsichtigen wir, ihm oder ihr unser Weltbild und unsere Überzeugungen überzustülpen? Gehen wir dabei auf ihren oder seinen Standpunkt ein? Und halten wir diesen zunächst einmal für ebenso legitim wie den unsrigen? Oder sprechen auch wir – implizit oder explizit – von vorneherein unserem Gegenüber die Fähigkeit ab, seine Meinung ebenfalls aus sich selbst heraus gebildet haben zu können?
Annahmen wie diese sind in jedem Gespräch spürbar. Sie kennzeichnen die energetische Augenhöhe zwischen zwei Menschen. Gehen wir wirklich in Kontakt? Versuchen wir zu verstehen? – Emotional wie rational? Oder geht es auch für uns schlussendlich nur wieder darum, uns anhand dieses anderen Menschen besser darzustellen? Inwieweit interessiert uns wirklich der Mensch, dem wir hier versuchen zu «helfen»? Geht es überhaupt darum, ihn eines «Besseren» zu belehren; oder bestand der eigentliche Sinn und Zweck unserer «Hilfeleistung» von je her darin, unsere eigene Vormachtstellung unter Beweis zu stellen?
Egal von welcher Seite diese Dynamiken in einem Gespräch auftauchen: Sie führen nie zum gewünschten Ziel. Eben weil sie Mittel und Zweck vertauschen. Auch hier geht es im Grunde nicht um den Menschen, sondern ums Rechtbehalten. Ob getarnt als Solidarität, Wahrheitsliebe oder Kampf um Gerechtigkeit – das Resultat ist immer dasselbe: Spaltung. Wo bereits im Vorwege der Glaubenssatz herrscht, vom Gegenüber nichts lernen zu können; ihm nicht einmal zuhören zu müssen, wird niemals auch nur irgendeine Form der Verständigung zustande kommen. Eben weil es nicht primär der Verstand ist, der hier agiert, sondern der angstgetriebene Intellekt. Und weil dieser nichts anderes hat, außer sich selbst, ist er in permanenter Alarmbereitschaft, aufgrund von Inkompetenz und Einseitigkeit disqualifiziert und in Misskredit gezogen zu werden. Also setzt er alles daran, seine Weggefährten; den gesunden Menschenverstand und das Gefühl, lahmzulegen. Wie er das schafft? Indem er den Zugang jenes Menschen zu seinem Herzen trennt und diesen stattdessen über seinen Kopf zu lenken beginnt.
Kopf oder Herz? Ich glaube, in Zeiten wie diesen gibt es langfristig keine wichtigere Frage. Sie ist Wegscheide und Glaubensbekenntnis zugleich. Auf welcher Ebene bin ich imstande, Menschen zu begegnen? Ist mir die heilsame Ebene des Herzens noch offen, oder lebe ich bereits in der krankmachenden Trennung meines Verstandes? Inwieweit bin ich folglich noch ganz Mensch? Und inwieweit will ich auch Mensch bleiben? Lasse ich mich reduzieren und habe bloß Gehirn und Körper, oder bin ich Mensch samt Herz, Geist, Seele und Ätherleib? Werde ich getrieben von meinen Emotionen, oder bin ich im Gefühl? Wohin will ich gehen? In die Verbundenheit oder in die Trennung? In die Menschlichkeit oder in das, was nach ihr kommen soll?
Allgemein eine wichtige Frage: Können wir etwas transzendieren, was wir als solches noch nicht erreicht haben? Glauben wir ernsthaft, etwas zu überwinden meint dasselbe wie es zu überschreiten? Dass wir als Menschheit unseren Entwicklungsweg auf eine Weise abkürzen könnten, der von uns keine Entwicklung erfordert? Wem machen wir hier etwas vor? Der Schöpfung oder uns selbst?
In meinen Augen kann auf Basis dieser Inkongruenz kein System auf Dauer bestehen. Es entspringt nicht der Lebendigkeit. Ist mit dem Leben nicht eins. Dieses nämlich lässt sich weder planen, noch kontrollieren, noch technologisieren. Leben ist. Das war’s. Um jedoch in diesem Sein des Lebens anzukommen, müssen wir zunächst einmal anfangen, alles, was wir bislang geglaubt haben, über das Leben zu wissen, zu vergessen. Und stattdessen einem bestimmten Gefühl erlauben, in uns groß und weit zu werden. Die Rede ist vom Vertrauen.
Vertrauen ist meine Antwort auf die Frage, weswegen bislang alle Revolutionen und Systemumstürze gescheitert sind. Eben weil sie ohne Vertrauen in den Menschen waren. Weil sie ihm nicht zugestanden haben, selber für sich zu wissen, was richtig ist. Weil sie immer mit Konzepten, mit Ideologien, ja mit Ideen von außen an den Menschen herangetreten sind und diesen zu ihrem eigenen machen wollten.
Kein Wandel wird fortbestehen, wenn er nicht zuerst den Menschen entspringt, wenn er von oben herab diktiert wird und nicht von unten heraus, aus den Menschen, entstehen darf. Denn zweifelsfrei: Der Mensch ist biegsam, kann sich Kleider, Hüllen und Panzer anlegen, die ihm weder passen, noch entspringen. Dieser Karneval mag insofern eine «dynamische Stabilisierung» sein, als dass im fortwährenden Anarbeiten gegen sein eigenes Inneres der Mensch sich eine persona kreiert. Doch insoweit diese Maske nicht einmal dem Menschen selbst wahren Halt bieten kann, befindet sich auch die äußere Veränderung, die sie augenscheinlich zu stützen vermag, in einer auf Lügen beruhenden Haltlosigkeit.
Halt bietet nur das, was dem Wesen selbst entspringt. Solange dieses jedoch verkannt und kleingehalten wird, ist der Wandel nie genuin, nie deckungsgleich mit dem, was der Mensch eigentlich will oder von sich aus begehrt. An den Punkt, dies herauszufinden, gelangt er schließlich nicht einmal. Vielmehr wird er bereits im Vorwege abgefangen und in dem Glauben gehalten, dass das, was er meint zu wollen, auch dem entspringt, was er will. Dabei weiß er gar nicht, was er will, und das, von dem er meint, dass er es will, ist nichts weiter als das, von dem man will, dass er glaubt, es zu wollen.
Ich würde sagen, das ist der schwierigste Teil: Sich überhaupt erst einmal bewusst zu werden, inneren Strukturen zu unterliegen, die nicht wesensgleich mit den eigenen sind. Wir können unser Leben lang Dinge so tun, wie wir sie immer schon getan haben. Und dann, von einem Tag auf den anderen, fällt der Rahmen weg, in dem wir die Dinge immer so getan haben, wie wir geglaubt haben, sie tun zu wollen. Und dann merken wir: Eigentlich wollen wir die Dinge gar nicht so tun, wie wir sie immer schon getan haben. Wir beginnen, an uns zu zweifeln, unsere eigene Entscheidungskompetenz infrage zu stellen.
Ähnlich wie nach dem Ende einer Beziehung, wo sich so manch einer im Nachhinein fragt, wie es überhaupt so weit hat kommen können, stellt sich auch hier die Frage, wie viel kognitive Dissonanz der Mensch imstande ist zu rationalisieren, um die eigene Lebensführung nicht infrage stellen zu müssen. Es ist folglich nicht nur die Frage, bis zu welchem Punkt man sein Innenleben von anderen Menschen beeinflussen lassen sollte, sondern an welchem Punkt wir überhaupt merken, dass wir von anderen Menschen und anderen Ideen so tiefgreifend beeinflusst worden sind, dass wir ihr Einwirken nicht einmal mehr als solches wahrnehmen.
An dieser Stelle kann ich zwar nur für mich sprechen, aber ich glaube, wir brauchen die Trennung, um danach erstmals wieder in Verbundenheit gehen zu können. Als wir selbst. Und mit uns selbst. Wollen wir unseren Platz in uns und in dieser Welt finden, kommen wir an der Stille nicht vorbei. Denn erst in der Stille finden wir jenen Ton, den wir nur dann hören können, wenn wir mit uns allein sind. Es ist der Klang unseres Wesens, das – eben weil es selber aus dieser besteht – mit jener Schwingung resoniert, mit der es in Berührung kommt. Folglich auch mit Tönen, die es niedriger schwingen lassen, als es selbst ist.
Um jedoch höher zu schwingen, reicht es nicht aus, die niedrigen Töne zu vermeiden und die höheren zu suchen. Wenn wir unserem eigenen Klang innerlich keinen Raum gewähren, wird dieser nie frei und entsprechend hoch schwingen können. Diesen Raum allerdings gewinnen wir nur durch Erfahrung. Nicht indem wir ihn durch Erfahrung füllen, sondern indem wir ihn durch Erfahrung leeren. Es geht nicht ums Anhäufen, sondern ums Loslassen. Darum, durch Erfahrung inneren Widerständen zu begegnen und durch die Situation selbst erst die Möglichkeit zu bekommen, diese aufzulösen.
Auch hier heißt das Zauberwort Bewusstsein. Von diesem kann ich mir vorstellen, dass es ähnlich der Ideenlehre Platons funktioniert. Nicht indem wir als tabula rasa zur Welt kommen, aber dass jeder von uns bereits zur Geburt den Samen dessen in sich trägt, was wir gemeinhin als «Wahrheit» bezeichnen würden. Die Wahrheit ist uns quasi seelisch «inhärent». Allerdings «vergessen» wir sie und ihre Ideen in dem Moment, wo wir auf die Welt kommen, und leben fortan mit der Aufgabe, uns zu «erinnern». Manche erinnern sich schneller, manche langsamer. Es kommt auf die Vielzahl und Intensität der Erfahrungen an, eine Diversität an Stimuli zu erzeugen, die uns unseres Ursprungs und unserer wahren Größe wieder erinnern lässt.
Gleichzeitig bedeutet dies aber auch: In jedem Moment ist jeder Mensch genau da richtig, wo dieser Mensch genau in diesem Moment ist. Der Lebensweg eines Menschen ist genauso subjektiv wie sein Glauben. Fangen wir an, über Schicksale und Gefühle zu streiten, sind wir verloren.
Und ganz grundsätzlich: Wenn wir das Spalten nicht überwinden, wird es keine Idee geben, die uns wieder zusammenbringen wird.
Ich wünsche einen schönen Tag der Deutschen Einheit.
Herzlich,
Lilly
Schön, wieder von dir zu hören, liebe Lilly, deine Gedanken wurden schon vermisst....Es war gerade spannend: während des Lesens tauchten Fragen und Gedanken in mir auf, deren Beantwortung ich dann im nächsten oder übernächsten Abschnitt von dir finden konnte. Wunderbar, wie sich ein Wahrnehmen zum anderen fügt.
So stimme ich dir fast überall zu, nur gegen Ende des Textes hin nicht bzw. ich würde es anders formulieren.: so geht es für mich nicht ums Loslassen der niederen Töne. Loslassen und Leeren implizieren für mich die Sicht, etwas (Ungutes, Schlechtes, eben Niedriges) weghaben zu wollen. Ich würde daher eher von Befreiung, Ent-Spannung oder noch lieber von Er-Lösung sprechen, damit diese Frequenz nicht mehr blockiert ist., sondern in meinen Gesamtklang (der vollständig nicht nur höhere Töne haben kann) integriert wird. Dieses Etwas anzuschauen und in es tief hineinzufühlen, bringt die Bewegung, die letztlich zur Balance und damit zu Harmonie führt.
Der Satz mit Spaltung überwinden, steht für mich schräg in der Landschaft des Textes. Für mich hat er einen zwanghaften Charakter, wenn für neue Ideen zuerst die Spaltung überwunden werden muss. Ich bin sicher, dass Menschen, sich all dessen, was du im Text beschreibst, bewusst werden und ihre eigene Er-lösungsarbeit machen und immer mehr sie selber als urspünglich gedachtes menschliches Wesen werden, dementsprechend ähnlich klingende Geamt-Töne anderer Menschen hören können und so diese Einheit automatisch wird und wächst. Daraus entsteht die neue Musik neuer Ideen....
Die Frage ist, warum schmerzen kognitive Dissonanzen, also das unterschiedliche (subjektive) Empfinden von Realität so sehr das wir faschistoid werden, töten, ja Kriege führen. Weil geopolitisch genau das als Waffe eingesetzt wird über Informationskrieg, Schaffung einer gewünschten Realität um Handlungen mit Unterstützung bzw. Bejahung der Menschen durchzuführen zu können (aka Krieg).
Platon beschreibt das schon in seinem Höhlengleichnis, leider ist es ohne Lösung.
Es gibt da eine schöne ARTE Doku. Titel: Eine überschätzte Spezies ;)
Oder in dem Zusammenhang: Rottet die Bestien aus (1-4). Die Geschichte des Faschismus. Das geht an die kollektive Substanz und die eigene kollektive Schuld, das tut weh, richtig weh.
Wer dann noch in dem Zusammenhang die westlichen Werte reflektieren mag versteht. Hier empfehle ich Dirk Pohlmann „Westliche Werte?“ bei YouTube (gilt für alles davor auch).